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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Quellen gewonnene Kenntniß der Cultur und des Privatlebens der Römer zu ergänzen und zu beleben. Es ist selbstverständlich, welchen Vorschub diesen Bemühungen die wunderbare Entdeckung der durch den ersten bekannten Ausbruch des Vesuv verschütteten Städte Herculanum und Pompeji geleistet hat und noch leistet; denn die Ausgrabungen, die sich bald auf Pompeji beschränkten (da Herculanum unter einer mächtigen steinharten Lavaschicht, zum Theil auch unter der Stadt Portici liegt, Pompeji aber nur von lockerer Asche bedeckt ist), sind erst zum geringsten Theil vollendet, höchstens etwa der dritte Theil von Pompeji bloßgelegt.

Hier allein sind zahlreiche römische Privathäuser in relativ guter Erhaltung, zum großen Theil noch mit Hausrath und Mobilien ausgestattet, vielfach so wie sie vor achtzehnhundert Jahren von den flüchtenden Bewohnern verlassen worden, der Neu- und Wißbegier einer spätern Nachwelt aufbewahrt worden, da von den an allen andern Orten freistehenden Ruinen nur die solidesten, also nur die öffentlichen Gebäude, den zerstörenden Einflüssen aller Art trotzen konnten. Hier, wo wir uns so unmittelbar wie nirgend sonst in das tägliche Leben des Alterthums versetzt fühlen, liegt auch ein mächtiger Reiz für den Künstler, aus den leeren Trümmern das freundliche Bild jener Vergangenheit neu erstehen zu lassen und mit den zahlreichen kleinen Zügen zu beleben, deren Wahrheit die vorhandenen Ueberreste verbürgen. Das Gemälde von H. Philippi in Düsseldorf, das unser Holzschnitt wiedergiebt, beruht auf gewissenhaften, an Ort und Stelle gemachten Studien und ist eine bis in’s kleinste Detail treue Reproduction einer altrömischen Toilettenscene von anspruchsloser Anmuth und Natürlichkeit, ohne jene Pedanterie, die uns in so manchen modernen Darstellungen, auch in einigen des Niederländers Alma Tadema, unangenehm berührt.

Der Maler läßt uns in das Innere eines Pompejanischen Hauses von jener dem südlichen Klima so höchst angemessenen Bauart sehen, die jetzt, mit Ausnahme von Südspanien, nirgends in Europa, dagegen durchgängig im Orient sich erhalten hat. Das Leben des modernen Hauses ist nach außen, das des antiken war nach innen gekehrt, jenes wendet seine Fensterreihen der Straße zu, dieses war gegen die Straße mit einer im Erdgeschoß fensterlosen Mauer abgeschlossen, so daß man in den Straßen einer antiken Stadt wie zwischen Gartenmauern ging; nur die oberen Stockwerke hatten einzelne, aber je nach Bedürfniß, also unregelmäßig angebrachte Fenster an der Straßenseite. Das Centrum, um das sich das Leben des antiken Hauses bewegte, waren ein oder mehrere hofartige Räume, auf die die Wohnzimmer mündeten, und von denen sie das Licht empfingen. Diese in reicheren Häusern von bedeckten Säulengängen umgebenen Räume, ein Mittelding zwischen Saal und Hofplatz, machten es möglich, die Annehmlichkeiten des Aufenthalts im Freien auch im Innern des Hauses zu genießen. Schutz vor Sonne und Regen gewährte das über den Säulen auf allen vier Seiten hinlaufende Dach, überdies konnte über die Oeffnung in der Mitte noch eine Decke gespannt werden. Diese Räume schmückte das Grün frei oder in Kübeln wachsender Bäume und Sträucher, oder um die Säulen rankte sich, wie auf unserm Bilde, die Rebe; ein Bassin in der Mitte diente als Cisterne, und dieser fehlte in wohlhabenden Häusern selten der mit einer zierlichen Marmor- oder Bronzefigur geschmückte Springbrunnen, dessen Strahlen man gerne über kleine Treppenstufen herabplätschern ließ. Die Thüröffnungen, durch welche diese Räume in Verbindung standen, waren in der Regel nicht durch Thüren, sondern durch Vorhänge verschlossen; die Ringe, in denen die zum Hin- und Herziehen erforderlichen Schnüre liefen, haben sich noch an einigen Stellen in Pompeji erhalten. Eigentliche Fenster hatten die nach innen sich öffnenden Räume der Erdgeschosse nicht, da die Thüröffnungen zugleich das Licht einließen. So sehr diese Bauart der Natur und den Lebensgewohnheiten des Südens entspricht, so ist doch das antike Haus im heutigen Italien ganz durch das moderne verdrängt worden; nur in den von Säulengängen umgebenen, oft gartenartig bepflanzten Klosterhöfen, auf welche die Zellen münden, hat sich ein Rest der römischen Wohnungsarchitectur erhalten. Der Andalusier aber richtet auch heute noch den Hof seines Hauses, das sogenannte Patio, zur Wohnung ein und ißt und schläft im Duft der Pflanzen, im Geräusche des Springbrunnens, im Schatten des Säulenganges oder der über den freien Raum ausgespannten Decke.

Die behagliche Wohnlichkeit also, die wir so sehr auf den Aufenthalt in Zimmern angewiesenen Nordländer als deren Hauptvorzug erstreben und schätzen, fehlte den römischen Häusern, aber das Klima machte sie auch nicht zum Bedürfniß, und die Alten vermißten sie um so weniger, als sie den größten Theil des Tages außerhalb des Hauses verbrachten. Daher erklärt sich auch die namentlich in Pompeji auffallende Kleinheit der Zimmer, die in der Regel nichts bieten sollten als eine hinreichende Unterkunft für die Nacht und die Mahlzeiten. Und ebenso war auch die Decoration und die ganze Ausstattung und Einrichtung der Wohnräume durch die Natur und die Lebensgewohnheiten des Südens bedingt. Die Farbenpracht der Natur, die dem Nordländer anfangs bunt verwirrend und blendend erscheint, wollte man auch im Innern des Hauses nicht ganz entbehren, und das hochentwickelte, wenn auch unbewußte Schönheitsgefühl duldete, auch der Zweckmäßigkeit zu Liebe, keine häßlichen Formen.

Es ist bekannt, daß in Pompeji sich Haus für Haus dieselbe Zimmerdecoration wiederholt, nur natürlich nach den Mitteln der Bewohner reicher oder einfacher, so daß es den Anschein hat, als wenn ein und dieselbe Künstlergesellschaft für die ganze Stadt gearbeitet habe, die achtzehn Jahre vor ihrer Verschüttung durch ein Erdbeben schwer gelitten hatte, so daß also die Häuser durchweg einer Restauration und eines neuen Aufputzes bedurften. Durchweg sind die Estrichfußböden mit Mosaik ausgelegt, mindestens doch, wie auf unserm Bilde, mit mäanderartigen Mustern eingefaßt. Durchweg sind die Wände mit einer lebhaften Grundfarbe angestrichen, gewöhnlich dem bekannten „Pompejanischen Roth“; dieser Grund war durch Arabesken und architektonische Ornamente in Felder getheilt, die Felder mit kleineren und größeren Bildern geschmückt, unter denen namentlich die frei schwebenden Figuren durch ihre graziöse Leichtigkeit und Eleganz mit Recht berühmt geworden sind. Selbst die Säulen sind oft bemalt oder sogar mit Mosaik ausgelegt, was freilich einem reinen Geschmacke ebenso wenig zusagen kann, als wenn, wie auf unserm Bilde, nur die zwei oberen Drittheile cannelirt sind, das unterste nicht. Ueberhaupt verträgt die architektonische und malerische Häuserdecoration von Pompeji eine sehr strenge Prüfung nicht, doch im Ganzen macht sie den Eindruck der Heiterkeit und Zierlichkeit, und auch ihre Buntheit wirkt in der Umgebung einer so überaus farbenreichen und farbenprächtigen Natur nicht unharmonisch. Es ist ein Beweis für die enorme Ausbildung des Kunsthandwerks in jener Zeit, daß auch eine gewiß nicht reiche Mittelstadt wie Pompeji (das etwa die Größe von Bonn hatte) im Stande war, zum Schmucke ihrer Privatwohnungen Architekten, Maler, Bildhauer und Mosaicisten in solchem Umfange zu beschäftigen.

So anspruchsvoll aber die Alten in Bezug auf die künstlerische Decoration ihrer Zimmer waren, so genügsam waren sie in Bezug auf deren Ausstattung mit Möbeln und Hausgeräth; auch in dieser Beziehung standen ihre Gewohnheiten und Einrichtungen denen des Orients weit näher als denen des heutigen Europa. Die Wohnräume der Orientalen sind, abgesehen von einer an den Wänden entlang laufenden Einfassung von niedrigen Divans, von Matten und Teppichen, in der Regel leer; die altrömischen enthielten außer etwa einem Bett oder Sopha und einigen Sesseln in der Regel nur Prunkgeräthe wie Dreifüße, Kandelaber, runde Tischchen von seltenem Holze auf elfenbeinernen Füßen, kostbare Gefäße und Geschirre und dergleichen, mehr zur Zierde als zum Gebrauch bestimmte Dinge. Aber auch der einfache Hausrath der Mittelclassen war durch künstlerische Formen veredelt, und die zahlreichen zierlichen und geschmackvollen Henkelgefäße jeder Art, welche die Ausgrabungen jeder Art in einer kaum übersehbaren Fülle zu Tage gefördert haben und von denen auch unser Bild einige glücklich gewählte Exemplare zeigt, dienen mit Recht noch der heutigen Kunstindustrie als Modelle.

Die Pompejanerin auf unserm Bilde prüft die Wirkung ihres von einer ägyptischen Sclavin geordneten Haarschmuckes in einem jener (noch jetzt zahlreich vorhandenen) Handspiegel, die mit ihrer glattgeschliffenen Fläche aus Bronze oder Silber nur ein sehr unvollkommenes Surrogat unserer dem Alterthum unbekannten Glasspiegel waren. Der Künstler hat unter den fast unzähligen Frisuren, die wir aus Bildern und Büsten jener Zeit kennen, und unter denen auch hohe Toupés vorkommen, eine der einfachsten gewählt. Der noch unvollendete Anzug zeigt die beiden Haupttheile der römischen wie griechischen Frauentracht, ein langes, gegürtetes Untergewand, und einen weiten kleid- oder shawlartigen Ueberwurf. Es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_198.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)