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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

sein wird. Warum hab’ ich ihn auch nicht fortgeschickt, hat so kaum das Brod verdient, das er mir gegessen!“

Als Genovefa mit Gertraud allein war, schluchzte sie: „Hast Du gehört, was der Bauer gesagt hat? Nein, Gertraud, wenn er mir all’ meine Finger abhacken that, so thät’s mir nicht so weh, als wenn er über den Gregor so redet.“

„Und noch dazu jetzt, wo er auf der Bahr’ liegt!“ entgegnete Gertraud; „ich mein’ aber immer, unser Bauer hat gar kein Gewissen; hast Du’s schon gesehen, was er macht, wenn er betet? Nein, man soll so was gar nicht sagen, aber – da hat er in einer Hand den Rosenkranz und die andere hat er im Sack und klimpert mit dem Silbergeld. Gelt, das thut kein Christ?“

Am Abend, als Genovefa in’s Haus kam, besprengte sie die Leiche mit Weihwasser und füllte frisches Oel in die Lampe. Dann hatte sie einen schweren Stein auf dem Herzen; morgen soll schon der Begräbnißtag sein, und der Bauer hatte noch gar keine Anstalten dazu getroffen.

Indeß beim Abendessen sagte der Grübner zu den zwei Knechten: „Morgen um das Sonnenaufgehen müssen wir wieder im Brand sein, und früher tragt mir den da draußen in’s Dorf hinüber, daß er doch einmal aus dem Hause kommt!“

Genovefa legte den Löffel weg und aß nichts mehr. Alle waren still, und die Knechte zitterten um den Mundwinkel und waren roth im Gesicht. Der Bauer aß und zuckte mit seinen buschigen Augenbrauen und sah nicht nach rechts und nicht nach links. Da hielt Genovefa plötzlich die Hände ineinander und rief laut: „Bauer, gelt, ich darf Euch bitten – Ihr laßt den Gregor ordentlich begraben!“

„Was geht Dich der Gregor an, Du graue Vettel!“ brach der Bauer los; „ich mein’, mit den dummen Liebsg’schichten habt Ihr’s lang’ g’nug trieben; ist Euch nicht gut angestanden, Ihr alten Stöck’; ich hab’ nur nichts sagen wollen, weil es gar nicht der Mühe werth ist wegen solcher Kinderei; aber jetzt, weil Eins auf dem Brett liegt, mein’ ich, soll’s Andere an dem sündhaften Hallodriren g’nug haben! Nicht? – Nu, und hast noch nicht g’nug, Du alte Krautschreck’, so leg Dich halt hin zu ihm – laß Euch gern forttragen, all’zwei, gern!“

Die Knechte machten Bewegungen, aber Genovefa sagte dem Bauer die Worte: „Schmäht mich, wie Ihr wollt, Bauer, aber ihm werft keine Steine nach in die Ewigkeit und begraben laßt ihn christlich. Es ist ja noch ein Kasten von ihm da, es sind Kleider von ihm da; das reicht aus für den großen Conduct; drei Glocken können auch noch geläutet werden. Oft und oft hat der Gregor gesagt: ‚Mag mir sonst nichts mehr ersparen, weil ich schon schwach bin und allsonntäglich mein Gläslein Wein haben muß, und ohne Tabak thut es sich halt auch nicht – aber für ein ehrlich Begräbniß wird schon noch was übrig bleiben.‘ – Ich bitt’ Euch, Bauer, der Gregor hat Euch fünfundzwanzig Jahr’ treu und fleißig gedient, hat’s immer gut mit Euch und den Eurigen gehalten – laßt ihn christlich begraben!“

„Ja, ja, Kasten und Kleider! wir wissen’s schon, wie das aussieht. Und glaubt Ihr, das Zeug ist für das Eingraben da? – Kasten und Kleider! ich mein’, so viel wär’ mein Wald doch werth gewesen, nicht? Keinen Kreuzer geb’ ich, und wenn ein Jud’ käm’ und gäb’ mir drei Groschen für den starren Gregor da draußen – ist recht, ich verkauf’ ihn. Wer zahlt mir den Wald? Wer? – Treu und fleißig gedient, ja – als ob ich ihn dafür nicht auch bezahlt und überzahlt hätt’!“

„Bauer, ich dien’ Euch ein ganzes Jahr umsonst; keinen Groschen verlang’ ich, aber den Gregor laßt christlich begraben!“ bat die Magd wieder.

Der Grübner wischte den Löffel und spielte damit. „Ein Jahr, meinst Du? – Nu, können ja noch reden davon, sollst auch nicht sagen, der Grübner ist ein Stein!“

Nach dem Abendmahle sprach er im Vorhause noch lange mit der Magd, und Genovefa stand darauf die halbe Nacht bei der Leiche und weinte bitterlich.

Am übernächsten Morgen wurde Gregor im großen Conduct unter dem Geläute dreier Glocken christlich begraben. Viele Leute sind mit der Leiche gegangen, und Genovefa hat über all’ das vor Schmerz und Freude geweint. Zuletzt hat sie noch dem alten Einleger Gottfried eine Weihkerze und zwei Groschen gegeben, daß er für Gregor’s Seele bete.

Als der Großknecht an einem der folgenden Tage einmal mit Genovefa allein auf dem Felde war, da das Korn schon reif geworden, sagte er zu ihr: „Das war wohl einfältig von Dir, Vefa, daß Du dem Bauer ein ganzes Dienstjahr geschenkt hast; er hätte den Gregor auch so ordentlich begraben müssen; oder glaubst Du, wir hätten unsern Gespann in einen Sack genäht und auf den Friedhof getragen wie einen Bündel Haber in die Mühle? O, da hättest Du eher ganz was Anderes gesehen. Ich hab’ damals beim Tisch den Georg schon mit dem Fuß gestoßen – und wie der Bauer nur noch ein Wort sagt von einem solchen Eingraben wie einen Hund, nur ein solches Wort, und wir brechen ein paar Stuhlfüße ab und lehren den Bauer Gott erkennen! Wir hätten es than, und wenn er’s noch eine Weil’ so fort treibt mit Dir, so geschieht was. Glaubst, ich trau’ mich nicht, daß ich jetzt hingeh’ und zu ihm sage: ‚Grübner, Du bist ein Schuft!‘ Glaubst, ich trau’ mich nicht?“

„Laß es nur gut sein jetzt, Großknecht, und reden wir kein Wort mehr davon. Ich dien’ gern ein Jahr umsonst, wenn der Bauer nur dem Gregor nicht nachflucht – der Todte könnt’ ja kein’ Ruh’ haben im Grab.“ …

Und sie redeten nicht mehr davon.

Gegen den Herbst kam eine schwere Arbeit. Im Gebrände mußte das Gestöcke entfernt und der Boden umgegraben werden. Mit dem Pflug kann man in solchem Waldgrund nichts anfangen, und so nimmt denn Jedes seinen Spaten oder die Haue und gräbt vom frühen Morgen bis zum späten Abend. In den Frühestunden da geht’s freilich noch gut, da geben die Bäume, die auf der Anhöhe stehen, ihren Schatten, aber bald guckt die Sonne über dieselben herüber, als ob sie sehen wollte, ob die Arbeiter wohl auch fleißig. Und dann werfen die Leute ihre Röcke weg und graben wieder. Die Sonne bleibt nun da und blickt immer auf die Arbeiter und wendet ihr Gesicht gar nicht weg. Und die Leute wischen sich den Schweiß und graben.

Für Einen, der mit der Haue sein trocken Brod herausgraben muß aus steinigem Grund, schleicht die Sonne gar langsam über den Himmel hin; aber auch für ihn kommt der Abend. Die Schatten des westlichen Bergwaldes werden länger und länger; die Leute richten sich auf, athmen in einigen langen Zügen die frischere Luft ein, fassen den Spatenstiel fester an und graben. Und erst wenn es dunkel geworden ist und die Haue in den Steinen schon helle Funken giebt, sagt der Großknecht: „Lassen’s gut sein für heut’!“ und die Leute suchen ihre Röcke, nehmen die Haue über die Achsel und gehen heim.

Solche Tagewerke hat auch die alte Genovefa mitmachen müssen, weil im Kuhstall der Gustl, der Grübnersohn, angestellt wurde. „Sonst thut’s mir nichts,“ hat sie gesagt, „aber das Kreuz will mir völlig abbrechen.“

Und wie nun der ganze Hang bearbeitet war, kam der Bauer mit dem Säetuch und streute Korn in den aufgelockerten Boden. Da ist – wie er gerade um einen kleinen Felsen säete – ein Vöglein vor ihn hingehüpft und hat einige Körnlein aufgelesen. Darüber gerieth der Grübner so in Zorn, daß er einen weiten Sprung machte, um das Thierlein in den Boden zu treten; aber das war lustig auf den nächsten Baum geflattert und der Bauer hatte im Schwingen sein ganzes Korn auf das Erdreich geschüttet. Nach dem Säen wurde die Erde noch einmal gelockert und der Same eingewühlt – dann war es für dieses Jahr fertig.

Die Witterung war lang hinaus schön und die Saat ging auf und grünte noch – endlich aber kam der Winter. Die Leute zogen sich allmählich unter das Dach zurück, in der Stube begann das Spinnen, in den Ställen das Füttern und auf der Tenne das Dreschen.

Genovefa, die sonst beim Spinnen die feinsten Fäden zu drehen wußte, die im Stalle zu schaffen verstand wie nicht bald Eine, mußte heuer auf der Tenne den schweren Dreschflegel handhaben. Sie dachte oft dabei, wie Gregor bei der Arbeit so flink und heiter war und für die Winterabende allerhand Geschichten wußte. Sie, die Vefa, hatte damals auch gesungen, jetzt aber hat sie gar keine Stimme mehr und es fallen ihr auch die Lieder nicht ein. Die Lieder kämen nur so beim Kuhmelken, aber jetzt darf sie ja nicht mehr in den Stall, dort hantirt der Gustl und will Alles selbst verstehen. Die arme Magd ist ganz verwaist und einsam.

Es kam die Weihnachtszeit und der Bauer ließ jedes Dienstbot

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_308.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)