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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Ganz besonders fesselte unsern Blick eine Gruppe inmitten des Bildes, deren Hauptperson, ein alter Jude, der sogenannte „Macher“, Entrepreneur des Unternehmens war. Sein altes, von hundert Falten durchzogenes Gesicht mit den unter weißen Brauen hervorblitzenden listigen Augen war ein förmliches Qualificationszeugniß für sein verdächtiges Metier, in welchem er, wie er versicherte, „mit Ehren grau geworden“. Dieser Ausdruck hatte übrigens, so sonderbar es auch scheinen mag, seine entschiedene Berechtigung, denn die Kaufleute, die solchen Machern ihre Waaren auf Discretion übergaben, setzten dabei, besonders in der Blüthezeit des Schmuggels, öfter Werthe von zehn- bis fünfzehntausend Thalern aufs Spiel, so daß ein Spitzbube, welcher sich etwa mit den russischen Grenzwächtern darüber geeinigt hätte, ihnen unter der Gewähr eines gewissen Beuteantheils einen solchen Transport zu verrathen, durch seinen Judaslohn sich schöne Summen hätte verdienen können. – Etwa ein halbes Dutzend Schmuggler umringte den alten Juden, um ihm begreiflich zu machen, daß zum Gelingen ihrer Expedition Muth, sehr viel Muth erforderlich sei, und daß man diesen durch den „Brandewyne“ (Schnaps) des Krügers bedeutend erhöhen könne. Aber der alte, schlaue Sohn Abraham’s ist, wie er sagt, „ein Mann nicht von heute oder gestern“; er hat seinen Leuten, wie das bei solchen Zügen Brauch ist, schon bedeutende Quantitäten ihres Lieblingsgetränkes gespendet und sieht die Wirkung desselben an ihrem erregten Wesen; im Bewußtsein seiner großen Verantwortlichkeit verhält er sich ihren Forderungen gegenüber daher strenge ablehnend.

Nachdem noch etliche Litthauer aus dem benachbarten Schmugglerdorfe mit ihren Packpferden angelangt und sämmtliche Vorbereitungen beendigt waren, setzte sich der Zug in Bewegung, und bald entzog der dichte Wald ihn unsern Blicken. Wir selbst konnten ihm nicht weiter folgen, da dies Wagstück für uns leicht üble Folgen hätte haben können; wir wendeten uns daher rechts auf einem andern Wege der Grenze zu und passirten diese bald darauf auf einem officiellen Uebergangspunkte, erfuhren aber auf der Rückreise das Nähere von dem Wirth jener Waldschenke.

Janis Caireronke, das heißt Linkhand, er führte diesen Beinamen, weil er sich der Rechten nicht bedienen konnte, da ihm vor Jahren ein russischer Grenzsoldat, mit dem er um einen Ballen kostbarer Waare rang, mit seinem Säbel die Finger abgeschlagen hatte, erzählte etwa Folgendes: „Wir stellten uns an jenem Abende, nachdem wir die Grenze erreicht hatten, in einem dichten Gehölz diesseits derselben auf, um das Dunkel der Nacht abzuwarten. Das Wetter wurde immer ärger, und wir hätten daher vor den Russen ziemlich sicher sein können, wenn wir nicht in Folge eines andern Umstandes besorgt gewesen wären. Trotz der größten Vorsicht waren nämlich unsere Unternehmungen in letzter Zeit mehrmals verrathen worden; wenngleich nun unsere Kundschafter auch berichteten, es sei drüben Alles sicher, so mußten wir dennoch in Besorgniß sein, es sei vielleicht auf einen Hinterhalt abgesehen, und daher mit doppelter Vorsicht zu Werke gehen. ‚Wollen die Feinde uns belangen, so betrügen wir sie erst recht, denn wenn der Russe schlau ist, ist’s der Litthauer noch zehnmal mehr,‘ sagte ich zu meinen Leuten und schickte eine Abtheilung derselben unter der Führung des alten Jurgis, den wir den ‚Sibirier‘ nennen, weil er vor Jahren das Unglück hatte, mit russischen Schmugglern gefangen genommen und zu einem Spaziergang nach Sibirien verurtheilt zu werden, die Grenze weiter hinauf, damit sie durch einen zum Schein ausgeführten Uebergang die Grenzwächter täuschen sollten. Sie mußten sich also mit Stroh gefüllte Säcke und leere Kisten auf den Rücken binden, damit sie von jenen für Packträger gehalten würden. Der alte Jurgis verstand sich trefflich auf solche Finten, denn er hatte sie in den dreißig Jahren, welche er beim Schmuggel verlebte, oft genug geübt, so daß wir uns ganz auf ihn verlassen konnten. Er ging also mit seinen Leuten die Grenze entlang bis zu einem Cordonhause, passirte hier dieselbe und wurde bald darauf von einem Posten bemerkt, welcher sofort mit dem üblichen Signalschuß die Wache alarmirte. Diese erschien denn auch fluchend und schimpfend, gab auf die Unsrigen mehrere Schüsse ab und diese zogen sich, ebenfalls schießend, auf das diesseitige Gebiet zurück, gingen, sich immer mehr von uns entfernend, die Grenze weiter hinauf, wodurch sie die Russen glauben machten, sie wollten dort den Uebergang erzwingen. Sie und wir Alle erreichten dadurch unsern Zweck, jene zu täuschen, vollkommen, wobei das Dunkel der Nacht und das Brausen des Schneesturms uns die besten Dienste leistete.

Ich selbst wartete mit meinen Leuten während dieser Zeit im dichten Gehölz versteckt, denn wir mußten zunächst die Patrouille, die an dieser Stelle die Grenze zu bereiten hat, vorbei passiren lassen. Ich selbst stieg auf einen alten buschigen Fichtenbaum, von dem aus ich nach zwei Seiten den sogenannten neutralen Boden – einen mehrere Schritte breiten, von den beiden Grenzgräben eingefaßten Streifen Landes – eine ziemliche Strecke weit übersehen konnte. Wir hatten bald nach dem Schießen unserer Leute und der ihnen gegenüberstehenden Russen auch nach der entgegengesetzten Richtnug zu, also zu unserer Rechten, mehrere Signalschüsse gehört, und in lautloser Stille warteten wir auf das von dorther kommende Reiterpiquet. Meine Leute standen bei ihren Pferden, um etwaiges Wiehern derselben sofort zu verhindern; der ganze Zug hatte sich in der von uns meistens festgehaltenen Ordnung aufgestellt, nach welcher die Spione, Führer und die Packträger mit den billigeren Waaren vorangehen, während die Schlitten je nach dem Werth ihrer Ladung ihnen folgen. So wußte ich denn Alles in Ordnung und horchte und spähte von meiner Warte in die dunkle Nacht hinaus. Endlich vernahm ich das mir so wohlbekannte Klirren von Waffen, und bald kam das Piquet in scharfem Trabe daher. Es waren elf Reiter, darunter ein Officier, und sie ritten jetzt, um eine Biegung des Grenzweges abzuschneiden, über preußisches Gebiet, so nahe an meinem Versteck vorbei, daß ich dem einen fast die Bärenmütze vom Kopfe hätte nehmen können; aber sie bemerkten mich im Dunkel der Nacht nicht und bald waren sie meinen Blicken entschwunden.

Schnell schlüpfte ich nun von meinem Baume hinunter, eilte zu meinen Leuten zurück und gab den Befehl zum Aufbruch. In möglichster Eile ging es über die Grenze nach Rußland hinein, denn es kam uns darauf an, für den Fall, daß etwa bei dem späteren Absuchen des neutralen Weges mit Laternen unsere Spur gefunden werden sollte, einen möglichst großen Vorsprung zu gewinnen. Durch Busch und Wald, über Felder und Sümpfe, meistens in tiefem Schnee, ging es vorwärts bis in die Nähe des zweiten Zollcordons, der sich etwa eine halbe Stunde (öfter auch mehr) von dem ersten entfernt in ziemlich gleicher Richtung mit demselben weiter landeinwärts hinzieht. Die vorausgeschickten Spione kehrten mit der frohen Botschaft zurück, daß hier noch Alles ruhig sei; wir passirten glücklich auch diese Linie und kamen nach Mitternacht zu einem ziemlich großen Marktflecken, in welchem wir unsere Waaren an den Sohn unseres ‚Machers‘, welcher dort ein Gasthaus hielt, ablieferten. Noch in derselben Nacht kehrten wir, froh, wieder einmal ein gutes Geschäft gemacht zu haben, unangefochten nach Preußen zurück, meine Leute aber konnten es sich nicht versagen, einige Kugeln nach dem Cordonhause, an dem wir diesmal ganz nahe vorüberzogen, zu schicken, während ich selbst in der nächsten Wachthütte, in welcher, wie ich wußte, am folgenden Tage mein alter Bekannter, der russische Gefreite Gregoriew, die Wache hatte, für diesen eine Flasche Rum, die ich ihm lange versprochen, niederlegte.“

Die Unternehmungen der Schleichhändler haben nicht immer einen so glücklichen Erfolg, wie eben erzählt wurde; sie nehmen im Gegentheil öfter ein sehr verhängnißvolles Ende, indem nicht nur die oft höchst werthvolle Contrebande confiscirt wird, sondern zuweilen auch der Verlust von Menschenleben dabei zu beklagen ist. So fiel z. B. vor einigen Wochen bei einem heftigen Gefecht, welches ein großer Schmugglerzug in der Nähe des Grenzstädtchens Garsden den Russen lieferte, ein Officier, während mehrere Grenzsoldaten schwerer oder leichter verwundet wurden. Der Werth des „Schmuggelgutes“, das in diesem Falle ausschließlich aus Spiritus bestand, war überdies ein verhältnißmäßig sehr geringer und höchstens auf etwa vierhundert Rubel zu veranschlagen.

Aus der großen Zahl von theils sehr interessanten Fällen dieser Art, über welche ich von Beamten, alten Schmugglern, aus den Verhandlungen der Schwurgerichte oder den Berichten der Presse Kunde erlangte, möge hier nur einer Platz finden, welcher durch ein Versehen der russischen Justitia (die sich diesmal übrigens mit ihrer Blindheit passend entschuldigen konnte) für einen der dabei Betheiligten in eigenthümlicher Weise verhängnißvoll wurde.

(Schluß folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_300.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)