Seite:Die Gartenlaube (1870) 267.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

allerjüngsten Stücks Leipziger Zauberwelt, für die vom glücklichen Erbauer der vierundzwanzigste April zum Tag der feierlichen Einweihung bestimmt ward. Fast über Nacht ist hier in den letzten Monaten ein Etablissement entstanden, wie es origineller und großartiger keine Stadt Europa’s aufzuweisen hat.

O Ihr alten Schützen, da schaut her: was ist aus Eurer langweiligen Schießwiese geworden! Ein Wundergarten, von Bau- und Naturgebilden fernster Zeiten und Länder umrahmt! Das Bunte reizt den Blick zuerst. Darum schauen wir unwillkürlich zur Linken hinüber. Orientalisches Farben- und Formenspiel blitzt, glänzt und funkelt dort in lebendigstem Wechsel. Sie nennen’s Alhambra, was dort in drei Terrassen aufsteigt, gekrönt von der Riesenmuschel der Tonhalle und überragt von einer vor der Hand noch geheimnißvollen Thurmkuppel. Eine Kettenbrücke führt von dort über einen Abgrund zu einer mächtigen Felsenburg, die sofort an die Riesenburg der fränkischen Schweiz erinnert: – aber mehr als fränkische Schweiz ragt dahinter herein; glitzern nicht dort die Eiskanten des Hochgebirges? Sind das nicht die Alpen in Lebensgröße? Ja, sie sind es, und wo Eiskanten glitzern, da kann uns zu rechter Zeit auch das Alpenglühen nicht entgehen.

Die Felsenburg, von rauschenden Wasserstrahlen belebt, trägt auf ihrem Scheitel einen Tempel, auf welchem Atlas eine sehr große Weltkugel auf dem Rücken balancirt. Ein Felsenthor, hinter welchem abermals eisbekantete Alpenhäupter hervorblicken, verbindet den Fels mit einer Alm, wenigstens schaut gar schmuck hinter buschigem Grün ein Schweizerhaus hervor. Eine offene Halle, auf Säulen von rohen Holzstämmen ruhend und mit durchweg einfachem Naturausputz ausgestattet, rückt nun zur Rechten auf eine Ritterburg los, die sich theilweis noch wohl erhalten und wohnlich aus den Trümmern ihrer Vergangenheit erhebt. Damit schließt das Bild zur Rechten ab.

Nun hinab und in die Nähe dieser Herrlichkeiten! Unsere Illustration zeigt die höchst leichte Begrenzung des neuen Lustraumes durch Holzgerüstbogen, welche heiteren Schlinggewächsen zum Halte dienen sollen; von gleichem Styl und Material ist das hohe Mittelthor, beschützt von zwei ebenso luftigen Thürmchen. Die Säulen der letzteren umgeben zwei schöne Erz-Statuen: links die „Concordia“, rechts die „Industria“. Ein Schritt durch das Thor, und wir sehen zur Linken und Rechten vier Gruppen von Terracotta aufgestellt, zu deren genauerer Betrachtung wir zurückkommen. Mitten den Hauptweg vorwärts wandelnd und rechts und links umblickend erkennen wir bald, welch feiner Sinn hier gleich im Grundplan des Ganzen gewaltet. Während die Alhambraseite durch das heitere Spiel ihrer Formen und Farben in der That zu keinem ernsten Gedanken kommen läßt, imponirt die Felsenburg durch ihr Massiges, das aber durch seine Wasser- und Lichteffecte ebenfalls in’s Bereich der Heiterkeit zieht. Dagegen findet zur Rechten das abgehetzte Auge in Grün und Braun der Trinkhalle wohlthuende Ruhe, die von der Ritterburg keineswegs gestört wird.

Zwischen zwei wohlgebildeten Löwen (sie sind aus Paris) und anderem plastischen Kunstschmuck hindurch gelangen wir endlich vor die von zwei ägyptischen Erzgestalten bewachte Höhle des Felsen, zu dem eine Brücke über den Bach leitet, der wahrscheinlich von den Alpen des Hintergrundes herkommt. Wir betreten sie nicht, sondern wenden uns rechts der Wasserfläche zu, die wir am klügsten einen Alpensee nennen, denn ein solcher braucht durchaus nicht groß zu sein, es genügt, daß der Himmel sich schwindelnd tief in ihm spiegele. Und das thut er hier; vor Allem spiegelt sich aber in ihm ein gar hellfarbiger schlanker Fels, welchen Sachverständige als die Nadel der Cleopatra bezeichneten. Sie steht in einer Höhle, über welcher eine natürliche Felsenbrücke sich wölbt. Unfern davon winkt rechts eine Thür in unterirdische Räume. Wir folgen dem Wink bedenklich; aber welches Wohlgefühl beschleicht uns, wenn wir dort einen jener „kühlen Keller“ finden, wo man „sitzt bei einem Glas vom Besten“. Von der Ritter- bis fast zur Felsenburg dehnt der behagliche Raum sich aus, nimmt unter dem Schweizerhaus die Breite eines kleinen Saals an und steht hier mit der Oberwelt in directer Versenkungsverbindung. Da kann’s vorkommen, daß droben in der offenen Halle die vergnügten Menschen keine Ahnung davon haben, welche Seligkeit unter ihren Füßen, „tief unter der Erd’“, gepflegt wird.

Vom Schweizerhaus beschreiten wir den kühnen Felsenbogen, der zum Drachenfels führt, denn so nannte ein erfahrener Mann diese sagenreiche Stätte. Vorher haben wir Gelegenheit, die Alpenwelt zur Rechten mit den Eiskanten ihrer Rücken und Häupter mehr in der Nähe zu bewundern. Unsere Sehnsucht nach dem Alpenglühen nimmt dadurch außerordentlich zu.

So betreten wir denn die unheimlichen Hallen – und staunen. Offenbar ausgehauen in edelstes Felsgestein wölbt sich die Höhle, und bald da bald dort bleibt das entzückte Auge an köstlichem Kalktuff und Tropfstein, Erzstufen und Bergkrystall, Amethyst und Lapislazuli haften. Rauschende Wasser locken in die Tiefe, wir folgen einem halbdüstern Gang und stehen vor einem Aquarium, dessen Bewohner hier ewiglich zwischen Nacht und Licht schweben. Die Sehnsucht nach Licht treibt uns von dannen; wir steigen bis zu dem Tempel des Atlas hinauf und genießen hier den umfassendsten Rundblick, beste Genuß wir Niemandem durch eine Schilderung beeinträchtigen wollen. Nur das Eine müssen wir erwähnen, daß an einer scheinbar unersteiglichen Stelle des Fesenthors dennoch die Inschrift zu sehen ist: Kieselack 1869.

Wir stehen nun vor dem schwindelnden Steg, der Kettenbrücke über den Abgrund, auf welcher abermals zur Rechten der Blick in die Alpen sich aufthut. Diesmal aber reißt das, was vor uns sich präsentirt, uns zu gewaltig dreitausend Jahre in die Vergangenheit zurück, als daß die Alpen uns halten könnten: dort duften in üppigstem Flor und in zartester Miniaturausgabe die hängenden Gärten der Semiramis, – ein wahrhaft reizendes Plätzchen, und was wir früher als geheimnißvollen Thurm hinter der Tonhalle erblickten, klärt sich jetzt als Pavillon der Semiramis auf. – Eine Wendeltreppe läßt von hier in den Saal der Alhambra gelangen, von dem durch ein Gitter der Raum der Tonhalle abgesperrt ist, deren Bestimmung kunstvoll angedeutet wird durch zwei Statuen musikalischer Genien. Jenseits derselben beginnt auf der höchsten Terrasse eine Reihe offener Logen oder Boxes für Grüppchen und Trüppchen, die unter sich sein wollen. Darunter ziehen die offenen vasen- und statuettengeschmückten Terrassen sich hin bis zu einem hohen Altan, der sich über den Häuptern Derer breit macht, welche darunter im Kegelbahnsalon ihrem geräuschvollen Vergnügen ohne die geringste Störung ihrer Nachbarschaft nachgehen.

Die Dämmerung naht, und drüben winkt von der Ritterburg uns der Söller zur gemüthlichen Schau auf die Nachtstücke der Naturkunst und der Kunstnatur dieser neuen Welt in Leipzig. Jetzt führt unser Weg an den humoristischen Kindergruppen vorüber, die die Zierde einer Wiener Ausstellung waren. Sie stellen der Reihe nach dar: Handel und Gewerbe, Kunst und Wissenschaft, Jagd und Fischfang, Acker- und Gartenbau. Es thut Einem die Wahl weh, bei welcher dieser durchweg löblichen Beschäftigungen man bleiben soll, so reizend zeigen sie sich alle. Wir geben der des Malers, schon wegen seiner achtbaren Leistungen, den Vorzug.

Durch den halbverfallenen Burghof und die Vorhalle mit ihrem Kreuzgewölbe gelangen wir zur Steintreppe, die zum Söller der Burg hinaufführt. Hier ruhen wir aus im Anblick der volkdurchwogten Räume, denn nun wimmelt es überall, behäbig Wandelnde, neugierig Eilende, zwischen den bunten Damen die dunkeln Herren in der Alhambra, zwischen den dunkeln Herren die bunten Damen in der düstern Halle zwischen Burg und Schweizerei. Da richten sich plötzlich alle Augen nach dem Hochgebirg – ein tausendfaches Ah! durchhaucht die Luft – es beginnt die noch nie dagewesene Naturerscheinung – das Alpenglühen in Leipzig! – Athemlose Stille. Wie sie aufblühen – die Rosen im Schnee! Vom Scheidegruß der Sonne berührt, erröthen die Häupter mehr und mehr, je dunkler die Nacht zu Thale sinkt. Und endlich ist’s die volle Purpurgluth: von dem Purpurmantel, welchen die Berge dem Himmel zu umgeschlagen, sehen wir auf Erden nur den Saum, aber diesen in seiner vollen Herrlichkeit.

Und das dauert hier nicht etwa nur minutenlang, wie anderswo – i bewahre! Unser Alpenglühen überdauert den Sonnenuntergang. Lampe an Lampe erleuchtet Garten und Halle, aus den Höhlen des Drachenfelsen bricht unheimliche Gluth hervor, die Wasserfälle verwandeln sich in Gold- und Blutströme – die Himmelskugel des Atlas wird ebenfalls leuchtend und macht dem Vollmond meilenweit in der Umgegend siegreich Concurrenz; – und durch all’ dieses Leuchten, Strahlen und Flimmern hält das Alpenglühen Stand mit felsenstirniger Beharrlichkeit. Wir leben

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_267.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)