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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 19. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Der Fels der Ehrenlegion.
Novelle von Berthold Auerbach.
(Schluß.)


Der Maler reichte Louisen die Hand, sie stand neben ihm, und bald betrachtete sie das Bild auf der Staffelei, bald den Felsen den Sturzbach und die Umgebung. Was war anziehender, die Wirklichkeit oder deren Wiedergabe durch die Kunst? Der Bach stürzte über einen Felsen wurde aber sofort in zwei Strömungen zertheilt von einem Trümmerstück, auf dem sich eine junge Tanne mühsam hielt. Rechts war eine kleine Schlucht, in der sich das Laub vieler Jahre gesammelt hatte, welches nun in wunderbaren Farben glänzte. Hoch oben durch das Tannengezweig schaute ein kleiner Fleck blauen Himmels hinein.

„Und Sie sagen nichts?“ fragte der Maler, als Louise noch immer stumm dreinschaute.

„Ich möchte am liebsten schweigen. Ich kann nur sagen: das thut wohl; man sieht dem Bilde an, wie wohl es Ihnen bei der Arbeit ist, Licht und Luft und Farben sprechen das in die Seele.“

„Danke. Ich freue mich, daß Sie nicht, wie so manche, namentlich deutsche Damen von besserer Bildung, sofort eine parlamentarische Debatte über ein Kunstwerk eröffnen. Zuerst wird eine Interpellation an den Künstler als verantwortlichen Minister der Natur gestellt: Wie meinen Sie das? Woher haben Sie das? Vor Allem aber, wie decken Sie Ihr Deficit, das die Kunst gegenüber dem Leben doch nie begleichen kann?“

Louise erbebte. Warum erwählt der Künstler gerade diese Vergleiche vor der ehemaligen Tochter des Parlaments?

Herr Edgar aber fuhr heiter fort: „Ach Fräulein, nichts Aergeres, als ein Kunstwerk abdebattiren. Wenn man das, was solch ein Bild sagen will, in Worte sagen könnte, wäre das Malen höchst überflüssig.“

Louise erbebte auf’s Neue. Der Künstler sagte ihr das, was sie in Italien in sich erlebt und sich abgerungen hatte.

„Ich glaube jetzt zu sehen,“ sagte sie, „was die Kunst kann und soll. Die weite Bergeskette erquickt das Auge des Naturfreundes, aber –“

„Nun, aber? –“

„Ach, verzeihen Sie, daß ich mich jetzt doch in Worten ergehe und es mir zu erklären suche.“

„Nein, Sie sind auf dem vollkommen richtigen Wege. Sie zeichnen auch?“

„Ja, ich malte sogar, aber von jetzt an nicht mehr!“

„Ja, so ist’s!“ nahm Edgar auf. „Die Luft bedarf nicht der überwältigenden Massenhaftigkeit der Berge und der weiten Aussicht. Ein paar Bäume, eine Erhöhung und der Himmel darüber, das genügt.“

Louise setzte das Gespräch nicht fort; sie bat nur Herrn Edgar, sich in seiner Arbeit nicht unterbrechen zu lassen, sondern fortzufahren. Es sei ihr von größtem Interesse, so hineinzuschauen in das Entstehen eines Kunstwerkes. Sofort willfahrte Herr Edgar und malte weiter an dem falben Laube, indem er dabei erzählte, daß er diesem Stück Welt sein Lebensglück verdanke; er bat Louise, sich etwas nach der Seite zu biegen; dort an einer nicht leicht zu entdeckenden Stelle hatte er den Orden der Ehrenlegion mit grellen Farben angemalt, und nun erzählte er, daß er dieses Bild zum zweiten Male ausführe, er habe dem Steine da den Namen „Der Fels der Ehrenlegion“ gegeben, denn dem Bilde, das er im vorigen Jahre vollendet, verdanke er seinen Ruf und die äußerliche Auszeichnung, die, wie es nun einmal in der Welt sei, ihre Bedeutung habe. Es war ein eigenthümlich zutraulicher Ton, in dem er sprach; er sah Louise nicht an, er sah nur immer nach dem Felsen und dann wieder auf die Staffelei. Jetzt wendete er sich und fragte, aus welcher Gegend Deutschlands Louise sei.

Sie nannte ihre Heimath, und der Künstler sagte, daß er auch dort manche gute Studie gemacht und noch manches Bild dort auszuführen hoffe. Jetzt malte er weiter und fragte, ob Louise die Garnisonstadt kenne.

Sie bejahte.

„Kennen Sie vielleicht auch die hinterlassene Tochter eines ehemaligen Majors, Marie von Korneck?“

„O gewiß! Das ist meine Jugendfreundin. Sie war vor Kurzem auf unserem Gute mit ihrem Bräutigam.“

Die Brücke krachte, der Maler stürzte, er schrie; auch Louise schrie, aber schnell hob sie das Bild von der Staffelei hoch in der Hand empor, auch sie glitt aus, aber sie hielt das Bild hoch.

Triefend erhob sich der Maler wieder, er sah Louise, die krampfhaft das Bild hoch hielt.

„Nehmen Sie mir es ab, ich kann nicht mehr,“ rief sie.

Er nahm ihr rasch das Bild aus der Hand und hing es glücklich an einen aus dem Wasser hervorragenden Brückenstamm; er umfaßte Louise und trug sie mehr, als er sie führte, nach dem Ufer.

„Haben Sie sich Schaden gethan?“ fragte er.

„Ich glaube, es ist ohne Bedeutung, ich kann nur nicht auf den linken Fuß auftreten.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_289.jpg&oldid=- (Version vom 11.1.2019)