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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 20. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Genovefa.
Geschichte aus dem steirischen Oberlande.
Von P. K. Rosegger.

Am südlichen Abhange des Grübnergehölzes brennt der Wald. Er brennt schon Tage lang und im engen Gebirgskessel liegt so dichter Rauch, daß man von einem Berg kaum auf den andern sehen kann. Stechender Brandgeruch erfüllt das Thal; die Sonne ist eine rothe Scheibe und man vermag sie den ganzen Tag anzusehen. Schon von weitem hört man das Schnalzen und Knistern der brennenden Bäume und das dumpfe Dröhnen der fallenden Stämme; das sprüht dann zeitweise durch die dunkelbläulichen Rauchwolken hochauf, bis die Flammen und Funken in neuem, frischem Geäste wieder Nahrung finden. Dazwischen hört man das Schreien und Fluchen der Männer, welche da sind, um dem Brande Einhalt zu thun. Die Leute aus der ganzen Gegend sind beisammen, denn es droht ein fürchterliches Unglück.

Der Wald ist groß, er gehört theilweise einzelnen Bauern, die aus Holzkohlen ihren einzigen Erwerb ziehen; theilweise ist er Gemeingut des Dorfes, das davon alle Gemeindekosten bestreitet. Weit zieht sich das herrliche, dunkelbraune Gehölz hin über Hänge und Höhen bis gegen das stattliche Dorf hinein, welches auf der Breitebene liegt und seine silberweißen Schindeldächer und sein zinnblechernes Kirchthurmdach weit in die Gegend hinausschimmern läßt. Anfangs hatten die Einwohner vor dem Feuer das Gestrüpp und Gesträuch weggeräumt, aber die Flammen griffen höher, sie griffen zu den dichtbemoosten Stämmen und deren Kronen empor, welche die glühende Sonne schon seit Monaten getrocknet und gedörrt hatte. Da machten sich die Leute wohl an das Fällen und Abstocken, aber das Feuer folgte ihnen auf dem Fuße und Rauch und Hitze zwangen sie zum Einhalten.

„Wenn bis übermorgen kein Regen kommt, so ist der ganze Wald und auch das Dorf verloren!“ jammerten Viele, und man war rathlos.

Der Greßbacher war der Einzige, der nicht den Kopf verlor. „Den Grübnerwald müssen wir aufgeben,“ rief er, „aber das Dorfholz ist noch zu retten. Dort vom Ankogel hinab müssen wir abgrenzen. In zwei Tagen haben wir einen mehrere Klafter breiten Strich entstockt, und vor dieser Zeit kommt das Feuer wohl nicht dort hinüber!“

Und so ließen sie im Grübnerwalde den Gluthen und Flammen freien Lauf und arbeiteten nun am Ankogel. Der Grübner, der unten im Thale jenseits des Baches ein Haus hatte, war ein rasender Mann. Er steht am Zaun und muß zusehen, wie dort oben sein ganzer Wohlstand zu Grunde geht. Und wie der Mann so dasteht, derb, rauh und knorrig von oben bis unten gleich einer der wilden riesigen Hochwaldfichten, die dort drüben brennen, da kann man es in seinen Augen und Zügen sehen, daß auch der Grübner ein brennender Baum ist, der aber inwendig glüht und lodert, wie wenn der Blitz in ihn gefahren ist.

Vor vier Tagen war es gewesen, am Samstag spät Abends. Der Bauer schlief schon und Alles war ruhig im Hause. Da schlägt es plötzlich an’s Fenster, daß die Scheiben klirren, und ein Knecht, der alte Gregor, ruft herein: „Bauer, Bauer, der Wald brennt!“

Der Grübner fährt auf – das ist ja wie am helllichten Morgen, und wie er seine schlaftrunkenen Augen durch das Fenster gegen den Wald wendet, da muß er sie niederschlagen, so grell loht es auf drüben im Gehölze. Sie gingen zu retten, aber da zog ein heißer Luftstrom durch die Bäume, und als am Morgen die Sonne kam, war sie nur eine glanzlose hellrothe Scheibe. Seitdem brennt es und seitdem hat der Grübner keinen Bissen zu sich genommen. Gearbeitet hat er mit den Anderen Tag und Nacht und dem Feuer geboten: „Du mußt auslöschen!“ Aber das Feuer erlosch nicht. Das waren nicht dieselben Flammen, die daheim auf dem Herde knisterten und ihm Wärme und nahrhaftes Brod bereiteten, das waren böse, unheilvolle Feuerfluthen, aus der Hölle hervorgebrochen, um ihn, den Grübner, zum Bettler zu machen. Und als gar die Leute ihre Arme sinken ließen und nur an den Gemeindewald dachten, da fluchte er über die Menschen und raufte sich die grauen struppigen Haare, als wollte er damit das Moos von den Bäumen zausen – und er schlug sich die Faust in’s Gesicht, daß das Blut niederfloß aus Nase und Mund. „Wenn nur Gott helfen kann,“ schrie er auf, „warum thut er es nicht, warum läßt er mich, den fleißigen arbeitsamen Grübner, jetzt zum Bettler werden?! Bub’!“ rief er seinem zwölfjährigen Sohne in’s Ohr. „So ist dieser Gott und so sind diese Leute; jetzt siehst Du’s, so sind sie!“

Der Pfarrer war gekommen und wies ihn ob solchen Frevels derb zurecht.

„Wo ist der Gregor?“ rief der Bauer.

Der Gregor war noch beim Feuer, und als sonst kein Mensch mehr dabei arbeitete, hackte er noch die Aeste von den Stämmen und schleppte sie abseits. Rastlos eilte er durch Gestrüpp und Rauch. Seinen Lodenspenser hatten die Funken bereits durchlöchert und seine langen weißen Haare waren gekraust und roth geworden.

Vorgestern war er in seiner Noth beim Caplan zur Beichte und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_305.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)