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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


wollte, das wurde von einigen kühnen Stimmen bestritten. Indessen hatte doch nun das Publicum in dieser unbestreitbaren Straffälligkeit endlich einen Rückhalt gefunden, um seinen langgenährten Groll gegen Spontini auszulassen. Man wußte, daß der König eine Untersuchungs-Commission eingesetzt habe, und suchte die Gelegenheit, einen Stein in die Wage der Gerechtigkeit werfen zu können. Als nun auf den 2. April die Vorstellung des „Don Juan“ angesetzt wurde, die Oper, welche Spontini gewöhnlich dirigirte, so bereitete sich für ihn ein Empfang, der ihn das Urtheil des Publicums, auf das er sich so kühn berufen hatte, hinlänglich sollte kennen lehren.

Viele seiner Anhänger warnten ihn, an diesem Abende zu dirigiren; er zeigte sich entschlossen, Allem, was kommen könne, die Stirne zu bieten. Am Tage der Aufführung ließ ihn der Polizeipräsident noch abmahnen; er antwortete, daß nichts ihn abhalten könne, seiner dienstlichen Function zu genügen.

So kam der Abend heran. Das Opernhaus füllte sich enggeschichtet bis in den letzten Winkel, und als Spontini in’s Orchester trat, empfing ihn ein Höllenlärm von Pochen, Pfeifen, Stampfen und Geschrei: „Hinaus! Hinaus!“

Ich war des Glaubens, Spontini werde nun nicht mehr weichen, sondern eher auf seinem champ de bataille sich tödten oder gewaltsam hinweg schleppen lassen; wozu hätte er sonst dem Publicum die Stirn geboten? Er hielt auch lange Stand, tactirte die Ouvertüre unbeweglich fort, obschon vor dem Lärmen nicht ein Ton der Musik vernehmbar war. Der Vorhang erhob sich, Leporello versuchte vergeblich sich hörbar zu machen, das Toben wurde wo möglich noch ärger. Nun schien Spontini die Partie für verloren zu geben, er fragte den Concertmeister, ob die kleine Thür, die vom Orchester in die Untermaschinerie führte, unverschlossen sei. Er dachte zu entwischen.

Als nun Donna Anna mit Don Juan erschien, und auch die Rücksicht für die Dame den Lärm nicht dämpfte, die Minorität der „Ruhe!“ gebietenden Stimmen gar nichts ausrichtete, der Regisseur, Baron von Lichtenstein, in’s Orchester kam und eifrig auf Spontini einredete, sah man diesen endlich den Tactstock niederlegen und mit Baron von Lichtenstein das Orchester verlassen, um es nie wieder zu betreten. Hohngeschrei und Gelächter des Publicums verfolgte ihn, und als nach einiger Zeit der Capellmeister Hennig am Dirigirpulte erschien, wurde er mit Jubel empfangen und die Oper hatte ihren Verlauf.

Damit war Spontini aus der öffentlichen Wirksamkeit in Berlin, von dem Kunstinstitute schimpflich ausgewiesen, das er einundzwanzig Jahre lang mit solchem Uebermuth beherrscht hatte. Mochten die Feinfühlenden im Publicum das Verfahren der Masse brutal schelten, achtungslos vor künstlerischer Berühmtheit, unwürdig, weil die Majestätsbeleidigung jetzt zum Anlaß der Züchtigung genommen wurde, die Spontini um Beleidigung deutscher Kunstinteressen längst verdient hatte, – das Publicum läßt sich auf solche Unterscheidungen nicht ein, sein Urtheil ist summarisch. Hier constatirte es, daß Spontini ein verhaßter Mann geworden war, dem dies fühlbar werden sollte, sobald die Gelegenheit dazu gekommen.

Natürlich nahm der Vorgang das Stadtgespräch ganz und gar in Beschlag. Gerüchte über die Verhandlungen der Untersuchungscommission wurden geschäftig hin und her getragen. Große Sensation machte es, daß der König, bei einem Spaziergange auf dem sehr besuchten Königswege Spontini begegnend, bei ihm stehen geblieben sei und lange mit ihm gesprochen habe. Man fürchtete eine Beeinträchtigung der öffentlichen Genugthuung durch eine zartfühlende Regung des Königs.

Erst am 25. August 1841 wurde die höchste Entscheidung bekannt, sie war königlich. Spontini wurde aller seiner contractlichen Verpflichtungen enthoben, unbeschadet seiner Besoldung, der ihm verliehenen Titel und des Rechtes, seine etwaigen neuen Compositionen bei ihrer Aufführung in Berlin zu dirigiren. Den letzten Punkt nahmen die Berliner für ungeheure Ironie.

Mit Mühe brachten seine Anhänger ein bescheidenes Abschiedsfest im Saale der Singakademie zu Stande. Hier vermochte Spontini doch nicht ganz seine unberührte Haltung zu bewahren, er brach beim Abschiede in Thränen aus und in die unverhohlene Klage: daß er nach einundzwanzig Jahren voll aufopfernder Arbeit also aus dieser undankbaren Stadt scheiden müsse. Am 31. August verließ er Berlin und reiste wieder, wie er oft gethan, zu seinem Schwiegervater, dem Flügelfabrikanten Evrard nach Paris, kehrte aber im December auf einige Zeit nach Berlin zurück, um seinen Haushalt aufzulösen.

In Paris fand er keine neuen Anknüpfungspunkte; ich war schon im Jahre 1839 Zeuge gewesen, wie wenig man ihn dort beachtete. Er zeigte sich in verschiedenen deutschen Städten, ohne große Aufmerksamkeit zu erregen. Im November 1844 sahen wir uns in Dresden wieder, wo ich, mit der künstlerischen Leitung des Hoftheaters betraut, ihm eine Aufführung der Vestalin, mit trefflichen Talenten, nach seiner Berliner Einrichtung, geben konnte, aber auch ohne große Aufmerksamkeit des Publicums zu erregen. Er hatte seine alte Haltung wieder, seine selbstgenügsame Miene war so unverändert, wie seine Frisur und der Anzug, in dem ich ihn vor vierundzwanzig Jahren zum ersten Male auf dem Berliner Opernplatz gesehen.

Im August 1847 hat er endlich, als ein vergessener Mann, in Majolati, nahe seinem Geburtsorte Jesi im Kirchenstaate, seinen Wohnsitz genommen und noch eins der Ziele seines eitlen Lebens erreicht: der Papst ernannte ihn für seine letzten dunklen Tage noch zum Grafen von St. Andrea. Sein längst projectirtes Wappenschild konnte er also doch noch aufrichten, aber sein Schiff ging nicht mit vollen Segeln der Sonne zu, es glitt mit schlaffen Segeln in die Nacht. Er starb – dreiundsiebenzig Jahre alt – am 24. Januar 1851.




Die „Gnadenstätte“ in Philippsdorf.
Ein Beitrag zur Culturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts.

Der Unsinn ist unsterblich! Davon habe ich vor wenigen Tagen, auf einem kleinen Osterausfluge, wieder ein eclatantes Beispiel erlebt. Ich will erzählen, was ich gesehen und gehört, schlicht und recht, ohne viel Raisonnement. Die Sache spricht für sich selber schlagend genug.

Blau und klar lachte, nach langen Schneeschauern, der Ostersonnabend zu mir in’s Zimmer herein. Rasch entschlossen, einen alten Vorsatz auszuführen, gürtete ich mir die Lende, das heißt hing meine vielgewanderte kleine Touristentasche über die Schulter und dampfte durch unsere schöne sächsische Schweiz elbaufwärts nach Böhmen und auf der neuen Nordbahn zwischen einer überraschend imposanten Wald- und Bergscenerie, die freilich noch hie und da tief im Winterkleide stak, in jenen nördlichsten Winkel des Landes hinein, welchen das sogenannte Lausitzer Gebirge vom Gros des kaiserlichen Königreiches gewissermaßen absondert.

Landschaftlich ist dieser Zipfel ein prachtvolles Stück Erde, herrlich umrahmt von den pittoresken Linien des in einzelnen Gipfeln zu beträchtlicher Höhe aufsteigenden Bergzuges, zugleich aber eine außerordentlich betriebs- und verkehrsreiche Gegend. Haus reiht sich fast an Haus; in jedem klappert der emsige Webstuhl, hier Beinkleiderstoffe, dort Leinwand oder Bänder producirend, und die ausgedehnten Fabrikdörfer, unter ihnen das größte Dorf der gesammten österreichisch-ungarischen Monarchie, Warnsdorf, mit mehr als zwanzigtausend Einwohnern, übertreffen wie durch ihren Umfang so durch die Stattlichkeit ihrer Gebäude manche ansehnliche Stadt.

Die Hauptstadt des Bezirkes, zugleich der Endpunkt der böhmischen Nordbahn, ist der Liechtenstein’sche Herrschaftssitz, das alte Rumburg, das sich mit den angebauten Dörfern weit hinein in’s Land verliert. Hier kam ich am Vorabend des Osterfestes an und wohnte in der dichtgedrängten vom Gesang der Menge und dem Brausen der Orgel erfüllten Kirche der Feier der „Auferstehung“ bei, indeß von draußen der Lärm von Kanonenschlägen und Flintengeknatter hereinscholl. Als ich wieder in das Freie trat, erwartete mich ein neues Schauspiel: der ganze Ort schwamm im Lichte. An den Berglehnen, zwischen den Waldparcellen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_328.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)