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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

von dreitausend zu dreitausend Ellen aufgestellt sind und durch einen schwarzen Zeiger angeben, ob sich in dem Zwischenraume von einem bis zum anderen Apparate ein Zug aufhält. Ist also ein Zug von der Station A. nach Station B. abgegangen, so signalisirt A. den Zug zunächst nach dem nächsten dreitausend Ellen entfernten Signalposten und läßt einen anderen Zug nicht eher folgen, bevor nicht von diesem Posten durch den Apparat das Zeichen, daß der abgegangene Zug dort angekommen, zurückgelangt ist; so lange dieses nicht der Fall, deutet der schwarze Zeiger des Apparats der Station A. auf „Linie besetzt“, während ein zweiter, darunter befindlicher rother Zeiger als Quittungszeichen dient, denn er giebt durch seine Stellung an, ob das fortgegebene Zeichen auf dem nächsten Signalapparat auch zum Vorschein gekommen ist. Ein elektrisches Läutewerk steht damit in Verbindung, es dient dazu, die einzelnen Posten vorher auf den Apparat aufmerksam zu machen.

Zu den wichtigsten Signalen gehören ferner auch die Haltezeichen. An allen wichtigen Punkten, wozu besonders die Bahnhofseinfahrten gehören, stehen jene auf weite Strecken hin sichtbaren, des Nachts mit reflectirenden grünen oder rothen Lichtern behangenen Sperrscheiben, das heißt meist kreisrunde auf einem verschiebbaren Gestell befestigte Blechscheiben, die durch Drahtzüge von dem nächsten Wärter gewendet werden und „Halt“ bedeuten, sobald sie dem Zuge die volle Fläche entgegenhalten, um an den betreffenden Stellen Zusammenstöße abzuwenden. In England, besonders aber in Frankreich, sind da, wo mehrere Schienenwege zusammentreffen, auch die Weichen mit solchen, oft sehr weit davon entfernten Sperr- oder Haltescheiben durch Drähte in der Art verbunden, daß der Weichensteller, wenn er einem nahenden Zuge die Weichen öffnet, zugleich diese Scheiben auf „Halt“ stellt, andere Züge damit absperrt und dadurch dem von einem auf das andere Geleis übergehenden Zuge nach allen Seiten hin Sicherheit verschafft. In Frankreich hat man auch an mehreren besonders stark befahrenen Kreuzungspunkten Zusammenstöße dadurch unmöglich gemacht, daß die sich kreuzenden Linien durch Brücken über- und untereinander hinweggeführt worden sind.

Ohne die oben erwähnten elektrischen Distanz- oder Raumsignale, welche dem Locomotivführer fortwährend anzeigen, welches Tempo er einzuhalten hat, wäre der Eisenbahnverkehr in der englischen Hauptstadt gar nicht mehr zu regeln und stets den ernstesten Gefahren ausgesetzt, denn dieses Häusermeer durchkreuzen täglich viertausend Züge, wovon allein dreitausendsechshundert den localen Verkehr in der Stadt selbst vermitteln, während nur die übrigen vierhundert von auswärts kommen. Dreimalhunderttausend Passagiere benutzen diese Züge täglich zu ihrem Fortkommen. Mehrere der großen Bahnhöfe sehen in Folge dessen Tag für Tag gegen vierzigtausend Menschen in ihren Riesenhallen aus- und einsteigen, eine Frequenz, gegen die der Zuzug zur Leipziger Messe an den Meßsonntagen nicht sehr in Betracht kommt.

Um dieses rastlose Treiben und Jagen zu beherrschen, dazu gehört eben nur die hohe Vollendung des englischen Signalwesens und die Kaltblütigkeit der englischen Race. Menschenhände reichen nicht aus, die zahllosen Weichen rechtzeitig zu bedienen. Ein großer vollendeter Mechanismus bewirkt an allen großen Knotenpunkten des Verkehrs das Oeffnen und Schließen vieler Weichen zugleich. An Kreuzungen und Bahnhofseinfahrten arbeitet der Signalgeber in einem zwischen den Geleisen stehenden kleinen Hause und stellt darin mittels Hebel alle umliegenden Weichen zu gleicher Zeit und läßt auch einfach mittels Drucks auf Metallknöpfe oder anderer kleinerer Hebel eines elektromagnetischen Signalapparats an mehreren Stellen zugleich alle die verschiedenen Zeichen sichtbar oder hörbar werden, welche die Sicherheit der ankommenden und abgehenden Züge nach Menschenvermögen garantiren. Diese Apparate, sowie die zum Stellen der Weichen angebrachten Hebel sind dabei so sinnreich mit einander verbunden, daß der sie bedienende Beamte alle Griffe nur in einer ganz bestimmten, dem zu gebenden Signal entsprechenden Reihenfolge vornehmen kann, weil sie sonst versagen. Der Signalgeber oder Wärter kann zum Beispiel keinen Hebel bewegen, welcher die damit verbundenen Weichen einem nahenden Zuge öffnet, bevor er nicht den dazu gehörenden Signalhebel gestellt hat, welcher zuvor die entsprechenden Sicherheitssignale giebt, und der Signalhebel kann dann nicht früher wieder zurückgestellt und die damit zusammenhängenden Sicherheitszeichen beseitigt werden, bevor nicht erst der dazu gehörige Weichenhebel zurückgestellt und die damit verbundenen Weichen wieder in Ordnung gebracht, das heißt geschlossen worden sind.

Diese angeführten großen Signalsysteme, die mit kleinen Abweichungen theilweise auch auf unseren deutschen Bahnen mehr oder weniger Anwendung gefunden und sich überall bewährt haben, werden nun noch durch die ebenfalls in ein bestimmtes System gefaßten Signale ergänzt, welche das Personal der Züge, der Bahnhöfe und die Bahnwärter mit den Händen, mit kleinen Flaggen, Laternen und Pfeifen zu geben haben, sowie durch die Signale mit der Dampfpfeife und die jetzt sehr in Aufnahme gekommenen Knallsignale, welche in Form kleiner mit Sprengmasse gefüllter Blechkapseln, bei Nacht, Nebel, Sturm und Schneegestöber, wo die Zeichen eines einzelnen Mannes leicht unbemerkt bleiben können, vor und hinter einem festgefahrenen oder entgleisten Zug auf die Schienen befestigt werden, beim Ueberfahren explodiren und dadurch einem nahenden Zug das Zeichen zum Halten geben.

Mit diesen einer fortwährenden Vervollkommnung unterliegenden Signalen schien das Maß menschlicher Fürsorge für Leben und Gut nahezu erschöpft zu sein, als vor drei Jahren der von einem deutschen Schneider in dem Coupé einer Londoner Bahn während der Fahrt verübte Mord (damals der zweite Eisenbahnmord) die volle Aufmerksamkeit des Publicums auf die bis dahin noch sehr wenig beachtete Hülflosigkeit richtete, in die der einzelne Passagier so häufig während der Fahrt geräth. Ganz England fuhr dabei erschrocken auf und verlangte von seinen Eisenbahnverwaltungen eine leichte und zweckmäßige Verbindung der Passagiere mit dem Zugspersonal während der Fahrt. Es war dies aber eine schwierige Aufgabe, da der Engländer mit Zähigkeit an dem auch in Deutschland gebräuchlichen sogenannten englischen Wagensystem mit seinen von einander getrennten Coupés festhielt und doch auch in den Stand gesetzt sein wollte, zu jeder Zeit den Schaffner herbeirufen zu können, der, da die englischen Wagen keine Laufbretter haben, während der Fahrt vollständig von den Passagieren getrennt ist.

Die Bahnen wurden bald mit darauf abzielenden Projecten und Erfindungen überschwemmt und mußten unter dem unwiderstehlichen Drucke der öffentlichen Meinung sich wohl oder übel zu einer Menge Versuche über die geeigneten Mittel zum ungehinderten Verkehr innerhalb eines Zuges bequemen, die sich fast durchgehend als unpraktisch herausstellten. Die absolute Nothwendigkeit einer leichteren Verbindung zwischen den Passagieren und den Beamten des Zuges auch während der Fahrt blieb aber aufrecht und beschäftigt bis auf den heutigen Tag in England und Frankreich, weit weniger in Deutschland, die Köpfe der hervorragendsten Fachleute. Aus ihren bisherigen Experimenten haben sich besonders zwei Signalsysteme herausgeschält, die Anspruch auf einige Zweckmäßigkeit haben und deshalb in Frankreich und England eingeführt worden sind. Bei dem einen Systeme befindet sich in der Zwischenwand eines jeden Coupés der Klingelzug zu einem im Dienstcoupé des Zugspersonals aufgestellten elektrischen Läutewerke. Wird an dem Klingelzuge gezogen, so ertönen nicht blos im Dienstcoupé die Glocken des Läutewerks, sondern es wird auch zugleich zur leichteren Auffindung des betreffenden Coupés über demselben eine Scheibe sichtbar; bei einer englischen Bahn wird diese Scheibe des Nachts durch eine aufsteigende Rakete ersetzt. (? Die Red.)

Was die zweite Art des Verkehrs von Wagen zu Wagen betrifft, die besonders in Frankreich eine größere Verbreitung gefunden hat, so sind hier ebenfalls in den Zwischenwänden der Coupés Knöpfe angebracht, welche die Handhaben kleiner Luftpumpen bilden, die wieder mit einer Reihe unter den Personenwagen hängender eiserner Röhren in Verbindung stehen, welche unter sich durch Kautschukschläuche verbunden sind und in ein im Zugsführercoupé aufgestelltes Läutewerk münden. Ein zwei- bis dreimaliges Ziehen an einem der Knöpfe verdünnt die Luft in den Röhren und setzt auch das Läutewerk in Gang, während gleichfalls über dem betreffenden Coupé sich eine Scheibe emporrichtet und den Ort bezeichnet, von wo aus das Signal gegeben worden ist.

Bei beiden Zugssignalen sind die Griffe und die Knöpfe in den Coupéwänden durch Glastafeln vor einem zu leichten Gebrauche geschützt, und müssen dieselben erst zerbrochen werden, um zu den Griffen zu gelangen, deren Gebrauch durch Anschläge erklärt wird, auf welchen auch auf die Strafen aufmerksam gemacht ist, die ein leichtsinniger Gebrauch nach sich zieht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_203.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)