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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

in den alten Kram überlieferter, fester Sätze und auf die Krämer los. Wir hatten besondere Lesecirkel für dieselben, und der alte Schneider, der sie umhertrug, war den ganzen Tag auf den Beinen und lebte davon. Und welche Wonne, als unsere ersten Beiträge darin erschienen! Prutz war einer der stämmigsten und schlagendsten Freiwilligen unter diesen Mitarbeitern, und wir jauchzten ihm zu. Erfüllt und gekräftigt von diesem Kampfe, dessen Helden sich zutrauten, die Welt zu überwinden und neu zu gestalten, fühlte er sich bald getrieben, die Städte vieler Menschen zu sehen, ihren Sinn zu erkennen und zu singen. Von seinen Weisen klangen deshalb bald Lebenszeichen, meist duftige Blüthen der Poesie, in unser altes rauchiges Halle hinein. Ich, nach Berlin verschlagen, verlor ihn seitdem fast für immer aus den Augen, aber seit dem Jahre 1840, dem von mir auf zweihundertvierzig Seiten besungenen, censirten und confiscirten „Jubeljahre“, sang er unter den neuerwachten, zum Theil stürmischen Haß predigenden und „die Kreuze aus der Erde reißenden“ Dichtern so frisch und reich an freudigen Illusionen mit, daß die leibliche Abwesenheit wenig beachtet ward. Herwegh, Prutz, Freiligrath und unzählige dünnere Stimmen, die klanglosen, prosaischen „vier Fragen eines Ostpreußen“ – Geisterdrang aus den Hörsälen der Wissenschaft in das Leben, in den Staat, dessen Kampf dagegen – Hin- und Hergeschiebe von Hoffnungen und Befürchtungen, von Zugeständnissen und Verboten – Prutz fast immer mitten darunter. Er war viel mäßiger und edler, als die eigentlichen Revolutionäre, geachteter durch seine positive und prosaische Arbeit, blieb aber doch viele Jahre lang ein polizeilich verfolgter, gemaßregelter, hin- und hergehetzter Lieblingsfeind der frommen Herren in Berlin, welche allmählich den reichen und des Edelsten fähigen Geist Friedrich Wilhelm’s des Vierten verwirren und zerstören halfen.

Was hatte er denn eigentlich begangen? I nun, den „Moritz von Sachsen“, sein feurigstes, gelungenstes dramatisches Gedicht, oder vielmehr seinen Dank für die stürmisch begeisterte Aufnahme im Berliner Schauspielhause. Es war im oder bald nach dem Jubeljahre. Das vollste Haus mit einem auserwählten Publicum, wie damals bei allen ersten Aufführungen. Ausbrüche des Beifalls und der Begeisterung durch alle Acte hindurch. Endlich vor den gefallenen Vorhang: Prutz, Prutz, Prutz! und immer wieder und immer stürmischer: Prutz! bis er, mit weißen Handschuhen den schwarzen Hut schwingend, hervortrat. Dank, herzlichster Dank mit warmer, klangvoller Stimme, aber auch die Mahnung, Dichterworte der Freiheit und der Menschenerlösung nicht blos im Theater zu beklatschen, sondern vielmehr im Leben geltend zu machen. – Dafür mußte er büßen. Ausgewiesen oder bedroht oder ohne polizeiliche Erlaubniß, sich ernähren zu dürfen, finden wir ihn Jahre lang ohne sicheren Wohnsitz in Jena, Halle, Dresden, Hamburg, wieder in Halle, wieder in Berlin, in seinem Geburtsorte, in Leipzig, mehr oder weniger behindert und gehetzt, immer in überhäufter Arbeit, so daß er wohl mancher Bestellung, manchem Verleger untreu ward, auch nicht selten im tragikomischen Kampfe mit den unerbittlichen Forderungen des prosaischen Lebens. Der begeisterte Idealist und Dichter hatte in Dresden noch eine schöne Künstlerin von den idealen Brettern her und vor dem Altare vorbei heimgeführt. Nun galt es doppelt, sich mit kräftigem Ruderschlag durch die Wogen zu steuern, harte, mühevolle Arbeit kam Jahr aus, Jahr ein, bis endlich für Prutz das Ziel seiner wahren Wirksamkeit erreicht war und damit die Aussicht auf einen schönen, ruhigen, von der Ehre und Liebe eines ganzen Volkes sonnig erleuchteten und erwärmten Lebensabend. Die Werke des Literarhistorikers und Dichters finden wohl kaum in dreißig Bänden Raum. Manches war Kind der Zeit, hat seine Dienste gethan und ist vergessen; aber sein „Göttinger Dichterbund“, Geschichte des „deutschen Journalismus“ und des „Theaters“, die „Zehn Jahre“ (1840 bis 1850), das „literarhistorische Taschenbuch“ (1843 bis 1848) bieten der Erkenntniß unserer Zeit noch werthvolle Lichter. Von den Romanen: „Die Schwägerin“, „Felix“, „Das Engelchen“ und „Oberndorf“ wird sich namentlich der vorletzte als eine Erquickung edler Gemüther gegen Vergänglichkeit zu schützen wissen. Seine dramatischen Dichtungen, schon vor sechszehn Jahren in vier Bänden erschienen, spielten kaum eine bedeutende Rolle auf den sich immer mehr deutschem Geiste und Streben entfremdenden Bühnen, und „Moritz von Sachsen“ wurde blos aufgeführt, um verboten zu werden.

Solche Schicksale und Zustände reizten zur Satire, in welcher er trotz seiner mehr pathetischen und lyrischen Natur durch die „Politische Wochenstube“ zum deutschen Aristophanes ward. Das „Deutsche Museum“ war seit 1851 beinahe fünfzehn Jahre lang eins der edelsten Organe für die Erscheinungen und Bestrebungen in unserer Literatur, aber auch Quelle vieler Leiden, wozu noch seine Professur in Halle kam. Also war er doch wirklich Professor geworden? Ja, 1849 außerordentlicher, und zwar der Literaturgeschichte. Der erste Lehrstuhl dafür auf deutschen Universitäten, ein kurzer Jammer und dann seitdem der letzte für die reichste Quelle unserer Größe, unseres idealen Ruhmes auf der Erde, unseres wahren Herzensglückes. Die Facultäts-Professoren, der Cultusminister von Raumer, Verdrießlichkeiten und Krankheiten aller Art verwandelten diese außerordentliche Ehre in damals wieder ordentliche Polizeiquälerei. Davon krank und niedergeworfen, raffte er sich blos auf, um sich aus dieser Hölle zu befreien und in seiner Vaterstadt Stettin einen neuen Kampf gegen Krankheiten und Entbehrungen aller Art aufzunehmen. Während aller dieser niederdrückenden Schicksale blieb ihm die Gabe Gottes, zugleich tröstend für die Welt dichterisch zu sagen und zu singen, was er leide, eine treue Gattin und neben seinem Schmerzenslager hold erblühende Töchter. „Gedichte“, „Neue Gedichte“ in zwei Bänden und mehreren Auflagen „Aus der Heimath“, „Aus goldenen Tagen“, „Herbstrosen“ und endlich „Das Buch der Liebe“ gaben uns einen Dichter, dessen bald elegische, bald anmuthig tröstende und immer herzerquickende Töne wohl niemals in dem klangreichen deutschen Dichterwalde verstummen werden. Die große Welt weiß sie freilich kaum zu würdigen. Man findet Dies und Jenes hübsch, schön, niedlich, und Dies und Jenes noch besser, und wie sonst die holden Damen urtheilen; aber nur Wenige ahnen, wie der Schmerz die Tiefen des Gemüthes befruchtend aufwühlte und die Passionsblumen solcher Lieder mit den Marterwerkzeugen in ihren Kelchen hervortrieb. Doch mag manche Thräne aus schönen Augen als Perlenthau beschwichtigten Schmerzes darauf zittern. –

Gebrochen in seiner körperlichen Kraft und Gesundheit, aber geistig gereifter und gerüsteter als je, erhob er sich endlich aus niederdrückender Krankheit und Noth zu seiner wahren, höchsten Wirksamkeit als Wanderprofessor der deutschen Literaturgeschichte. Der Staat, die Universitäten haben keinen einzigen armseligen Platz dafür; Prutz schuf ihr allein eine gute Anzahl von Lehrstühlen und zauberte freudig gedrängte und lauschende Schaaren um sie her. „Der Vortrag macht des Redners Glück“ und zwar ein schöneres, verdienstvolleres, als die meist unbeholfen sprechenden oder ablesenden Universitätsprofessoren ahnen. Prutz verdankt einen guten Theil des Erfolges und Ruhmes der schön ausgebildeten seltenen Gabe seines lebendigen, mit kräftiger Mannesstimme wahr, warm, frei und klar fließenden Vortrags. Dazu kommt: „Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen.“ Und er fühlt es nicht nur, er weiß es auch; er beherrscht den mächtigen Stoff, in welchem wir den wahren Stolz Deutschlands ahnen, als Meister. Dabei dürfen wir seine Vergangenheit, sein tragisches Geschick, den Lorbeerkranz, welchen ihm die Muse deutscher Dichtkunst auf die Stirn drückte, nicht übersehen. Diese Verhältnisse wirkten glücklich zusammen, um ihm den Weg zu seinem jetzt erreichten Ziele zu bahnen oder wenigstens abzukürzen. Und doch ist wohl sein eigentlichstes Thema, dieses achtzehnte Jahrhundert, die Hauptmacht. Freilich haben auch viele andere nicht unbedeutende Männer gut und glücklich darüber geschrieben und gelesen ohne das Volk zu packen und zu erwärmen. Deshalb ist es auch wieder zweifelhaft, ob wir den Mann oder sein Material an die Spitze stellen sollen. Das Beste wird sein, sie neben einander innigst verbunden aufzufassen. Die Tausende, welche ihn gehört haben, werden auch gern bezeugen, daß sie gerade in dieser innigsten Durchdringung so erwärmend und geistig verklärend wirkte. Ja, so muß man den Stoff beherrschen, geistig durchdrungen haben, im Innersten fühlen und mit urkräftigem Behagen ausströmen lassen, um die Herzen aller Hörer zu zwingen! Dieses achtzehnte Jahrhundert steigt vor uns in dem ganzen Umfange seiner Größe und Bedeutung, seinen gewaltigen Ideen und großen Männern, seinem Riesenkampfe gegen die steinernen Gäste mittelalterlicher Romantik, die Bastille des Despotismus, verknöcherte Satzungen der Schulweisheit und die französische Louis- und Maitressenwirthschaft auf.

Die Haupthelden und Märtyrer Englands, Frankreichs und Deutschlands

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_230.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)