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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 14. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Aus eigener Kraft.
Von W. v. Hillern geb. Birch.
(Fortsetzung.)

Adelheid stand am Fenster und schaute hinaus. Der Graf lehnte nachlässig am Pfeiler. Kein menschliches Auge konnte ihm die leiseste Verlegenheit anmerken. „Nun, mein kleiner Hitzkopf,“ lächelte er Alfred gütig zu, „wollen wir uns wieder versöhnen?“

„Ich bitte Dich um Entschuldigung, lieber Onkel,“ sagte Alfred, dessen Augen verweint waren, „und auch Dich, beste Mutter, – ich war sehr ungezogen – verzeiht mir.“

„Nun, das ist schön, daß Du wieder zur Vernunft gekommen bist,“ erwiderte Egon und reichte Alfred die Hand.

„Ach, Onkel,“ sagte Alfred verwundert, aber völlig arglos, „sieh einmal, in Deinen Ringen hängt ja ein Büschel von Mama’s Haaren.“

Jetzt verließ selbst den geübten Weltmann die Fassung und er starrte in tödtlicher Verlegenheit auf die verrätherischen Fäden nieder. „Es werden meine eigenen Haare sein,“ sagte er unbedacht.

„O bewahre, so rothe Haare hat ja Niemand im ganzen Hause als die Mutter,“ beharrte Alfred und suchte sie aus den Ringen wegzuziehen.

„Laß doch!“ wehrte Egon unwillig, streifte die Ringe ganz ab und steckte sie in die Tasche.

Adelheid schaute verstohlen nach dem Candidaten hinüber. Der stand da, starr und bleich wie eine Leiche. Seine tiefliegenden verschleierten Augen waren weit aufgerissen und hafteten versteinernd auf den Beiden, kein Athemzug hob seine Brust, kein Zucken bewegte seine Glieder. Adelheid schauderte; Egon fühlte das Unheimliche in diesem Schweigen, er wagte nicht, den Candidaten anzusehen. Da trat der Freiherr ein und mit ihm die Schwestern. Feldheim griff wie in einem Taumel nach Alfred und raunte ihm noch gebieterisch zu: „Schweig’ von den Haaren!“ Seine Hände und Stirn bedeckte kalter Schweiß und er verließ das Zimmer. Adelheid winkte Egon, er verstand sie – es mußte sein, er mußte Feldheim folgen, „dieser Mensch war ja in seinen Entschlüssen unberechenbar“. Es gelang ihm kaum, das innere Beben zu verbergen, mit dem er der dahinschreitenden hohen Gestalt nachschlich. Jetzt ließ sich Feldheim wie zusammenbrechend auf eine Steinbank sinken. Egon trat zu ihm. Die Lippen zitterten ihm, als er ihn fragte, ob er sich unwohl fühle, da er so plötzlich und so bleich das Zimmer verlassen.

Der Candidat sprang bei Egon’s Anblick auf, als sei eine Schlange an ihm emporgekrochen. Lange stand er vor ihm und fand keine Worte. Um seinen stummen Mund lag eine furchtbare Beredtsamkeit. Endlich sagte er mit schneidender Schärfe: „Herr Graf, machen wir keine unnützen Worte. Ich weiß, was Sie von mir wollen und fürchten. Sie fürchten, daß ich Sie verrathe, und wollen mich davon abzuhalten suchen. Sparen Sie Ihre Mühe, ich schone – nicht Sie – sondern das greise Haupt, das mir theuer ist und dem ich jeden harten Schlag ersparen möchte. Wenn in ein Haus ein Dieb einbricht, so wird ein treuer Diener nicht gleich seinen alten gebrechlichen Herrn wecken, er wird ihn ruhig schlafen lassen und ihn erst dann zu Hülfe rufen, wenn es ihm nicht gelingt, den Dieb allein zu verjagen. Ich bin der Diener, Herr Graf, der keinen Eingriff in seines Herrn Besitz duldet. Ich frage nicht, wie groß oder klein dieser Eingriff sei, ich weiß nur, daß das Haar vom Haupte seiner Gemahlin in Ihrer Hand ein Diebstahl an Herrn von Salten ist,“ – es schüttelte ihn bei diesen Worten – „mögen Sie dazu gekommen sein, wie Sie wollen – Ihre Verlegenheit war Bürge Ihres Schuldbewußtseins. Und ich sage Ihnen, Herr Graf, Sie werden binnen drei Tagen ein Haus verlassen, in das Sie mit solch’ diebischer Absicht eingedrungen sind – oder wir kämpfen auf Leben und Tod. Wenn ich siege, dann kostet es Sie Ihr Leben; wenn ich falle, wird Herr von Salten den verschlossenen Brief erbrechen, den ich ihm zuvor übergebe, und den Grund unseres Duells daraus erfahren. Er wird die Ehre seiner Frau und sein Hausrecht besser zu wahren wissen, als ich es für ihn thun konnte.“

Egon wollte sprechen. Er schnitt ihm das Wort ab. „Genug – alles Weitere ist überflüssig. Sie haben drei Tage Bedenkzeit, wählen Sie!“

Er ging, ohne sich aufhalten zu lassen. Egon hätte ebenso gut den Glärnisch anrufen können, der soeben hinter Wolken verschwand, als diesen unerbittlichen Mann. Egon warf sich auf die Steinbank und überließ sich seinem Zorn. Was war zu thun? Nichts! Er konnte es nicht auf ein Duell ankommen lassen – es hätte ihn unter diesen Verhältnissen entweder sein Leben oder

Stellung und Ehre vor der Welt gekostet, denn der Freiherr hätte den Candidaten, wenn er fiel, um jeden Preis gerächt – sollte er auch ihn tödten, sollte er zwiefachen Mord auf seine Seele laden? War die Genugthuung, die Beleidigung eines „frechen Untergebenen“ zu rächen, mit einem hoffnungsvollen jungen Leben nicht zu theuer bezahlt? Das Alles stürmte mit Für und Wider in leidenschaftlicher Erwägung durch Egon’s Gehirn. Er erkannte immer mehr die Nothwendigkeit sich in aller Stille dem Willen des furchtbaren Wächters zu fügen. Und das Alles um ein Haar! Es war zur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_209.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)