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verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Weise fortfahrend, begraben sie nach und nach den Leichnam fast oder thatsächlich fußtief, lassen ihn vollständig von der Oberfläche verschwinden, entziehen ihn anderen Leichenräubern und legen ihre eigenen Eier auf ihm ab, ihrer werdenden Nachkommenschaft die erforderliche Nahrung sichernd.

Solch’ ein Begräbniß ist es, welches unser Künstler in dichterischer Auffassung uns vorführt. Eine Nachtigall liegt todt im Walde, zur Zeit ihrer und seiner Blüthe. Waldröschen, Ehrenpreis und Vergißmeinnicht umgeben sie und das werdende Grab, in dessen Nähe, wie am Eichbaum ersichtlich, schon vormals ein Unglück geschehen; Glockenblumen neigen sich über sie; der Trauermantel wiegt sich über ihr; von der Rose fallen Tropfen wie Thränen auf sie hernieder. Die Grableute sind bereits erschienen. Von oben summt der Todtengräber (Necrophorus vespillo) herab, um sich zu seinen Verwandten (N. humator, mortuorum, sepultor, germamicus und vestigator) zu gesellen; von rechts kriecht ein ebenfalls mitwirkender Kurzflügler heran. Einer aus der Gesellschaft beginnt bereits seine Thätigkeit. Binnen wenigen Stunden werden sie ihr Amt geübt, ihre Arbeit vollendet haben, und von der Nachtigall, welche vielleicht an demselben Morgen in vollem Feuer schlug, wird nur ein kleiner Hügel zwischen und unter den Blumen dem Eingeweihten noch Kunde geben.

Die Auffassung des Künstlers ist dichterisch, aber naturgetreu, wie die Ausführung naturwahr bis zum geringsten Hälmchen, jene deshalb also wohl vollberechtigt.


Blätter und Blüthen.

Eine Volksküche in London. Unter die allerschmerzlichsten der Eindrücke, die der Fremde von einem Aufenthalt aus dem an Gegensätzen so reichen London mit nach Hause nimmt, zähle ich die, welche die sogenannten Sonnabendnachtmärkte auf mich machten. Es sind dies Märkte, die am späten Abend lediglich für die Arbeiter abgehalten werden, welche nach empfangenem Wochenlohne hier ihre armseligen Lebensbedürfnisse für die nächsten paar Tage, das heißt so weit ihre wenigen Schillinge reichen, zu decken suchen. Da war es mir denn immer die traurigste Scene, wenn ich sah, wie die ärmsten der hier verkehrenden armen Weiber um dürftige Stücke schlechten, halbverfaulten oder sonst verdorbenen Fleisches feilschten, während sie mit sehnsüchtigen Augen, mit Blicken, die tief in’s Herz hinein schnitten, die besseren, frischeren und reichlicheren Stücke betrachteten, welche für Leute mit volleren Börsen zum Kaufe auslagen. Jetzt ist Gott sei Dank diesen Jammerscenen einigermaßen ein Ende gemacht, seitdem von Australien aus Massen eingesalzenen und präservirten, aber völlig nahr- und schmackhaften Fleisches nach London kommen, das auch für den ärmsten Arbeiter kein unerreichbarer Leckerbissen ist. Hauptsächlich sind es zwei große Firmen, welche London mit diesen überseeischen Ochsen- und Schafziemern versorgen; die eine ist eine große Actiengesellschaft, die Australian Meat Company, die andere ein Privatunternehmen. Die letztere, die sich lediglich mit Schöpsenfleisch befaßt, hat nun den glücklichen Gedanken gehabt, mitten in einem von Armen bewohnten District am Ostende der Riesenstadt, in Norton Folgate, hinter einem umfänglichen Verkaufslocale zugleich eine Küche zu etabliren, wo die Kunden das in den Vorderräumen erhandelte Fleisch für eine geringfügige Extravergütung sich je nach ihren Wünschen zubereiten lassen und verspeisen können.

Die Umgebungen des Locals sind höchst trübseligen Anblicks, aber das Etablissement gleicht einer Oase in der Wüste, so einladend und schmuck stellt es sich dar. Und man muß sehen, wie das umwohnende Publicum herbeiströmt und die an den Schaufenstern auf das Appetitlichste ausgestellten Delicatessen bewundert: wie es die Kupferpence in seinen Taschen mustert und, wenn das Resultat der Revision günstig, die Schwelle des culinarischen Paradieses überschreitet, von den minder Glücklichen, welche sich nur an dem Anblick von außen laben können, beneidet und als Notabilitäten bestaunt! Das Gedränge um den Ladentisch, der eine passende Auswahl aller der gebotenen Genüsse in decorativer Anordnung enthält, ist immer lebensgefährlich; hier sucht sich das Publicum aus, was seinen Gelüsten und dem Stande seiner Casse entspricht, nimmt sich dann die auf einem Seitentische aufgestapelten Teller und Schüsseln und verfügt sich damit in das eigentliche Speisegemach, einen kolossalen Saal, den lange Reihen von Tafeln und Bänken von einer Ecke bis zur andern ausfüllen. Die Fluthzeit des Etablissements währt von zwölf bis zwei Uhr Nachmittags; während derselben pflegt jedes Räumchen des gewaltigen Locales besetzt zu sein, und zwar sieht man darin neben den Vertretern der ärmsten Classe der Londoner Bevölkerung, neben dem offenbaren Bettler in zerlumpter Kleidung (der eigentliche Strolch und Dieb vermeidet dergleichen auf Anstand und Ordnung haltende Localitäten) Leute von ganz respectablem Aeußern, meist Schreiber und Commis, welche, bei einem geringfügigen Jahresgehalte von fünfzig bis hundert Pfund Sterling, die Gelegenheit, um billigen Preis ein sättigendes Mittagsmahl zu erhalten, mit Freuden ergreifen. Der gewöhnliche Betrag eines jeden der verabreichten Gerichte ist ein Penny; wer sich den Luxus von zwei Pence gestatten kann, wofür er zu seiner Schüssel noch gedämpfte Kartoffeln erhält, der gilt nach den Begriffen von Norton Folgate schon für einen Lucullus.

Wie schon erwähnt, bietet das Etablissement ausschließlich Schöpsenfleisch feil, bereitet dies jedoch in einer Menge verschiedener Gestalten zu. Das Fleisch ist vor dem Transport leicht eingepökelt worden und hat durch die lange Reise nichts von seiner Frische und seinem Wohlgeschmack eingebüßt. Für etwas bemitteltere Kunden importirt man auch präservirtes Fleisch in hermetisch verschlossenen Zinnbüchsen; dies wird vorher bereits gekocht und kommt das Pfund ungefähr auf sechs Pence oder fünf Silbergroschen zu stehen. Im Durchschnitt zählt das Local, außer der großen Menge von Kunden, die sich das erkaufte Fleisch mit nach Hause nehmen, Tag aus Tag ein mehr als tausend Tischgäste – während der verflossenen Weihnachtszeit stieg die Ziffer auf nahezu das Doppelte – so daß die Firma, obwohl bei Weitem die meisten dieser Gäste nur je einen Penny anlegen können, dennoch prosperirt. So gereicht, ein treffendes Beispiel von der nationalökonomischen Bedeutung des Welthandels, der Ueberfluß eines viele Tausende von Meilen entfernten Erdtheils der europäischen Armuth zum Segen.

H. S.


Physiologische Wirkungen des Bergsteigens. Ein bekannter Alpentourist hat vor Kurzem die Resultate sehr interessanter Experimente veröffentlicht, die er, mit einem außerordentlich feinen Apparat zur Messung von Temperatur und Circulation des Blutes und der Intensität des Athmens versehen, während einer Besteigung des Montblanc anstellte. Bis zur Höhe von dreitausendfünfhundert Fuß spürte er in der erwähnten Beziehung überhaupt keine Einwirkung; von da an jedoch trat eine merkbare Veränderung dieser Erscheinungen des Organismus ein. Bis zu zehntausend Fuß war die Veränderung noch eine sehr geringe, namentlich bei Denen, welche wußten, wie man hohe Berge zu ersteigen hat, nämlich mit gesenktem Kopfe, um die Mündungen der Athmungscanäle zu vermindern, so daß man nur durch die Nase die Lust einströmen läßt, während man den Mund fest geschlossen hält und irgend einen kleinen Gegenstand, eine Nuß, ein Steinchen oder dergleichen, hinein nimmt, der die Speichelabsonderung vermehrt. Ueber zehntausend Fuß hinaus aber wuchs die Anzahl der Athmungsbewegungen, welche bis dahin etwa vierundzwanzig in der Minute betragen hatte, zu sechsunddreißig pro Minute an, und der Athem selbst wurde kurz und schwer.

Diese Versuche stellten heraus, daß das ein- und ausgeathmete Luftquantum weit geringer war als in der Ebene und immer mehr abnahm, je höher man stieg, während zugleich nur sehr wenig Sauerstoff mit dem Blute in Berührung zu kommen schien. Wenn auch langsam und allmählich, so beschleunigte sich die Blutcirculation doch mit jedem Schritte, den man höher hinauf that, so daß die Zahl der Pulsschläge, die tiefer unten sich höchstens auf vierundsechszig in der Minute belaufen hatte, in der Nähe des Gipfels bis zu hundertundsechszig und selbst mehr stieg. Das Blut schien mit außerordentlicher Geschwindigkeit durch die Lungen zu passiren, welche, im Verein mit dem immer sparsamer werdenden Sauerstoffe, eine unvollkommene Oxygenation zur Folge hatte. Auf der Spitze selbst waren die Adern an Kopf und Armen geschwollen, und Gesichtsblässe und eine peinliche Schläfrigkeit traten ein; selbst nach einer längern Zeit absoluter Ruhe blieben die Pulsschläge noch immer neunzig bis hundert in der Minute. Die innere Körperwärme schwankte sehr erheblich; von ihrem gewöhnlichen Niveau fiel die Temperatur bis auf dreiundzwanzig Grad Réaumur – eine sehr beträchtliche Abnahme. Nach einigen Minuten stieg die Körperwärme indeß wieder bis nahezu auf ihre normale Höhe. Während dieser Temperaturverminderung nahm der Verdauungsproceß keinen Fortgang, was beweist, wie praktisch die Maßregel der Schweizer Führer ist, alle zwei bis drei Stunden etwas zu essen. Diese Temperaturverminderung entsteht jedenfalls dadurch, daß sich die Wärme in mechanische Kraft verwandelt, die unter gewöhnlichen Umständen sich unablässig wieder ersetzt. Auf hohen Bergen aber und besonders auf steilen, schneebedeckten Graten ist eine größere Summe von Wärme zu dieser Verwandelung erforderlich, als der menschliche Organismus liefern kann, und hieraus entspringen die Abkühlung des Körpers und die Nothwendigkeit, öfters auszuruhen, um den gehörigen Wärmegrad wieder herzustellen. Die Schnelligkeit des Blutumlaufes ist wahrscheinlich auch eine der Ursachen dieser Temperaturerniedrigung, da das Blut nicht Zeit genug behält, sich in den Lungen mit dem Sauerstoff in der Luft zu verbinden.


Die Beethovenfeier, welche das deutsche Volk am 17. December dieses Jahres begeht, scheint eine des unsterblichen Meisters und der Nation, welche ihn ihren Sohn nennt, gleich würdige zu werden. Die Vorbereitungen mehren sich von Tag zu Tag und sie bekunden, daß alle Gauen unseres Vaterlandes in Beethoven einen der größten und erhabensten Geister verehren, welche die deutsche Erde gebar. Da auch die Bühnenvorstände nicht säumen werden, dem Schöpfer des „Fidelio“ den Tribut ihrer Dankbarkeit zu zollen, so halten wir es für unsere Pflicht, sie auf ein Schauspiel aufmerksam zu machen, welches durch das Lebensvolle, Dramatische seiner Composition, durch die aus warmem Herzen quellende Poesie seiner Ausführung und durch den das Ganze erfüllenden volksthümlichen Hauch vor Allem bestimmt scheint, an Beethoven’s Festtag das Volk in würdigster Weise zu erheben und zu begeistern.

Wir meinen Herman Schmid’s „Beethoven“, der, im vorigen Jahre geschrieben, bereits an mehreren Bühnen mit durchschlagendem Erfolg gegeben und namentlich am Josephstädtischen Theater in Wien, dann in Berlin und Petersburg mit Enthusiasmus aufgenommen wurde.

„Beethoven“ ist ein „Lebensbild“, welches, reich und, effectvoll mit Beethoven’scher Musik ausgeschmückt, das rührende Verhältniß des gewaltigen Mannes zur Gräfin Giulietta Guicciardi darstellt, ein erschütterndes Bild jener Zeit vorführt, da der Meister von dem größten Unglück, das auf sein Haupt fallen konnte, von der Taubheit getroffen durch das Leben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1870, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_223.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)