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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


„Adelheid, geliebte Adelheid, Thränen in diesen Augen, das ertrag’ ich nicht!“ Und er küßte ihr die heißen Tropfen von den Wimpern. „Komm, tröste Dich! Wie lange kann es denn noch dauern, so legt Dein Gatte sein müdes Haupt zur Ruhe, dann bist Du mein – und Deine Ehre ist gerettet! Adelheid, kann es denn etwas Heiligeres, Reineres geben, als eine Liebe, die, fast aus der Kindheit stammend, eine Trennung von fünfzehn Jahren überdauert? Sieh, meine Adelheid, dieser Gedanke wurde der Leitfaden meines ganzen Lebens, dieser Schmerz um Dich wurde der Grundzug meines Charakters. Meine Cameraden nannten mich einen Sonderling – um ihrem Spott und ihrer Verführung zu entgehen, wählte ich mir einen meiner Stimmung angemessenen Beruf – ich trat in den Johanniterorden ein und stellte ihm, da ich keine Mittel besaß, meine Person zur Verfügung. Man schickte mich in den Orient, ich scheute weder Mühe noch Gefahr mit Deinem Bilde im Herzen. In dem Brand der Wüstensonne reifte meine Liebe zu Dir. Im Dienst der höchsten und heiligsten Ideen läuterte sich meine Seele, um ein würdiges Gefäß des köstlichen Inhalts zu werden, den Du einst hineingießen würdest. Und als ich endlich zurückkehre, finde ich Dich so schön, so liebenswerth, wie Du nie warst – so schön, daß alle meine Träume von Dir als blasse Schemen verbleichen vor der bezaubernden Wirklichkeit.“

Adelheid war von seiner Leidenschaft wie in einen Gluthstrom getaucht, sie athmete tief auf, als drohten sie die heißen Wellen zu ersticken, sie vermochte nicht zu sprechen. Es dunkelte in der kleinen unter Bäumen versteckten Hütte, kein Strahl der Abendsonne drang durch das Dickicht. An der gewölbten Balkendecke summte ein Käfer und stieß prasselnd mit dem dicken Kopf gegen das Holz an. Sonst war es so still und einsam um die Beiden her, und mit den Schatten der Dämmerung wallten die betäubenden Düfte der Wachholderbüsche von draußen herein und durchzogen den engen Raum wie Weihrauch eines Liebesgottesdienstes. Da war es Adelheid plötzlich, als riefe eine Stimme „Helione!“ und eine geisterhafte Gestalt stand vor ihr und blickte sie traurig an, so unaussprechlich traurig! Es durchschauerte sie. Was wollte der finstere Gast in dieser Stunde? Was kümmerte es ihn, wenn sie einem Andern gab, was er verschmähte? Sie ließ sich zu Egon auf die Bank nieder. Aber der Schatten wich nicht, immer und immer ruhte Feldheim’s dunkeles Auge auf ihr, immer wieder mußte sie den Blick zu ihm erheben und ein Schmerz erfaßte sie, ein wunderbar süßer Schmerz um den stillen traurigen Schatten. Und sie riß sich los von Egon, sie eilte ein paar Schritte der warnenden Erscheinung entgegen. Sie wollte ihm zu Füßen sinken und ihn anflehen: „Rette mich, noch ist es Zeit – Alles, Alles will ich Dir hingeben, wenn Du Dich meiner erbarmen willst!“ Sie rang die Hände nach ihm empor, sie wollte sich an ihn anklammern, um nicht hinabgerissen zu werden von diesem Strudel ihres eigenen wallenden Blutes. Aber der finstere Mann machte eine abwehrende Bewegung gegen sie, wie damals, als sie sich ihm liebend und selbstvergessen genaht, es tönte ihr schneidend im Ohr: „Auch Sie haben Ihre Sonnenflecken!“ Und die Gestalt wandte sich verächtlich von ihr ab.

Ein warmer Athem streifte sie, zwei Arme legten sich mit leisem Druck um ihren schlanken Leib. „Was kämpft meine Adelheid?“ fragte Egon’s melodische Stimme. Da zerfloß die Erscheinung rascher und rascher in nichts, und ein brennender Schmerz war Alles, was in Adelheid’s Busen zurückblieb. Warum sollte sie dieses Herzeleid ertragen? Und sie warf sich dem Geliebten in die Arme und suchte Heilung für eine unheilbare Wunde, Betäubung für einen unerträglichen Schmerz.

Eine aufrichtige Dankbarkeit und Reue ergriff sie für den treuen Mann, dessen einziger Lebensinhalt sie war. Und dieses warme, immer gleiche Herz hatte sie verrathen wollen! Nachdem sie seine Jugend vergiftet hatte durch seine Vermählung mit Salten, war sie jetzt wieder nahe daran gewesen, ihn auch um die Hoffnung seiner ganzen Zukunft zu betrügen und sich einem kalten herzlosen Manne hinzugeben – der sie verschmähte! Unrecht und Irrthum, wohin sie sich wandte! Wo war der Weg, auf dem sie sich zurückfand zu der seligen Unschuld ihrer Jugend? Hier war er – nur hier an der treuen Brust ihres einstigen Geliebten. Er hatte ihr zur Seite gestanden von Kindheit an, bei ihm wollte sie ausharren – in ihm fand sie ihre Jugend wieder und, meinte sie – auch ihre Unschuld! Aber ach, mit Schrecken fühlte sie, daß sie ihn nicht mehr liebte! Und dennoch – seltsamer Widerspruch – weil sie dies fühlte, wollte sie ihm die verlorene Liebe durch doppelte Zärtlichkeit ersetzen!

„Egon,“ flüsterte sie, „was kann ich thun, um gut zu machen, was ich an Dir gefehlt? Wie kann ich Dir meine Reue, meine bittere Reue beweisen?“

„Versprich mir, daß Du Alles daran setzen willst, um bald nach M*** überzusiedeln, ich muß Dich in meiner Nähe haben, wenn mich die Leidenschaft für Dich nicht wahnsinnig machen soll!“

„Ich verspreche es Dir, sofern es nicht auf Kosten von Alfred’s Wohlergehen geschehen muß! Du weißt ja, wie furchtbar ihn der bloße Gedanke daran erschütterte.“

Egon warf sich vor ihr auf die Kniee: „Adelheid, denke nicht immer an das Kind! Wie könnte ich hoffen, daß wir je glücklich werden, wenn Du dem Knaben stets mich und unsere Interessen aufopferst? Bedenke, wie nothwendig es ist, daß er meinen Grundsätzen und Anschauungen allmählich näher gebracht werde, bedenke, daß ich einst sein Vater werde. Wir haben viel zu thun, wenn wir gut machen wollen, was Dein Mann und dieser den Brutus spielende Erzieher an dem Knaben verdorben! O, lerne nur endlich einmal lieben mit der echten Liebe, die Du nicht kennst, und Du wirst Dich stark zum Entschlusse fühlen. O Adelheid, wenn Du so warm wärst, wie Du schön bist, die Göttinnen würden Dich, die Götter mich beneiden: Du würdest, ein weiblicher Jupiter, mit dem Goldregen Deines Haares den armen Sterblichen überschütten, daß er in dem Uebermaß der Wonne vergehen müßte!“

Er legte den Kopf auf ihre Kniee, sie bog sich leise zu ihm herab und löste ihre Locken und Flechten auf, daß der goldene Regen in dichten Strömen über das Haupt des Glücklichen niederfluthete. Da gab es keine Worte mehr, ein süßes Verstummen ergriff sie. Plötzlich fuhr Adelheid zusammen: „Was ist das? Was regte sich dort?“

Egon sprang auf wie aus einem Traume und eilte zum Fenster, wo sich der herabgelassene Vorhang stark bewegte. Er riß ihn auf und sah hinaus. Es raschelte etwas in dem Gestrüpp, aber er konnte nichts erkennen. „Es wird eine Katze gewesen sein,“ beruhigte er das erschrockene Weib. – –

Der Freiherr saß allein bei seiner Zeitung am offenen Fenster, er konnte nicht mehr lesen, es war zu dunkel. Er ließ die Zeitung auf seine Kniee sinken und stützte den Ellenbogen auf das Gesims und das matte Haupt in die Hand. Er schaute dem mächtigen Zuge der Abendwolken nach, deren feurige Säume sich von Zeit zu Zeit aufleuchtend und wieder verschwindend in dem See spiegelten. Wo zogen sie hin? Die Schiffe und Kähne auf der Fluth steuerten langsam heimwärts, auch dem alten Manne war es plötzlich, als sollte er bald – heimwärts steuern. Eine Thräne schlich ihm über die vertrocknete Wange. Es war ihm wie ein nahes Abschiednehmen, und der Abschied wurde ihm schwer, er hatte noch so Vieles, wovon sich das Herz ungern losriß. „Der Tod ist nichts als ein Augenblick, der vorübergeht,“ sagt Pestalozzi. Der Freiherr wischte sich die Thräne von der Wange und sah still ergeben dem Verglühen des Abendhimmels zu. Friede ruhte auf seinem greisen Haupte, Friede mit sich und Gott. –

Da schleppte sich eine schwankende Gestalt durch den Garten her; war das Alfred? Er trat in’s Haus und kam in’s Zimmer. Der Freiherr wandte sich erschrocken nach ihm um. Seine Hände waren geschunden von dem Sturz, als er endlich doch in der höchsten Angst mit dem lahmen Fuß zum Fenster hinausgesprungen; seine Kleider waren zerrissen von dem Gestrüpp, durch das er sich gewunden. Sein Gesicht war aschfahl, voll tiefer Furchen und Ringe um die Augen, seine Lippen bläulich wie eines Sterbenden. Mit schlotternden Knieen ging er auf den Vater zu. „Vater, mein armer, lieber Vater!“ schrie er auf und warf sich mit dem Ausdruck liebender Verzweiflung an des Freiherrn Brust, als sei diesem ein großes Unglück geschehen – oder ein großes Unrecht!

(Fortsetzung folgt.)



Inhalt: Der Fels der Ehrenlegion. Novelle von Berthold Auerbach. – Der Wander-Professor deutscher Literatur. Mit Portrait. – Aus den Zeiten der schweren Noth. Der „Löwenstein“ in Braunschweig. – In den Vorproben zum diesjährigen Passionsspiel in Oberammergau. Von Herman Schmid. – Bei den Enkeln. Gedicht. Von Friedrich Hofmann. Mit Abbildung. – Aus eigener Kraft. Von W. v. Hillern. (Fortsetzung.)



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_240.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)