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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

zu ziehen, und nachdem mehr als eines meiner Stücke günstigen Erfolg gehabt, trug er mir eines Tages förmlich die Umarbeitung seiner einactigen Oper „Milton“ an, über die er schon so lange gegrübelt, und die er zu einer dreiactigen großen Oper ausdehnen wollte, wozu der Stoff – soweit er mir bekannt – sich gar nicht eignete. Da ich nun verlangte, zunächst das Originalgedicht zu kennen, sagte er mir die Uebersendung desselben zu; für viel wichtiger hielt er aber: daß ich Motive zu interessanten Situationen und zu frappanten Momenten sammle. Zu diesem Zweck empfahl er mir die Lesung Walter Scott’s. Er habe von einer Zigeunerin gehört, die in einem dieser Romane vorkäme, und die sehr anwendbar sein müsse. Ich versicherte ihm, daß mir der Roman „Guy Mannering“ sehr wohl bekannt sei, daß ich aber nicht zu ahnen vermöge, in welche Verbindung „Meg Merilles“ mit Milton zu bringen sei. Auf diesen Einwand legte er keinen Werth. Vor Allem sei es nöthig, meinte er, Motive verschiedener Art zu suchen, um schließlich ihre Verwendung zu finden; er selbst habe schon viele Momente aufgezeichnet, von denen ich sagen würde: où diable lui sont venus de telles idées! „Adieu, mon cher,“ schloß er, „lisez votre Walter Scott, nous en parlerons davantage.“

So weit ab von allem dramatischen Verstande hatte die Effectjagd den Componisten von Vestalin, Cortez und Olympia geführt! Natürlich lehnte ich die Mitschuld an solchem Mischmasch unter plausibeln Vorwänden ab.

Bei der Zerfahrenheit, in welche der Maestro immer tiefer gerieth, konnte er mit der Welt nicht zufrieden sein. In dieser Stimmung fand ich ihn öfter sehr mittheilend. Er sah das Ende aller Tage vor sich. Das moderne Frankreich sei der Ausgangspunkt der Fäulniß der europäischen Gesellschaft, die nur durch Zertrümmerung des französischen Staates gerettet werden könne. Daß Paris dem Boden gleichgemacht werden müsse, war in den dreißiger Jahren der Lieblingsgedanke des Hofkreises, dem Spontini sich gern anschloß. Als der vertriebene Karl der Zehnte in die Nähe von Berlin kam, fuhr auch Spontini nach Schloß Bellevue hinaus, um dem „Märtyrer“ die Hand zu küssen. Große Angst flößte ihm das Erscheinen der Cholera ein, sie traf mit den Bedrängungen zusammen, welche ihm die veränderte Generalintendanz bereitete. Wir waren einstmals in seinem Zimmer, während seiner Beschwerden über die Anfechtungen, die er erfahre, an’s Fenster getreten. Gegenüber stand die französische Kirche, in deren Unterbau die Leichenwagen geborgen waren, die man soeben herausschob. Spontini verstummte und sah den Zurüstungen zu. „Toujours des sarcophages,“ sagte er vor sich hin, „toujours, toujours!“ Auf meine Frage, ob er Furcht vor der Seuche habe, verneinte er und behauptete, daß nur die allgemeine Calamität ihn bewege. Er für seine Person fürchte diese Krankheit so wenig als alle seine Feinde, sie würden Alle an ihren Angriffen gegen ihn zu Grunde gehen. „Sehen Sie Adams,“ fuhr er fort, „sehen Sie Tschukke“ – das waren zwei kürzlich verstorbene, dem Grafen Brühl sehr anhängliche Intendanzbeamte – „sie sind nicht mehr. Sehen Sie, wer dem gleichen Schicksal nahe ist.“ Er meinte offenbar den von ihm krank geärgerten Grafen Brühl. „Nein!“ rief er aus, „man wird gegen mich nichts ausrichten!“ und schloß mit einem düstern Blick durch das Fenster nach oben: „il y a là un certain point qui me tient.“

Ich war erstarrt über den frevelvollen Dünkel des Italieners und mir fiel Napoleon der Erste ein, der dem warnenden Cardinal Fesch seinen Glücksstern am hellen Mittagshimmel zeigte. Dergleichen Sterne aber fallen wie die Sternschnuppen, sobald ihre Zeit kommt; Spontini sollte es erfahren.

Er hatte endlich die Geduld verloren, länger vergeblich gegen den Ritterpanzer des Generalintendanten anzurennen, und 1840 eine Klage über Beeinträchtigung seiner verbrieften Rechte an den König gerichtet. Wie diese Schrift gefaßt war, was darauf geschehen, blieb dem Personal sowohl als dem Publicum dunkel, bis eine Besprechung der Berliner Opernzustände in der Leipziger „Zeitung für die elegante Welt“ vom 28. und 29. December 1840 eine Aufklärung unternahm.

Dieser Artikel kommt, nachdem er das Suchen nach Sängerinnen, die Unerklärlichkeit mancher Verschmähungen und die daraus hervorgegangene Verlegenheit besprochen, dann auch auf den Competenzstreit zwischen den beiden Autoritäten und sagt: „Wie man hört, hatte Herr Spontini dem Könige eine Denkschrift eingereicht, in welcher er alle Mängel und Schwächen der Bühne und ihrer Einrichtungen auseinandersetzte und Vorschläge zur Umgestaltung machte. Herr Spontini schien dabei auf die Gnade Seiner Majestät zu rechnen, die ihm oft in früherer Zeit beschützend leuchtete, und soll die Verwaltung sowohl, wie die Person des Intendanten wenig geschont haben. Der Ausgang des Unternehmens war jedoch durchaus anders, als man vermuthete. Die Denkschrift kam aus dem Cabinet direct an den Grafen Redern mit einem Schreiben, daß Herr Spontini zwar so berichtet, der König aber nur von dem Grafen, als von dem ersten und alleinigen Vorstande der Anstalt, Vorschläge annehmen könne, übrigens auch keine andere Autorität dort gelte, als die seine, die ihm allein verantwortlich sei.

Ein solcher Ausgang ist niederschlagend für Herrn Spontini, und wir müssen nun abwarten, ob derselbe seine oft angedrohte Entlassung fordern, oder den Umständen sich fügen werde. Vorläufig scheint er ruhig zusehen zu wollen, was aus der Verlegenheit wird.

Auf der andern Seite ist es doch sehr erfreulich, daß endlich eine Entscheidung darüber erfolgt ist, wer zu befehlen hat. Unleugbar kommt das dem General-Intendanten zu, und der General-Musikdirector muß sich fügen etc.“

Der vorbereitende Charakter dieses Artikels war unverkennbar und Spontini, der eine Witterung hatte, daß ernstlich an eine Verkürzung seiner Prärogative gedacht werde, glaubte mit einem kühnen Frontangriffe dem Könige Schach bieten zu sollen. Er fand in seiner Umgebung willfährige Leute, ihm bei diesem unvorsichtigen Schritte behülflich zu sein. So brachte die „Zeitung für die elegante Welt“ Nummer 9 des Jahres 1841 eine Erwiderung Spontini’s, vom 20. Januar datirt, folgenden Inhaltes:

„Mein Herr Redacteur!

Ihr Berliner Correspondent ist auf meine Rechnung übel unterrichtet worden. Er veranlaßt, ja er zwingt mich, seinen Irrthum zu berichtigen, und bringe ich hiermit zu Ihrer Kenntniß, daß ich in einer von der Hand Seiner Majestät des Königs Allerhöchstselbst vollzogenen Cabinetsordre vom 30. September vorigen Jahres den Befehl erhalten habe, die Verstöße, welche sich der Generalintendant der königlichen Schauspiele, Herr Graf von Redern, seit nunmehr zwölf Jahren gegen mehrere Bestimmungen meines Contracts und meiner Dienstinstruction zu Schulden kommen lassen, näher zu bezeichnen und speciell anzuführen, und daß ich zur Zeit noch immer die Allerhöchste Entscheidung hierauf, und zwar in einer gleichfalls von der Hand Seiner Majestät gezeichneten Cabinetsordre erwarte. Sollte diese so ausfallen, wie Ihr Correspondent im Voraus bestimmt und Sie es in den soeben von mir gelesenen Nummern Ihrer Zeitschrift vom 28. und 29. December vorigen Jahres veröffentlicht haben, so würde ich Sie und Ihre Leser auf eine Mittheilung darüber, ob ich mich dem fügen werde, nicht warten lassen, sondern ich erkläre hierauf (und Sie können es ihnen bekannt machen) ein bestimmtes Nein. Sie können sogar hinzufügen (und ich autorisire Sie ausdrücklich dazu): daß ich in dem von Ihrem Correspondenten im Voraus bestimmten Falle – und dieser ist unmöglich, denn er würde die Unterschrift und das geheiligte Wort zweier preußischer Könige compromittiren – eher meine Stellung als General-Musikdirector und erster Capellmeister des Königs, nach einundzwanzigjährigen, so ehrenvollen Diensten, aufgeben würde. Wohlverstanden, daß, bevor ich meiner Ruhe, meinen Neigungen und meinem Interesse ein so übermäßiges Opfer auferlegte – ein Opfer, welches die Ehre mir geböte – ich mit Ehrerbietung von solcher Entscheidung auf das Urtheil des Publicums und der competenten Gerichtshöfe provociren, und die zahlreichen und gewichtigen Beweggründe bekannt machen würde, welche mich, zu meinem lebhaften Schmerz, zu einem so äußersten Entschluß hätten hinreißen müssen.

Berlin am 20. Januar 1841.

Spontini.“ 

Diese Erklärung machte begreiflicherweise großen Lärm. Daß es unziemlich, ja unverschämt war, öffentlich der Entscheidung vorzugreifen, welche sein Dienstherr, der König, nehmen werde, ihn öffentlich zu provociren, mit Recurs an die Gerichte, ja an das Publicum im Voraus zu drohen, wenn die Majestät nicht entscheiden würde, wie der General-Musikdirector es verlange, das Alles war allerdings frech bis zur Verrücktheit; ob es aber Hochverrath und Majestätsbeleidigung war, wie man es charakterisiren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_327.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)