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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

für den Nestor der deutschen dramatischen Schriftsteller gelten. Sein Vater war Geheimer Archivar, der Sohn sollte ebenfalls in den Staatsdienst treten und lag zu diesem Zwecke den vorbereitenden Studien ob; doch, mochte seine Theilnahme für die erhabene Welt antiker Classicität noch so blühend sein: mächtiger zog es ihn zu jener Idealwelt auf dem bretternen Gerüst der Scene, von deren zauberischer Gewalt ein jugendlich-schwärmerischer Sinn selten ganz unberührt bleibt. Das Verlangen, dieser romantischen Wunderwelt selber anzugehören, regte sich immer mächtiger in Karl Toepfer, und so verließ, nicht eben nach dem Wunsche seines Vaters, der Neunzehnjährige seine Geburtsstadt, um sich nach Mecklenburg-Strelitz zu einer wandernden Schauspielergesellschaft zu begeben.

Man nennt den Stand des Mimen so oft ein „glänzendes Elend“; Toepfer sollte vorerst nur das Elend kennen lernen. Auf ihm, der in behäbigem[WS 1] Wohlleben erzogen worden, lastete die Misere der kleinen Wandertruppe doppelt schwer; kein Wunder, daß er dem Druck derselben schon nach sechs Wochen wieder entfloh und nach Berlin in das elterliche Haus zurückkehrte. Aber der Beruf Toepfer’s zur Kunst hatte sich doch dargethan, und so ergab sich denn der Vater in das Unabänderliche und benutzte seine Verbindungen, um dem Sohne ein ehrenvolles Engagement bei dem Theater in Breslau zu verschaffen, welches damals unter der Leitung des kunstsinnigen Regierungsraths Streit stand.

Ein edler Kreis bedeutender Talente war zu jener Zeit dort versammelt; in ihre Mitte trat der rüstig Strebende. Munter förderte ihn Beispiel und Lehre; namentlich genoß er den Unterricht der berühmtem Tragödin Henriette Händel-Schütz.

So wirkte er mehrere Jahre in Breslau, bis ihn ein ehrenvoller Ruf nach Brünn und bald darauf nach Wien zog, wo der um die Kunst hochverdiente Schreyvogel das Hofburgtheater leitete. Das war im Jahre 1815.

Der Erfolg auf diesem schwierigen Boden war ein glänzender, und fortan, eingereiht unter die Würdigsten und Besten, thätig unter der geistvollen Führung eines so bedeutenden Mannes wie Schreyvogel, war Karl Toepfer auf dem Wege zur höchsten Staffel der Kunst.

Der Lehrer, gefesselt durch die reiche Bildung, den warmen Eifer seines Schützlings, wurde bald zum Freunde; und das Band der Intimität schlang sich um so fester, als Schreyvogel, der unter dem Namen C. A. West vielfach literarisch thätig war (wir verdanken ihm bekanntlich eine Reihe wahrhaft mustergültiger Uebersetzungen namentlich spanischer Dramen), auch bei Toepfer schriftstellerische Gaben entdeckte. Er regte den Trieb nach einer Nebenbeschäftigung mit der Feder bei dem jungen Darsteller mehr und mehr an; und dieser begann, sich mit Entwürfen kleiner, von Schreyvogel controlirter Lustspiele zu versuchen. Das gelang über Erwarten, und wie der Mensch mit seinen größeren Zwecken wächst, glückte es Toepfer gar bald mit umfangreicheren Arbeiten.

Die ersten seiner Stücke, welche durchschlagende Erfolge erzielten, waren das vieractige Schauspiel „Hermann und Dorothea“ (1820) und „Des Königs Befehl“ (1821) – jenes hat vor Kurzem den fünfzigjährigen Geburtstag seiner ersten Aufführung erlebt, und es zeugt von der strotzenden Lebensfülle desselben, daß es auf uns noch mit der nämlichen Frische wirkt wie auf unsere Väter.

„Hermann und Dorothea“ ist bekanntllch nach Goethe’s gleichnamigem Gedichte bearbeitet. In den letzten Monaten des Jahres 1819 für das Hofburgtheater geschrieben, ward es dort im Januar 1820 zum ersten Male aufgeführt. Toepfer, damals noch Mitglied jener Bühne, hatte gleichwohl keine Rolle übernommen: er wollte den Gang des Ganzen und den Erfolg unbehindert überwachen und widmete sich der Scenirung mit äußerster Sorgfalt.

Das Elternpaar, die Hauptgruppe des Genrebildes, fand treffliche Vertreter in dem alten Eckardt gen. Koch und Frau von Weißenthurn, als dramatische Schriftstellerin bereits Notabilität und dem jungen Kunstcollegen geistverwandt; in ihren feinen häuslichen Cirkeln verlebte er fröhliche Stunden.

Mit dieser Besetzung gefiel das neue Stück, dessen erster Aufführung Kaiser Franz, die Kaiserin, alle Erzherzöge und der ganze Hofstaat anwohnten, überaus; sämmtliche Darsteller wurden gerufen – eine Ehre, welche am Schlusse auch dem Verfasser zu Theil wurde. Nicht wenig hatte zu dieser Wirkung die technische Ausstattung beigetragen: Ritter von Stubenrauch hatte die Figurinen behufs der Costüme gezeichnet und die Anfertigung der Decorationen auf’s Sorgfältigste geleitet. Von den Logen aus sah man in dem Brunnen wirklich das Bild Dorothea’s und des hinter ihr stehenden Hermann erscheinen, ein Effect, der durch einen mit Gaze bedeckten Spiegel hervorgebracht war; und einen magischen Eindruck machte es, als die hinter den mit weißen Aehren bedeckten Hügeln untergehende Sonne die in Hermann’s Arme gesunkene Jungfrau mit goldigem Schimmer der Abendröthe umwob.

Nachdem so die Dichtung in Wien ihre Feuerprobe mit Glück bestanden, richtete der Verfasser sein Auge dahin, wo die Wiege der Idee stand, welche dem Schauspiel zu Grunde gelegen: nach Weimar. Dort unter den Augen des Dichterfürsten Goethe sein Stück aufgeführt zu sehen, mußte den Stolz des jungen Bühnenschriftstellers ausmachen; er legte deshalb seine Arbeit dem Regisseur Genast, welchem er das Manuscript zusandte, warm an’s Herz, bevorwortete indessen selbst, daß eine Aufführung nur stattfinden dürfe, wenn Altmeister Goethe seine Zustimmung ertheile.

Nicht lange sollte Toepfer auf Antwort von Genast harren, und – was er kaum zu hoffen gewagt! – Goethe urtheilte mit großer Wärme über die Dramatisirung seines Idylls. Genast’s Schreiben enthielt eine mündliche Aeußerung des Alten von Weimar, welche dieser gethan, nachdem er das Schauspiel gelesen. „Schreiben Sie dem Verfasser,“ hatte Goethe gesagt, „das sei sehr geschickt gemacht. Hätte ich gefunden, daß in dem einfachen Idyll solche Theaterwirkung stecke, so wäre die dramatische Bearbeitung von mir selbst unternommen worden. Uebrigens ist es mir lieb, wenn das Stück überall gegeben wird; da es die Quelle angiebt, so wird man aus Neugier nach meinem Gedichte, das bis jetzt wenig populär geworden ist, greifen. Sagen Sie aber auch dem Verfasser, daß er es mit den Abschriften etwas zu leicht nähme; er liest sie gar nicht durch – in dem Exemplar fehlt eine ganze Zeile, wodurch der Sinn in Unsinn verkehrt wird – ich habe aber die Zeile hineingedichtet.“

Das ist gewiß ein herziger, liebenswerther Zug des großen Todten, eines jener kleinen Merkmale, welche geeignet sind, dem leider noch immer verbreiteten Wahne entgegenzutreten, es habe dem edlen Goethe an Gemüth gefehlt!

Da „Hermann und Dorothea“ auch in Weimar mit Erfolg gegeben worden, so konnte es nicht fehlen, daß die Bühnenleitungen auf das Stück aufmerksam wurden, und bald wanderte dasselbe von Theater zu Theater. Noch war es indessen nicht in des Autors Vaterstadt, in Berlin, gegeben worden – erst wenn es auch hier mit Ehre bestanden, wollte Toepfer seinen Triumph für vollkommen erkennen.

Da es sich in den Augen des jungen Schriftstellers um Sein oder Nichtsein handelte, so beschloß er, sich der Scenirung von „Hermann und Dorothea“, wie in Wien, so auch in Berlin selbst zu unterziehen, und begab sich zu solchem Zwecke nach dieser Stadt. Hier fand er am Grafen Brühl, welcher nach Iffland’s Tode die Leitung übernommen, einen ebenso gebildeten wie kunstbegeisterten Intendanten, und zu so großer Intimität führte bald die Uebereinstimmung Beider in theatralischen Fragen, daß Toepfer einen kleinen Schlüssel für die Hinterthür des Intendanturbureaus erhielt, damit er nicht zu antichambriren brauchte.

Um einige seiner Lustspiele zur Darstellung vorzubereiten, wurde Toepfer vom Grafen Brühl die Regie übertragen; eine Maßregel, von welcher das Hoftheaterpersonal mittelst Circular in Kenntniß gesetzt wurde, und mit der Aufforderung, den Anordnungen Toepfer’s unbedingt Folge zu leisten. Diese Bestimmung, ohne des Letzteren Wissen getroffen, brachte ihn in Conflict mit seinem ehemaligen Breslauer Collegen Ludwig Devrient, der den Titel eines Regisseurs führte, sich aber so wenig mit den Geschäften eines solchen zu befassen hatte, wie ein Hofrath in die Lage kommt, dem Hofe Rath zu ertheilen. Auf Zureden beruhigte sich denn auch Devrient bald, und die Leseprobe von „Hermann und Dorothea“ wurde angesetzt.

Der Künstlerkreis, welcher Toepfer empfing, suchte seines Gleichen. Als Darsteller des Elternpaares standen der geistvolle, ebenfalls literarisch thätige Pius Alexander Wolff, bekannt als Verfasser der „Preciosa“, und dessen treffliche Gattin Amalie geb. Malcolmi oben an; Beide, unter Goethe’s Leitung in Weimar gebildet, waren noch von Iffland für die Berliner Bühne gewonnen worden. Den Apotheker spielte kein Geringerer als der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: behäbigen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_294.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)