Seite:Die Gartenlaube (1870) 284.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


„Sind denn Alle zusammen hier mit einem Male toll geworden,“ fragte ich meinen getreuen Mentor, „daß sie sich solch einen Handel entgehen lassen? Siebenzehn Flaschen Spirituosen für die Bagatelle eines Schillings – das ist mehr, als ich fassen kann!“

„Gemach, gemach, lieber Freund,“ entgegnete mein Nachbar. „Hier im Saale weiß Jedermann recht wohl, was er thut, und ich wette, der Ersteher ist irgend ein Neuling und hat trotz seines Schillings ein sehr schlechtes Geschäft gemacht. Jedenfalls muß er auf den Posten den wahrscheinlich hohen Zoll nachzahlen, und vielleicht sind noch mancherlei andere Items dabei.“

Eine andere Proclamation lautete:

„6 Kisten eingezuckerte Orangenschalen; 1 Pfund Zuckerzeug; 2 Körbe Feigen; 20 Pfund Rosinen; eine angebrochene (Ullage) Flasche Weinessig; 17 Pfund parfümirte Seife;“ und die ganze süße wohlriechende Gesellschaft ward um einundzwanzig Schillinge zugeschlagen; wahrscheinlich fehlte auch hierbei das gewisse Häkchen nicht. Auf eine Beschreibung oder gar Anpreisung der zur Versteigerung kommenden Artikel und Posten ließ sich der Hammerschwinger niemals ein. Das ist auch durchaus nicht nöthig; jeder der „Eingeweihten“ hat seinen speciellen Katalog der zu verauctionirenden Waaren in der Hand, und außerdem sind diese letzteren drei Tage lang zu allgemeiner Beschauung ausgestellt gewesen, während, unter gewissen Einschränkungen, Wein und Liqueure sogar gekostet werden durften.

Das Geber’sche Industrie-Gebäude in Berlin.

„Eine Kiste und sechs Flaschen Parfümerieartikel; neun Pfund Chocolade; ein Stück Leinwand; ein Stück Baumwollzeug; eine Kaffeetrommel; eine leere Kiste und verschiedenes Spielzeug; zwei Flaschen Medicamente; vier Kisten Stearinkerzen; ein Kasten Malerfarben; ein Paket Blattsilber“ – um wie viel denkt der Leser wohl, daß er sich diesen Grundstock zu einer „Gemischten-Waaren-Handlung“, wie man in Oesterreich sagt, hätte zu Gemüthe führen können? Um baare vierzig Schilling! Hätte ich, jetzt schon hinter die Coulissen blickend, nicht auch hierbei allerhand kleine Aber und hintennach kommende hinkende Boten vermuthet, ich wäre in der That versucht gewesen, das Glück beim Schopfe zu fassen und einen Schilling mehr zu bieten.

Vielleicht noch vortheilhafter erschien ein anderer Kauf, d. h. wenn man zufällig haarkräuslerische Tendenzen hegte. Zweihundertsechsundsiebenzig Flaschen Haaröl, neun Flaschen Haaressenz, zweiundvierzig Pakete Siegellack nebst sechsundzwanzig Pfund Stearinkerzen – dies gesammte „Loos“ war um einige achtzig Schillinge zu haben, die Flasche Haaröl also um etwa drei Pence, und all’ den Siegellack und die Stearinkerzen bekam man drein!

Den Schluß der Versteigerung machten die höchst wahrscheinlich unglücklich schmuggelnden Herren und Damen mitleidslos abgenommenen „Privateffecten“, und mit einem Male bot die Versammlung einen total veränderten Anblick dar. Das ganze handelnde Alte Testament aus Whitechapel und Bishopsgatestreet, aus Houndsditch und Hollywellstreet schien urplötzlich in den Saal geströmt zu sein, und Abraham und Isaak, Jakob und Moses, Aaron und Nathan, Benjamin und Salomon striten sich tapfer um die Partie von „einer Kiste mit verschiedenen Kleidungsstücken, Büchern, Hemden, Stiefeln und ähnlichen Effecten“.

„Da haben Sie nun gesehen,“ sprach mein Freund, der,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_284.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)