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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

hatte Briefe und Zeitungen erhalten und entschuldigte sich bei seiner Tochter, daß er damit in’s Haus gehe.

Noch immer stand Edgar mit dem unerbrochenen Briefe regungslos da, der Blick Louisens war auf ihn gerichtet, endlich trat er zu ihr, legte den Brief auf die Decke und sagte: „Fräulein Merz, was der Brief auch enthält, ich muß Ihnen vorher sagen, wie ich entschieden habe. Ich kann Marien nicht mehr die Meine nennen, denn mein Herz gehört einer Andern. Ich glaube, daß es minder schlimm ist, einmal die Treue zu brechen, als ein ganzes Leben zu führen in innerer Untreue. Wie ich jetzt bin und bleibe, kann ich Marien nicht mehr glücklich machen. Ich fragte mich, ob es nicht das Beste wäre, wenn ich den unentsiegelten Brief hier in den See werfe. Ihr Blick sagt mir, das darf ich nicht. Gut denn! So wollen Sie den Brief öffnen!“

„Ich?“

„Ja, Sie! Nichts, was mich angeht und in mir lebt, ist ein Geheimniß für Sie und darf Ihnen fremd sein.“

Louise öffnete rasch den Brief. Sie war betroffen, nicht geschriebene, sondern gedruckte Worte darin zu finden. Auf gelbem, pergamentähnlichem Papier stand mit gedruckten Worten:

„Marie von Korneck,

Albrecht von Birkenstock,
Rittmeister a. D., Amtsrath auf der königlichen Domaine R.

Verlobte.“

Edgar empfing das gedruckte Blatt, er schlug die Seiten um, es mußte sich doch noch ein Wort von Marie finden, – aber es fand sich keins. Edgar faßte die Hand Louisens und rief: „Nun darf ich’s sagen! Darf ich’s sagen? – Ich bin Dein. – Willst Du mein bescheidenes Loos mit mir theilen?“

„Nicht jetzt, nicht jetzt, nicht hier,“ rief Louise, sie wußte, wie sich von den Fenstern, vom Balcon die Blicke auf sie richteten. „Ich will in’s Haus zurück.“

Caspar war schnell bei der Hand, ein zweiter Mann fand sich nicht; Caspar und Edgar trugen Louisen im Tragsessel nach dem Hause zurück. Sie trafen den Vater in seine Zeitungen vertieft, und er rief:

„Louise, sie schlagen mich wieder zum Candidaten vor. Nächsten Winter sind wir wieder in der Residenz.“

Louise schüttelte den Kopf.

„Du glaubst nicht, daß sie mich wieder wählen?“

„Das nicht, aber ich bin gewählt! Und ich wähle, – hier. Nun bitte, sprich Du!“ wendete sie sich zu Edgar.

Dieser konnte kaum das Wort hervorbringen; der Vater umarmte ihn und umarmte sein Kind. Man saß wohlgemuth beisammen, da erklärte Edgar, daß er Louisen ein bescheidenes, aber auskömmliches Leben bieten könne.

Der Vater lächelte und schilderte das schöne Atelier auf dem Landgute, das einem wirklichen Künstler und nicht blos einem Dilettanten zustehe.

Louise war aufgestanden und sie konnte jetzt ganz schmerzlos auftreten. Der Arzt bat, nur noch einen einzigen Verband anlegen zu dürfen, dann wäre Alles vorbei.

Der alte Bundesrath hielt seit Jahren streng darauf, keinerlei Beziehung zu den Fremden im Gasthause einzugehen; er wollte seine Ruhe nicht stören lassen und er und seine Frau genügten sich vollauf an der Friedsamkeit ihres Hauses und dem erquicklichen Athem der weiten Naturumgebungen. Mit Herrn Merz war er nun in ein so freundliches Verhältniß getreten, daß er seine alte Regel verließ. Die Wirthsleute begrüßten ihn mit großer Ehrerbietung, er dankte in landsmännischer Vertraulichkeit, lobte den Wirth und die Wirthin, und auch Caspar bekam ein gutes Wort. Er ging nach den Zimmern des Herrn Merz und nach einem herzlichen Glückwunsche sagte er: „Sie sind ein so rechter Bürgersmann, daß es sich für Sie und Ihr Kind nicht schickt, eine Verlobung hier, so halb auf der Straße, im Wirthshause, zu feiern. Meine Frau läßt Ihnen auch sagen, Sie sollen zu uns kommen.“

Man nahm das freundliche Erbieten gern an. Im Hause des Bundesrathes unter den theilnahmvollen Blicken der Frau und herzlichen Worten des alten Herrn wurde die Verlobung gefeiert.

Louise trug den Verlobungsring an der Hand, und das Erste, was sie mit dieser Hand unternahm, war, daß sie einen Brief an die Mutter Edgar’s schrieb. Dann wanderte sie an seinem Arme durch das Dorf zurück nach dem Gasthause.

Die Verlobung Louisens versetzte die ganze Gesellschaft in neuen Aufruhr, und wieder kam der Schwermüthige zuerst und brachte seinen vollen Glückwunsch dar. Die Bedrückung, die auf seinem Gemüthe lastete, schien inmitten der heiteren Menschen immer mehr zu schwinden. – Dann kamen die Kinder mit Blumen, die Frauen der Maler, die Männer, – Alles war voll Jubel.

Caspar aber schleppte einen kleinen Böller hinaus nach dem Berge, oberhalb des Felsens der Ehrenlegion; er ließ durch die Wirthin sagen, man möge nicht erschrecken, wenn man schießen höre, – und jetzt krachte es vom Felsen und der Widerhall tönte weit hinaus über den See von den jenseitigen Bergen.

Louise ging mit ihrem Bräutigam nach dem Garten, sie riefen sich alle Augenblicke zurück von der ersten Begegnung bis jetzt. Am Abend, als der Mond hell auf dem See glänzte, stiegen sie in den Kahn und ruderten miteinander hinaus, und draußen jodelten sie miteinander in die linde Nacht hinein, daß es Allen, die es hörten, das Herz erquickte. Wie glücklich aber mochten die da draußen allein sein – –

Auf dem Bahnhofe der mitteldeutschen Gebirgslandschaft hielt wieder ein Fuhrwerk, aber jetzt ein fest verschlossener Wagen. Die Blätter vom Buchenbaume wirbelten durch die Luft, ein naßkalter Strichregen schien sich den Spaß zu machen, bald nach dem Gebirge hin zu ziehen, bald unversehens wieder Kehrum zu machen.

Auf dem Perron zeigte sich kein Mensch, und jetzt, als es pfiff, kam der Kutscher des Wagens eilig heraus, hielt sich den Cocardenhut mit beiden Händen und kaute noch an einem Bissen, den er im Munde hatte.

Der Zug rollte in den Bahnhof, der Inspector begab sich an die erste Wagenclasse, öffnete, hieß Herrn Merz herzlich willkommen und gratulirte ihm zur Wiederwahl. Schnell aber setzte er hinzu: „Entschuldigen Sie, man hat ja noch zur Verheirathung des Fräulein Louise zu gratuliren. Darf man fragen, ob sie mit ihrem Gatten zu uns zurückkehrt?“

„Gewiß! Zum Frühling. Jetzt sind die jungen Leute in Paris.“

Herr Merz stand fröstelnd und den Mantel fest zusammenziehend auf dem Bahnhofe. Der eintretende nordische Winter schien ihm, der aus dem Süden kam, um so schärfer und heftiger. Das Gepäck war ausgeladen, der Zug rollte davon; Herr Merz wollte selber nach seinen Effecten sehen, der Bahnmeister widerrieth ihm das wegen des scharfen Windes, auch der Diener sagte, er werde schon Alles richtig besorgen; aber Herr Merz blieb dabei, er müsse selber nachsehen, es sei da eine Kiste, die besonders behutsam behandelt werden müsse.

„Sie haben doch nicht auch einen Streich gemacht wie damals die Freundin Ihrer Tochter, Fräulein von Korneck, die einen Hund als Wickelkind mitnahm?“

„Nein, nichts dergleichen! Es ist ein Bild, von meinem Schwiegersohne gemalt. Besuchen Sie mich einmal, Sie sollen es sehen.“

„Was stellt es denn dar? den Monte Rosa, den Rigi oder die Jungfrau?“

„Nichts von dem. Eine ganz unbekannte Felsenanhöhe am Vierwaldstätter See, es kennt sie Niemand als wir; sie hieß früher der Fels der Ehrenlegion und heißt jetzt der Fels der Liebe.“




manicula An die Leser der Gartenlaube. manicula

Wir bedauern, den Lesern der mit so vielem Beifall aufgenommenen Erzählung „Aus eigener Kraft“ die Mittheilung machen zu müssen, daß Frau von Hillern, eben mit einer von ihr gewünschten nochmaligen Durcharbeitung des Romans beschäftigt, derart erkrankte, daß sie sich auf ausdrückliches Verlangen ihres Arztes von jeder geistigen Anstrengung fern halten muß. Wir sind dadurch leider gezwungen, in dem Abdruck der Erzählung eine vierzehntägige Pause eintreten zu lassen, nach deren Ablauf jedoch „Aus eigener Kraft“ ununterbrochen zum Ende geführt werden wird.

Die Redaction. 
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_292.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)