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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Die eine tödtet Zeit und Geld, die andere producirt und vervielfältigt Geist, Zeitergebnisse und auch – Geld. Die einzige Aehnlichkeit vielleicht, die in der nächtlichen Thätigkeit dieser zwei so stark contrastirenden Häuser der Fichtegasse besteht, ist die: daß öfter zur selben Stunde in beiden, wenn auch nach verschiedener Richtung hin, von – Kartenkönigen die Rede ist.

Aber jetzt Contrast und Aehnlichkeit bei Seite gelassen – die Nacht beider Häuser liegt noch fern von uns; es ist halb zwei Uhr Nachmittags, und wir wollen dem Arbeitspalast der „Neuen freien Presse“ einen längeren Besuch machen, ihn besehen von unten bis oben, seine Vorrathskammern, seine Maschinenkatakomben, seine Arbeitsstile, seine Studirzimmer, seine Redacteursalons, seine Remisen, seine Comptoirs, Alles, Alles. Das Haus journalistischer Arbeit öffnet seine Thore Allen, die es sehen und studiren wollen, und an einem bestimmten Tage der Woche wallfahrten Fremde und Einheimische nach dieser neuesten Sehenswürdigkeit des neuen Wien, wie sie nach dem Cursalon, dem neuen Musikvereinsbau, dem Künstlerhause wallen.

Unser erster Gang gilt den Ateliers der ersten Etage. Die elegante teppichbelegte Treppe hinan gelangen wir an zwei Thüren, deren eine uns mit der Ueberschrift „Verbotener Eingang“ abschreckt. Also da hätten wir nichts zu thun! Wenden wir uns an die andere, die ist freundlicher; sie sagt nicht „Herein“, sagt aber auch nicht „Hinaus“. So sagen wir selbst „Herein“ und öffnen. Ein Corridor, der viele Thüren zeigt, nimmt uns auf und durch die uns zunächst liegende Thür gelangen wir in eine weite hohe Halle, welche durch mächtige Bogenfenster vom prächtigsten Tageslicht erfüllt ist. Den Charakter dieses Saales erkennt man schon an der großen Gemeinde der in ihm beschäftigten Arbeiter – wir sind im Setzersaal. Lange Reihen großer Tische und Kästen ziehen sich die ganze Breite des Saales hinab. An den für die Nachtarbeit mit Gaslampen versehenen Kästen arbeiten circa hundert Setzer, meist junge Männer mit intelligenten Zügen. In den Kästen ruhen jene Legionen todter Buchstaben, die hier aneinander gereiht werden, um in einer Stunde schon ein Heer lebendiger und wiederbelebender Geister, die Armeecolonnen der öffentlichen Meinung vorzustellen.

Zwischen den Setzern tummeln sich junge Burschen, die Zuträger von dem und jenem herum, läuft der Factor auf und ab, hier und dort stehen bleibend an diesem oder jenem Kasten, zur Eile gemahnend, anspornend, hier wird eine Schriftform gewaschen und dort eine Partie des Satzes von Fehlern gesäubert. In dem großen am Ende des oberen Saales befindlichen Verschlage sitzt der erste Factor der Druckerei, mit den Blicken Alles beherrschend. An der Wand neben dieser Factorresidenz klebt der – Tarif, dieser Dämon des letzten Strike, der nun in seinem aufgebesserten Zustande sich, für die Setzer wenigstens, viel besser ausnimmt. Das große Eckstück des Setzersaales von diesem Punkte aus gehört der Annoncensetzerei. Hier liegen in den Setzerkasten all’ die Originalzeichen der industriellen, finanziellen und socialen Reclame, die „große Schrift“ ist hier die Regel, das „Petit“ die Ausnahme; „fett, fett, fett!“ schreit hier jeder Kasten uns entgegen. So viel Ausrufungszeichen brauchen nicht zehn Setzer zusammen in der politischen Setzerabtheilung des Saales, wie hier deren einer nur aufbraucht.

„Raum ist König!“ sollte die Aufschrift dieser Inseratenabtheilung des Setzersaales der „Neuen freien Presse“ lauten. Hier ist auch der Ursprung, die Fundgrube des Geschäftes dieser bedeutendsten Zeitung Oesterreichs, hier bringt jeder Buchstabe, jedes Zeichen Geld; die Annoncenseite dieses Tageblattes wird bis zu sechshundert Gulden bezahlt und solcher Seiten sind in der Regel fünf, oft acht täglich, an Sonn- und Feiertagen auch zwölf, ja bis zwanzig Seiten. Diese Einnahmen allein ermöglichen aber auch nur die außergewöhnlichen Anstrengungen, die die „Neue freie Presse“ für ihren Inhalt, für ihr Ansehen, für ihr journalistisches Gewicht zu machen hat. Es bedurfte aber auch des raschen Emporkommens, bedurfte einer geistig und geschäftlich weit ausgreifenden Thätigkeit der Unternehmer, bedurfte eines Guttheils bereits erworbenen Ansehens, um die „Neue freie Presse“ auf die Höhe ihrer heutigen geschäftlichen Bedeutung zu bringen.

Verlassen wir diese Goldgrube der „Neuen freien Presse“, der Arbeit und dem Verdienste seine Ernte gönnend, und gehen wir nun in die andern Ateliers. Unweit der Thür, durch die wir in den Saal gekommen, ist der hydraulische Aufzug angebracht, der den fertigen Satz, mittels eines von Wasserdämpfen getriebenen Räderwerkes, schleunigst in die Tiefen des Maschinensaales und der Stereotypie hinabbefördert. Mit Erlaubniß des Gewalthabers aller dieser Räume, des obersten Leiters der Druckerei, setzen wir uns selbst, statt irgend eines gesetzten Feuilletons, auf das hydraulische Fuhrwerk und fahren stracks hinab in die „Hölle“ der Druckerei der „Neuen freien Presse“. Unten in kaum einer Secunde angelangt, empfängt uns Rasseln, Prasseln, Brodeln, Feuerzischeln, Schnurren, Sumsen und was sonst für Lärm nothwendig ist an Orten, wo so gewaltige Teufel los sind, wie diese grandiosen Druckmaschinen sind. Da stehen sie vor uns in dem großen weiten Souterrain-Saale, die ganze gewaltige Mitte einnehmend. Noch sind die Kolosse selbst ruhig, sie schlafen, träumen vielleicht in heller Vorahnung von Napoleon III., Pierre Bonaparte, Rochefort, Bismarck, Beust, Bischof Dupanloup, Pius IX., Bright, die ihnen in nicht ganz einer halben Stunde unter den eisernen Arm kommen werden; die kleinen Räder harren sehnsüchtig der Fortsetzung des gestern abgebrochenen Romans, während sich die großen eisernen Stäbe der Rechen auf die drastischere Kost des Abendblattes, nach Mord- und Raubnotizen zu sehnen scheinen.

Noch feiert Alles im Maschinensaale, einige Burschen und Mägde thürmen die Papierballen auf, die sich in den letzten Momenten ihrer schwindenden Unschuld noch kalte Douchen gefallen lassen müssen; feucht müssen ja alle diese Tausende von Bogen der Zeit- und Tagesgeschichte entgegentreten, so will es die Druckerkunst. In dieser Zeit der Ruhe ist die Dampfmaschine, die in den nebenliegenden Katakomben mit all’ ihrem Zubehör aufgestellt steht, die einzige riesige Arbeitskraft, in ihrem Bauche tobt das Element, dehnt und reckt sich, stöhnt und schreit auf – wir können ihr nicht helfen, gehen wir in die Stereotypie, in der die letzte Hand eben angelegt wird zur Bannung des gegebenen Satzes in eine ruhige feste Form, die letzte Hand zu seiner Vervielfältigung. Ein kleiner niedriger Raum, so recht dämonisch contrastirend von der bläulichen Gasflamme und der grellrothen Esse gemeinschaftlich erhellt, nimmt uns auf.

Was brauen die erhitzten Mannesgestalten wohl da? Da rührt einer von ihnen in einem heißen Brei herum, von dem wir kein Kaffeelöffelchen voll haben möchten; der Andere nimmt von der glühenden Metallspeise aber gleich einen Riesenlöffel voll, freilich nicht zu eigenem Gebrauch, zu eigener Speisung; wir sehen ihn die heiße Speise in eine Gußflasche thun. Eine andere dunkle Mannesgestalt, deren Antlitz wie bronzirt anzusehen, arbeitet entblößten Armes mit Säge und Hobel an einer Platte, deren Abrundung ihm manchen Schweißtropfen kostet; wieder Andere kochen den Metallbrei gar, nähren die Flammen. Das ist eine Werkthätigkeit, so geheimnißvoll, so still vollbracht, so ohne ein von irgend einer Seite fallendes Wort unterbrochen, daß man an das Ungeheuerlichste zu glauben versucht sein könnte, und es wird doch nur – stereotypirt. Der aus der Setzerei hierher gelangte, nur schwach zusammengefügte Schriftsatz erhält hier seine feste Formung, seine Festigung, sowie Consistenz. Er wird hier zu jenen halbkreisförmigen massiven Platten zusammengearbeitet, die man in der Kunstsprache „Clichés“ nennt, welche in der Maschine die angestrengtesten Dienste verrichten, ohne renitent werden zu müssen, und unter Anderem auch den Vortheil haben, daß die Typen vor schneller Abnutzung bewahrt werden.

Das Dasein dieser Clichés ist zwar kurz, denn in zwei Stunden, nach beendetem Drucke, kehren sie unwiderruflich wieder in ihr bleiernes Nichts zurück, d. h. sie werden zu fernerem ähnlichen Gebrauch wieder eingeschmolzen; dennoch erfordert ihre Herstellung große Sorgfalt und zwar wird der Schriftsatz zu diesem Behufe in eiserne Rahmen genau festgeschlossen, mit durch Stärkekleister oder dergleichen vielfach zusammengeklebten Papierblättern belegt und dann einem Drucke ausgesetzt, durch welchen die Schrift in dem aufgelegten Papier sich tief und genau markirt; die so nun gewonnene Papierplatte mit Schriftprägung, Matrize genannt, wird in den Gießapparat, in die „Gußflasche“, gebracht, welch letztere alsdann mit flüssigem, aus Blei und Antimon bestehendem Schriftmetall gefüllt wird, das überall hin und somit auch in die in dem Papier befindlichen (Schrift-)Vertiefungen fließt. Auf diese Art erhält man eine getreue Wiedergabe des aus einzelnen Typen gebildeten Schriftsatzes in einer festen Platte, welche, nachdem sie in die gehörige Halbrundung gebracht und die Seitenflächen abgesägt und abgehobelt worden sind, dem Maschinenmeister

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_318.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)