Seite:Die Gartenlaube (1870) 281.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

berühmten Buche über den Staatsstreich, „die mit dem Blute des Abgeordneten Baudin getränkt wurde, ist eine der traurigsten, aber zugleich eine der stolzesten Erinnerungen der republikanischen Partei geblieben.“ Ich war noch mit der Betrachtung des Bildes beschäftigt, als sich die Thür hinter mir öffnete. Als ich mich umwandte, erschien Rochefort auf der Schwelle des Zimmers und ersuchte mich einzutreten.

Alle Bilder Rochefort’s, die ich in Deutschland sah, haben denselben Gesichtsausdruck. Der Ausdruck ist finster, die Augenbrauen sind zusammengezogen; das Auge schaut unter diesen zusammengezogenen Brauen mit einem stechenden Blick hervor. Ich hatte Rochefort einige Male in Auteuil, in der Kammer und auf der Straße gesehen, aber diesen Blick nie bemerkt. An dem Abend, wo ich ihm meinen ersten Besuch auf der Redaction der „Marseillaise“ machte, trugen seine Gesichtszüge in dem Moment, als er auf der Schwelle seines Zimmers erschien, in der That diesen finstern und nichts weniger als angenehmen Typus. Aber dieser Ausdruck verschwand sofort, als er mich mit einigen freundlichen Worten begrüßte; die Wolke auf der Stirn und der stechende Blick des Auges hatten einem äußerst sympathischen und gewinnenden Ausdrucke Platz gemacht. Kopf und Gesicht Rochefort’s haben den südfranzösischen Typus. Solche Köpfe sieht man in der Provence, in Cette, in Arles, in Marseille. Reiches, schwarzes Haar, aufwärts gekämmt, beschattet eine hohe Stirn; ein schwarzes Schnurrbärtchen unter einer wohlgebildeten, nicht großen Nase deckt die feingeschnittene Oberlippe, ein kurzgehaltener Henri quatre das runde Kinn; die Augen sind dunkel und feurig; ein Schatten von Schwermuth oder Trauer legt sich dann und wann plötzlich über diese edlen und während der Unterhaltung sich belebenden Züge und giebt ihnen dann einen Anstrich von Kränklichkeit. Die Gestalt Rochefort’s ist groß, schlank, ich möchte sagen, mager; seine Stimme sonor, von gewinnendem, angenehmem Klange. Der Typus des vornehmen französischen Seigneurs ist in der Gestalt und im Wesen Rochefort’s unverkennbar.

„Bürger Rochefort,“ sagte ich, als er mir die Hand zum Willkommen gereicht hatte, „ich bewundere Ihren Muth und Ihr Talent. Sie waren der Erste, der den Feldzug gegen Bonaparte und gegen das Empire eröffnete. Ihre Art und Weise, das Empire anzugreifen, war die richtigste und für dasselbe verderblichste. Ich freue mich, Sie kennen zu lernen –“

„Sagen Sie mir,“ unterbrach mich Rochefort, und ein Schatten flog über diese edlen, schönen Züge, und das Auge nahm auf einen Moment wieder den stechenden Ausdruck an, von dem ich oben sprach, „überhäuft man mich in der deutschen Presse auch mit diesen nichtswürdigen, widerlichen Verleumdungen, wie hier die bonapartistischen Blätter?“

„Das ist allerdings der Fall! Alle Sympathieen der Radicalen und der Republikaner in Deutschland sind aber mit Ihnen – und diese glaube ich Ihnen aussprechen zu dürfen.“

Der düstere Schatten verschwand von Rochefort’s Zügen; sein Auge verlor den fatalen Blick. „Kommen Sie,“ sagte er und schob mir einen Sessel an das Kaminfeuer, „setzen wir uns. Es freut mich, in Ihnen einen Cameraden aus Deutschland kennen zu lernen.“

Unser Gespräch lenkte sich natürlich sofort auf die französischen Zustände. Es waren erst wenige Tage nach der Bestattung des armen Victor Noir verflossen. Ich sprach von der Demonstration in Auteuil. „Begreifen Sie Flourens?“ sagte ich, „was wäre das für ein Unglück geworden, wenn die zweimal hunderttausend Menschen mit der Leiche nach Paris gezogen wären!“

„Flourens ist sehr exaltirt. In seiner Exaltation hatte er sich die Consequenzen einer solchen Handlung nicht klar gemacht. Ich war doch dafür verantwortlich. Es stand das Leben von Tausenden auf dem Spiel.“

Dann sprach er von der Verwerflichkeit des Empire und seiner Träger und Helfershelfer und von Ollivier. Rochefort sprach sich mit derselben Erbitterung aus, wie einige Tage früher Delescluze. Auch Rochefort fragte ich dann nach dem Feldzugsplan der republikanischen Partei. Er entwickelte mir denselben ganz in der gleichen Weise wie der Chefredacteur des Réveil und wiederholte ausdrücklich mehrmals: „Wir müssen um jeden Preis jetzt jeden blutigen Zusammenstoß in Paris verhindern; der Sieg der Republik ist unzweifelhaft; wir brauchen nur Zeit, um ihn zu erringen.“ Ich denke, diese gegen mich ausgesprochenen Ansichten Rochefort’s werden wohl Jedermann überzeugen, daß die nach seiner Verhaftung in der Rue de Flandre stattfindenden revolutionären Scenen in Belleville und im Quartier du Temple nur die natürlichen Consequenzen der in Paris herrschenden, durch die Polizisten Pietri’s geschürten Aufregung waren und durchaus nicht von der republikanischen Partei ausgingen, sondern ganz im Gegentheil in crassem Widerspruch mit ihren Grundsätzen standen. Wenn es überhaupt im Plane der Republikaner gelegen hätte, Anfang Februar in Paris eine revolutionäre Erhebung gegen das Empire zu veranstalten, so hätten sowohl Delescluze wie Rochefort gegen mich aus derselben gar kein Geheimniß gemacht. Ich habe ausdrücklich diesen Punkt mehrmals in meinen Unterredungen berührt; Beide haben diese Absicht in der bestimmtesten Weise in Abrede gestellt. Auch von der Eventualität des plötzlichen Todes Louis Bonaparte’s sprach ich an diesem Abend mit Rochefort. Ich muß sagen, auch Rochefort rechnet mit Bestimmtheit darauf.

Ich versprach Rochefort bei meinem Besuche in Paris, nach meiner Rückkehr nach Deutschland seinen Verleumdern und Feinden in der deutschen Presse mit der Aufdeckung der Wahrheit entgegenzutreten. Keine Lüge ist so niederträchtig, keine Verleumdung so boshaft, keine Klatscherei so albern, welche man nicht in Deutschland gegen den Mann versucht hat in Scene zu setzen und zu verbreiten, dem der berühmte Verbannte von Jersey kürzlich fast dieselben Worte schrieb, in denen ich ihm in Paris meine Sympathie aussprach: „Ich bewundere Ihren Muth, Ihr Talent und Ihren Charakter.“ An allen diesen Verleumdungen und Erbärmlichkeiten welche darin gipfeln, daß Rochefort ein verkappter Legitimist oder Orleanist im Interesse der Wiederherstellung des Königthums arbeite, daß er ein mauvais sujet, als Mensch ohne Talent und Charakter, ein Abenteurer sei, daß er früher im Dienste der bonapartistischen Partei gestanden habe, ist auch nicht ein wahres Wort. Alle diese Erbärmlichkeiten lassen sich auf einige schmutzige Broschüren zurückführen, welche ein paar bonapartistische Soldschreiber im Auftrage der Regierung in Paris unter das Publicum schleudern mußten, um den Verfasser der „Laterne“ in der Achtung der Menschen herabzusetzen, als die gegen ihn in Scene gesetzten gerichtlichen und polizeilichen Verfolgungen sich als fruchtlos erwiesen und nur dazu dienten, die enorme Verbreitung der „Laterne“ zu verzehnfachen. Man erinnert sich wohl, daß Rochefort einmal, vom Zorn hingerissen, den Drucker einer dieser natürlich anonym erschienenen Broschüren zusammenschlug. Wenn man heut in Paris Jemandem diese abgeschmackten Verleumdungen über Rochefort auftischt, so wird man ausgelacht. Als ich mich bei dem Geschäftsträger einer großen europäischen Macht nach Rochefort’s Charakter und nach dem Werth dieser Albernheiten erkundigte, erwiderte er mir ganz aufgebracht: „Aber das Alles ist ja abgeschmackt! Jeder von uns hat hier den Mann gekannt. Er war ein kleiner Beamter auf dem Rathhause. Rochefort ist ein Mann von Ehre und Charakter. Niemand kann ihm etwas Uebles nachsagen.“ Ich werde nun in einigen Worten eine kurze Charakteristik Rochefort’s geben. Sie ist das Resultat der Erkundigungen, die ich bei seinen Collegen in der Presse, bei achtungswerthen Kaufleuten, welche die radicalen politischen Anschauungen und Mittel des berühmten Redacteurs der Marseillaise nicht theilen und lieber auf ruhigem Wege zur „déchéance de l’empire“ gelangen möchten, und bei zwei in Paris accreditirten Diplomaten über Rochefort eingezogen habe.

Graf Victor Henri Rochefort de Lucay – so ist Rochefort’s ganzer Name und Titel – stammt aus einer alten und vornehmen französischen Adelsfamilie. Sein Vater war durch Unglücksfälle und irrige Speculationen ruinirt, so daß der Sohn frühzeitig daran denken mußte, selbst seinen Lebensunterhalt zu erwerben. Seine Jugend war hart und schwer, voll von Entbehrungen und Arbeit; er gab Unterricht und verwaltete nebenbei ein sehr bescheidenes Aemtchen auf dem Pariser Stadthause, wofür er eine Besoldung von zwölfhundert Francs bezog. Daß Henri Rochefort seine Jugend in Estaminets und Weinhäusern verbracht habe, ist eine Lüge. Bis zu seinem siebenundzwanzigsten Jahre, sagte Herr Vermorel, hat Rochefort nie einen Fuß in ein Estaminet gesetzt. Er hatte von seinem geringen Einkommen noch eine alte Mutter zu ernähren und konnte sich derartige Ausgaben nicht erlauben. Heute ist Henri Rochefort fünfunddreißig Jahre alt; er ist am 29. Juli 1835 geboren. Das Einkommen aus den Lectionen und aus der kleinen Stelle als expedirender Secretair im „bureau des brevets“ des Pariser Stadthauses reichte nicht

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_281.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)