Seite:Die Gartenlaube (1870) 220.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

unterlag. Alle Monate einmal ging der Courier nach Frankreich ab. Die Briefe der Deportirten, welche derselbe zugleich mit der Regierungspost beförderte, mußten dem Gensd’armerie-Brigadier offen und ohne Couvert übergeben werden. Nur ein Drittel jeder Seite des Briefbogens durfte beschrieben sein, und die erste Seite mußte an der Spitze den Namen des Deportirten tragen mit der Nummer seiner Kategorie und der Nummer seiner Section. Das war ein Robinsonleben, illustrirt durch die Quälereien eines Gefängnißreglements, ein Kerkerleben in der Wildniß ohne allen Comfort einer europäischen Existenz. Abends um acht Uhr verkündete ein Kanonenschuß auf der Königsinsel, daß die Einsperrung der unglücklichen Deportirten beginne. Nachdem der Brigadier ihre Namen verlesen hatte, wurden sie in ein stallähnliches Gebäude geführt, welches als gemeinschaftlicher Schlafsaal diente, wenn man einen Stall so nennen will.

Das Gebäude bildete ein rechtwinkliges Oblongum von ungefähr zwanzig Meter Länge und sechs Meter Breite. An beiden Längenseiten befand sich eine Thür, zu der von außen ein paar Stufen führten. Im Innern dieses Stalles waren an den Wänden einander gegenüber zwei Reihen hölzerner Bohlen, auf kurzen Pfählen ruhend, welche ein Gang trennte, angebracht. Diese hölzernen Bohlen bildeten das Lager der Deportirten. Jedes einzelne Lager war immer durch einen leeren Raum von zwei Meter von dem benachbarten Lager getrennt. Von Matratzen und Kopfkissen war keine Rede. Als Bedeckung erhielt Jeder eine wollene Decke, in welche er sich einwickeln und nach Belieben schlafen oder träumen konnte, wenn das Eine oder das Andere auf den harten Brettern möglich war und ihn nicht die Berührung durch Hand oder Fuß seines Nachbars aus Schlaf und Traum plötzlich aufschreckte. Der Bewohner der Teufelsinsel auf dem harten Bretterlager seines Stalles hatte wahrhaftig Grund genug, den Indier zu beneiden, der seine aus Bambus gefertigte Hängematte zwischen zwei Baumstämmen des Waldes aufhängt; denn die Hängematte des Indiers war ein weicheres und bequemeres Lager als das Bretterbett in dem von mir beschriebenen Holzstalle. Aber die Nächte in diesem Holzstalle wissen noch von anderen Qualen zu erzählen. Sie bilden einen unaufhörlichen Kampf mit den großen Mücken von Guyana. „Als ich mich fünf Monate lang, in die bunten Lumpen eines Galeerensträflings gekleidet, im Fort Lamalgue bei Toulon befand, um das nächste Transportschiff nach Guyana zu erwarten,“ sagte Delescluge, „bin ich viel von den großen Flöhen von Toulon gequält worden. Wenn ich heute an die Mücken von Guyana und an die Flöhe von Toulon denke, und zwischen beiden Thieren eine Parallele ziehen soll, so muß ich sagen, daß sie in ihrer Gefräßigkeit einander vollständig glichen und Keines dem Andern nachstand. Aber in dem Schmerz, den sie durch ihre Bisse und Stiche hervorbrachten, übertrafen die Mücken von Guyana die Flöhe von Toulon bei Weitem. In Guyana gab es zweierlei Arten von Mücken. Die erste bohrt stumm wie ein Karpfe den Stachel in das Fleisch ihres Opfers. Die andere naht mit Musik, bevor sie das Attentat begeht. Aber der Schmerz, den die erste verursacht, dauert nur eine Secunde und hinterläßt keine Spuren ihres Stiches, während der Stich der zweiten ein langdauerndes Jucken hervorbringt und einen buntfarbigen Fleck auf der Haut zurückläßt.“

Bevor ich die Schilderung der entsetzlichen Insel schließe, welche die Regierung Louis Bonaparte’s und seiner Helfershelfer beim Verbrechen des zweiten December als Deportationsort für die französischen Republikaner benutzt hat, bis der Tod sie von ihren Leiden erlöste, muß ich noch eine ganz besondere Grausamkeit erwähnen, deren sich die Kerkermeister von Guyana, wahrscheinlich auf einen speciellen Befehl des schändlichen Morny, des intellectuellen Urhebers der Deportationen, gegen die unglücklichen Gefangenen der Teufelsinsel schuldig gemacht haben. Als Delescluge nach der Insel gebracht wurde – er landete dort am 16. October 1858 – gab es auf der Insel keinen einzigen Baum. Unter den glühenden Sonnenstrahlen von Guyana ist der Baumesschatten eine nothwendige Bedingung des menschlichen Wohlbefindens. Die tropische Natur des Aequators hat deshalb Guyana mit einem Reichthum von mächtigen Bäumen mit Riesenästen und riesigen Blättern beschenkt. Auch die Teufelsinsel war im Jahre 1851 mit diesen tropischen Riesenbäumen bedeckt. Und wo waren diese Bäume geblieben? Weshalb hatte die Insel das Aussehen einer nackten, steinigen Wiese? Die Verwaltung von Guyana hatte im Jahre 1852 sämmtliche Bäume der Teufelsinsel niederschlagen lassen. Und was war das Motiv dieser barbarischen Verwüstung? Einige von den politischen Deportirten hatten sich aus Baumstämmen Canots angefertigt, und es war ihnen gelungen, mit Hülfe dieser Canots der Hölle zu entfliehen, in deren Miasmen zu sterben sie das Sicherheitsdecret des Staatsstreichmannes verdammt hatte.

G. Rasch. 




Ein Begräbniß im Walde.
Von Brehm.


Vor einigen Jahren bewohnte ich ein Haus vor der Stadt, welches wie die übrigen der Straße rings von einem Garten umgeben war. In dem letzteren hatten meine Vormiether allerlei Buschwerk gepflanzt, und da dasselbe in anderen Gärten ebenfalls geschehen, waren lauschige Plätze für einige unserer besten Singvögel geschaffen und von diesen selbstverständlich auch bald in Besitz genommen worden. Sie verschönerten mir die frühen Morgenstunden, damals die einzige Arbeitszeit, welche ich meiner Schriftstellerei widmen durfte, in hohem Grade. Ein Haus- und ein Gartenrothschwanz, ein Mönch und eine Gartengrasmücke, ein Gartensänger oder Sprachmeister und eine Nachtigall waren die hervorragenden Glieder der gefiederten Mitbewohnerschaft des leidlich hübschen Stückchens Erde, und namentlich die letztere gewährte mir viele Freude, weil sie zu den ausgezeichnetsten Schlägern zählte, welche ich jemals gehört habe.

Ich mag nicht unter die Schriftsteller gerechnet werden, welche es dem wahren Liebhaber zu verwehren suchen, sich Vögel für das Gebauer zu fangen und diesen das „harte Schicksal der Gefangenschaft“ zu bereiten; ich bin im Gegentheil ein ganz entschiedener Anwalt all’ Derer, welche gleich mir ohne einen Singvogel im Zimmer nicht leben können oder doch nicht leben wollen. Närrisch erscheinen sie mir, jene sogenannten „Vertheidiger der Singvögel“, weil sie, so überklug sie sich auch geberden, fast ausnahmslos Unverstand oder doch Unkenntniß mit seichter Gefühlsduselei verbinden und durch ihr fades Wortgeklingel höchstens urtheilslose Nichtkenner für sich einzunehmen vermögen, nicht aber kundige Liebhaber, welche, trotzdem sie einen und den anderen Singvogel seiner Freiheit berauben, weit wirksamer als Jene das „Schutz den Vögeln!“ predigen. Nicht die beregte Liebhaberei, welche kaum mehr als ein Hundertstel der freilebenden Vögel einer Art für sich beansprucht, entvölkert unsere Waldungen, sondern die neuzeitliche Ausnutzung der letzteren, welche den Vögeln ihre Wohnplätze nimmt, das geflügelte Raubzeug, von welchem jedes Mitglied mehr Singvögel raubt als zwanzig Liebhaber zusammengenommen und welchem trotzdem noch immer nicht eifrig genug nachgestellt wird. Und nicht einen Eingriff in „die ewigen Rechte der Natur“, oder wie sonst die Phrasen lauten, erlaubt sich der Liebhaber, welcher sich einen Vogel fängt, sondern das ihm der Thierwelt gegenüber ja sonst unverwehrte Recht des Stärkeren übt er aus, wenn er den „freigeborenen Singvogel“ an sich fesselt und Dasselbe thut, was man den hausthierzähmenden Erzvätern salbungsvoll zum Verdienst anrechnet. Demungeachtet stimme ich mit jedem Vernünftigen für Schutz der Vögel durch die Gesetzgebung und für strengste Beaufsichtigung aller Parks, Lustwäldchen, öffentlichen Gärten, Spaziergänge und dergleichen, denn der Liebhaber hat nicht das Recht, sich auf Kosten Anderer einen Genuß zu verschaffen, und mag sich seine Vögel da fangen, wo sie häufiger sind und leichter sich ersetzen: im großen weiten Walde.

Man verzeihe mir diese Abschweifung: es hat mich gedrängt, meine Ansicht einmal an dieser Stelle auszusprechen, weil gegenwärtig mehr als je namenlose und „berühmt gewordene“ Unberufene die veredelnde Liebhaberei zu verdächtigen suchen und mit ihren

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1870, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_220.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)