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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Grenze leider noch immer sehr häufig geschieht. Unter den Officieren, meistens Stockrussen, zeichnen sich die deutschen Herren aus den russischen Ostsee-Provinzen vortheilhaft durch Bildung und feinen Ton aus, und man begreift nicht, wie sie die Misere des Grenzdienstes, in dem sie vom Verkehr mit der übrigen Welt durch ihre strenge Instruction fast ganz ausgeschlossen sind, ertragen können.

Der Dienst der Grenzwache besteht für die Infanterie darin, bei Tage die Grenze, einen wenige Schritte breiten, von zwei parallelen Gräben eingefaßten Streifen neutralen Landes zu beobachten, die Schmuggler zurückzuweisen, respective ihnen die Contrebande abzujagen und als Begleiter (Convoys)) den Reisenden und Waaren von der Grenzstation (Regatka) bis zu der weiter landeinwärts liegenden Zollkammer (Tomoszna) zu dienen. Die einzelnen Posten sind so gestellt, daß sie sich gegenseitig unterstützen können. Nachts patrouilliren Cavalleriepiquets die Grenze auf und ab, während die Infanterie mehr landein postirt wird. Die Mannschaften wohnen casernenartig in den sogenannten Cordonhäusern, in deren Nähe sich meistens besondere Dienstwohnungen für die Officiere befinden.

Das sind die Wächter, deren Schaaren das Weichbild des riesigen Zarenreiches bewachen, welche an der chinesischen Mauer dieses Riesenbaues die officiellen Pforten und Thore für die polizeimäßig legitimirten, sogenannten „ehrlichen Leute“, sowie die tausend Hinterpförtchen und Schlupflöcher hüten, durch welche die schlauen Schmuggler, Ueberläufer, Falschmünzer, Mordbrenner und ähnliches Gelichter aus- und einwechseln. Sie gehorchen einem despotischen Willen, der nicht allein die fremde Waare vom inländischen Markt ausschließen, sondern sich noch lieber auch gegen die ihm viel gefährlichere Contrebande des Gedankens der Freiheit durch die Legion seiner Schergen verwahren möchte. Doch auch diese Schranke wird weichen müssen, wie noch Alles dem Untergange verfiel, was sein Entstehen dem Despotismus, der Willkür und dem Irrthum verdankte. Die Civilisation und die Freiheit werden über die Trümmer der gesunkenen Mauer ihren Einzug halten und der Segen dieser Stunde wird auch unserer armen Provinz zu Gute kommen, die durch das russische Absperrungssystem bisher so sehr geschädigt war.

C. Schiemann.




Erinnerungen aus meinem Leben.
Von Friedrich Hecker.
2. Der Hexenmeister der Prairie.

Die herrliche wellenförmige Prairie mit ihrer wechselnden Blumenpracht, ihren rothschimmernden, von der Natur angelegten Erdbeerplätzen, dem im Winde gleich Wellen des Oceans wogenden Grase, ihrem Wildgeflügel und zahlreichen Heerden wohlgenährten Viehes, – sie lebt nur noch in der Erinnerung. Wo als Landmarke „der einsame wilde Kirschbaum“ stand, prangt ein Obstgarten voll saftiger Pfirsiche und prächtiger Aepfel; reiche Getreidefelder wogen, wo ehedem Abzuggräben gezogen waren, Wasservögel brüteten, und Reben bedecken den Hügel, welchen eine knorrige, dornige Gleditschie besetzt hielt. Welche Wandlung in zwanzig Jahren! Farm an Farm. Lauter Deutsche! Man kann weit herumziehen, ohne genöthigt zu sein sich des Englischen zu bedienen. Die jüngere Generation spricht beide Sprachen mit gleicher Leichtigkeit, und an ihr sind die Dialecte des deutschen Heimathlandes kaum mehr erkennbar. Englische Worte sind germanisirt eingemischt, obwohl nicht in dem Maße wie in den alten pennsylvanischen Niederlassungen, wo Einer im Stande ist, seiner Frau zu sagen: „Harriet, Du muscht Dei Gaun mende lo“ (Henriette, Du mußt Dein Kleid flicken lassen). Immerhin aber berührt es den Neuangekommenen, auch im Westen, ganz eigenthümlich, wenn er z. B. hört: „Ihr nehmt die Road (Weg) links, stoppt (haltet) an dem Store (Kaufladen), wartet bis Euer Bridle (Zügel) im Sattlershop (Werkstätte) gefixt (ausgebessert) ist, und dann trävelt (reist) Ihr gemächlich und könnt unterwegs in der Grocerie (Schenke) einen Drink (Trunk) nehmen, ehe Ihr an den River (Fluß) kommt und auf der Ferry (Fähre) übersetzt.“ Es wiederholt sich hier ein Sprachbildungsproceß, welcher eine tiefe Einsicht in die Geschichte der Ausbildung der modernen Sprachen besonders des Englischen und Französischen, gewährt.

Das in der Erinnerung schwebende Bild der wilden Prairie ruft mir eines der drolligsten Erlebnisse zurück. Es war jener furchtbar heiße und dürre Sommer des Jahres 1854; die kleineren Flüsse und die Bäche waren nur noch elende Rinnsale, die meisten Brunnen versiecht, viele Meilen weit mußte das Vieh getrieben werden, um es vor dem Verschmachten zu bewahren, zahlreich lag es dennoch verschmachtet auf der Prairie. Einzelne Farmer zogen mit ihren Haustieren an den Fluß und campirten in Nothhütten. Vom 16. Mai bis 26. October fielen nur unbedeutende Schauer; seit Menschengedenken hatte man sich keiner solchen Hitze und Dürre erinnert; die Arbeit war hart erschöpfend. Da band eines Sonntags ein mir bekannter Farmer W. sein Pferd an den Eichbaum im Hofe und nach der Begrüßung sah er neugierig auf die Bücher, in welchen ich eben gelesen hatte. Es waren Horst’s „Zauberbibliothek“ und die „Dämonologie“. Der Mann sah mit Verwunderung die entfalteten Zeichnungen der Zauberkreise, der kabbalistischen Figuren an und fragte, was ich da für sonderbare Bücher habe. „Das sind Zauberbücher,“ entgegnete ich, und mich an seiner ängstlichen Neugier weidend, fuhr ich fort: „Hier ist Dr. Faust’s großer und hier ‚der kleine spanische Höllenzwang‘, mit Letzterem kann man den Teufel aber nur zwingen, blos 333333 Ducaten zu liefern, aber wenn man nicht Alles recht macht, so bringt er Nichts“ – „oder,“ fiel er ein, „dreht einem das Genick herum.“ Hierauf las ich ihm einige der Zauberformeln vor, wobei ihm offenbar nicht wohl zu Muthe ward.

Ich ließ mich nun eines Weiteren über die Verirrungen des menschlichen Verstandes, über den im Volke herrschenden Aberglauben, das Unsinnige, Absurde, Verderbliche desselben aus und demonstrirte ihm vor, wie Aufklärung und Wissenschaften den düstern Kram großentheils weggefegt hätten und hoffentlich bald den letzten Rest vertilgt haben würden. Da erzählte er mir einige wunderbare Geschichten, die er von „andern Leuten“ gehört habe, welche solche ebenfalls von Anderen gehört hatten, und schloß auf gut Pfälzisch: „Lieber Herr, es is halt so, nix Gewisses weeß mer nit. Sehen Sie,“ fuhr er nach einer Pause fort, „draußen beim Gottlieb F. geht’s um, jede Nacht klopft’s, rumort’s, kratzt’s am Hause, auf dem Dache, zieht’s den Leuten das Bett weg, wirft mit Hafer und kleinen unreifen Pfirsichen, kitzelt sie im Gesicht, kurz es geht ein Geist im Hause um, und die Leute sind gar zu elend und krank von dem Geisterspuk.“

Da riß mir denn doch die Geduld. „Wenn Ihr nichts Gescheidteres habt mit in dieses Land bringen können, als die kolossalen Eseleien und Dummheiten, den unsinnigen Hexen- und Geisterkram, so wäre es besser gewesen, das Meer hätte Euch verschlungen. Ich weiß, wann das F.’sche Haus gebaut wurde, wer es gebaut hat, der Erbauer lebt noch, es ist ein neues Haus, als eine neue Ansiedelung hat es F. erkauft; zum Henker! wo wollt Ihr denn da irgendwie einen Geist hernehmen, der darin sein Wesen treiben soll?“ Alle Vernunftgründe und Auseinandersetzungen schienen wenig zu verschlagen und Alles bei ihm in dem „nix Gewisses weeß mer nit“ zu gipfeln. Ich beschränkte mich endlich darauf, ihn auszufragen, ob außer der F.’schen Familie noch irgend Jemand in dem Hause verweile, und erfuhr, daß eine Familie von „Grünen“, so pflegt man die neuen Einwanderer zu tituliren, Bekannte F.’s aus der alten Welt, ein Unterkommen daselbst gefunden, bis sie für sich eine Heimath gewählt haben würden, die Söhne aber sich an Nachbarfarmer verdingt hätten. Nun hatte ich den Faden, fragte genau Alles, was die Einwanderer betraf, aus, ermittelte, daß sie selbst gern den F.’schen Platz erwerben möchten, und setzte dem W., wie später dem F. auseinander, daß der ganze Spuk darauf angelegt war, dem Letztern die Farm zu verleiden und ihn zum Losschlag zu bestimmen. Zur Vergrößerung und Erweiterung der Geistergeschichte trug noch besonders bei, daß ein dem Whiskey sehr ergebener Amerikaner und ein gleichdurstiger

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_313.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)