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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

in solchen Dingen um so weniger Spaß versteht, als es den schnöden Betrug zu verdauen hat.

Die meisten Verfälschungen werden mit dem Weine vorgenommen, und zwar weniger in Bercy, wo sich die großen Weinniederlagen befinden, als von den Detailhändlern. Diese werden daher sorgfältig überwacht, und die Strafe folgt dem Vergehen auf dem Fuße. Die mit dem verfälschten Weine gefüllten Fässer werden an das Seine-Ufer gefahren und dort unter dem Hallo der Bevölkerung geöffnet, welche sich mit offenen Mäulern herbeidrängt, um die scheußliche rothe Brühe auf deren Wege vom Spundloch in den Fluß aufzufangen. Die Polizeidiener haben unsägliche Mühe, den Hans Hagel zurückzudrängen. Was aber die armen Fische betrifft, denen so unerwartet ihr Element getrübt wird, so suchen sie sich schleunigst davon zu machen oder werden von der widerwärtigen Jauche vergiftet. –

Wie viel Menschen gehen in Paris herum, die Morgens nicht wissen, ob sie Mittags essen werden, und wie Viele, die mit Ach und Krach die paar Sous aufgetrieben, um den Hunger zu stillen, wissen nicht, mit was sie ihn eigentlich gestillt! Allein die Unglücklichen, die ihren Magen mit dem von einem Dutzend Tafeln zusammengerafften und vermengten Abhub hintergehen, werden doch von den noch Unglücklichern beneidet, die nicht einmal die Mittel besitzen, mit solchem Abhub den Hunger zu beschwichtigen. In großen Städten ist Niemand so arm, daß er nicht noch Aermern begegnet; denn nur das Glück, aber nicht das Elend der Menschen hat seine Grenzen.




Literaturbriefe an eine Dame.
Von Rudolf Gottschall.
V.


Ich sehe Sie, Madame, mit des Geistes Augen durch den Buchenhain schreiten, durch dessen schlanke Säulenhallen hindurch der Blick auf die unbegrenzte Ostsee fällt. Es ist Frühling in den Lüften, bald grünen die Wipfel und die ungedruckten und unrecensirten Sänger des Waldes singen in glücklicher Freiheit.

Und wie die anmuthig erregte Phantasie ein freundliches Bild an das andere reiht, so muß ich jetzt einer andern Strandgegend gedenken, die ich in meiner Jugend mit einem befreundeten Genossen durchwanderte, des bäderreichen samländischen Ostseegestades, welches freilich keine stattlichen Buchenwälder schmücken, welches aber durchaus nicht eigenthümlichen Reizes entbehrt. Hier sind keine Modebäder, in denen die Weltfahrer und Weltfahrerinnen verweilen und deren Heldinnen das „Journal amusant“ mit grotesken Situationsbildern bereichern; hier sind nur Stationen friedlicher Naturfrische, und mag auch in Cranz und Neukuhren das fashionable Königsberg den Glanz seiner Toiletten zur Schau stellen, so überwiegt doch die Idylle; man sieht nicht blos die mit wohlangebrachtem Chignon herumflatternden Modekupfer; man sieht ebenso oft „des Nordens Barbarinnen“ das paradiesisch gelöste Haar, das der Meergott in Verwirrung gebracht hat, in der Sonne trocknen.

Durch diese oft melancholischen Sanddünen und mit Haidekraut und Wachholder bewachsenen „Palven“ Samlands, welche aber ebenso oft durch waldige Thalschluchten mit köstlichem Baumwuchs unterbrochen werden, bin ich als Student gewandert, an der Mütze den silbernen Albertus, das stolze Zeichen der Königsberger Studentenschaft, und mit mir wanderte Wilhelm Jordan, der schon die Promotionskosten für einen höheren Grad der Gelehrsamkeit bezahlt hatte. Wir hatten beide sehr früh unsere poetischen Erstlinge in die Welt gesendet; es war damals die goldene Aera des Königsberger Liberalismus, und was unter dieser Flagge in See stach, durfte auf günstigen Fahrwind hoffen. Wir wohnten zusammen, wir dichteten zusammen, wir hielten zusammen poetische Vorlesungen; er goß „Glocke und Kanone“ und träumte „Irdische Phantasmen“; ich ließ „Lieder der Gegenwart“ und „Censurflüchtlinge“ in die Welt flattern. Ja, wir waren jung, aber „berühmt“ von den Ufern des Pregels bis zu den Sanddünen von Cranz und selbst in den Spalten der deutschen Journale blühten die schüchternen Primeln unseres Dichterruhms. Mit dem Ruhm ist es nicht, wie mit dem Wein, Madame! Nicht der alte, abgelagerte, nur der junge Ruhm berauscht. Später wird man mißtrauisch gegen den Ruhm; man bemerkt, daß er oft künstlich in Ruhmesfabriken zubereitet wird, daß er bisweilen mit dem Papier die bedenkliche Aehnlichkeit hat, aus Lumpen fabricirt zu werden, und wie Maculatur rasch dem Loos irdischer Vergänglichkeit verfällt.

Doch ein junges Gemüth, das zuerst von seinem Strahl berührt wird oder berührt zu werden glaubt, sieht die ganze Welt verklärt. Flüsterte nicht diese oder jene Strandnixe unsere Namen, als wir vorübergingen? Das war ja für uns das Sirenenlied dichterischer Unsterblichkeit!

Und wir waren als wandernde Sänger unseres Amtes eingedenk. Kaum hatten wir, im Schatten hundertjähriger Eichen, von der „Fuchsspitze“ des romantischen Warnicken aus das unermeßliche Meer betrachtet, kaum waren wir durch die laubreiche, bachdurchrauschte „Wolfsschlucht“ in den Garten des Gasthauses zurückgekehrt, als wir uns auch gleich an den schlichten Holztisch setzten, um die empfangenen Eindrücke in scandirbarer Form zu verewigen und ganz Deutschland mit unseren Empfindungen zu beglücken. Denn mit Geringerem nicht wäre unsere Muse zufrieden gewesen; sie rief mit Stolz aus: „Das ganze Deutschland muß es sein!“

Ob Wilhelm Jordan damals eine Ahnung davon hatte, daß er zu dem „hochaufrauschenden heiligen“ Meer, welches er im daktylischen Wogenschlag seiner Verse widerspiegelte, noch einmal in officielle Beziehung treten werde? Gewiß nicht! Er mochte von Dichterlorbeern träumen, aber der künftige „Marinerath“ warf noch keinen Schatten in seine Seele. Wir zweifeln, daß die Najaden und Tritonen der Ost- und Nordsee dem Dichter eine Vertrauensadresse votirten, als er aus den Parteistürmen des Frankfurter Parlaments an das Steuerruder der „deutschen Flotte“ flüchtete, die freilich! damals selbst einen sagenhaft poetischen Zug hatte. Glücklicherweise wurde mit dem letzten Kriegsschiff die Muse des Dichters nicht mitverauctionirt; sie überlebte die seemännische Episode, und die Pension des Marinerathes wurde eine deutsche Dichterpension. So hat sich das Meer dankbar gezeigt für die Verherrlichung, welche der junge Dichter ihm zu Theil werden ließ, als er im Garten von Warnicken sein poetisches „Strandrecht“ übte und alle Gedanken und Gefühle zusammentrug, welche die Meeresfluth ihm ans Ufer geworfen hatte.

Ich will Ihnen hier, Madame, nichts von Jordan’s kurzer politischer Laufbahn berichten. Dichter sind als Politiker nicht in ihrem Element, so berechtigt auch die politische Dichtung ist. Das Beispiel Lamartine’s und Victor Hugo’s, welche von der Verherrlichung der Legitimität zur Feier der Socialrepublik übergingen, zeigt zur Genüge, zu welchen politischen Wandlungen dichterische Gemüther neigen. Jordan ging von der äußersten Linken des Frankfurter Parlaments zum Centrum über. So sehr ihm diese plötzliche Schwenkung verdacht wurde, so mußten doch selbst seine Gegner das bedeutende rednerische Talent anerkennen, welches Jordan sowohl im Parlament als auch bei naheliegenden Veranlassungen entfaltete. Die Leichenrede, die er dem ermordeten Fürsten Felix Lichnowski hielt, war in ihrer Art ein oratorisches Meisterstück, keine akademische oraison funèbre, in welcher jede Periode schwarz ausgeschlagen und mit Trauerfloren drapirt ist, nein, schwunghaft markig den tragischen Ernst der Situation erfassend und vorgetragen mit der hinreißenden Kraft des Volksredners.

Nachdem das Frankfurter Parlament zersprengt und die deutsche Flotte unter den Hammer gekommen war, verschwand auch der Marinerath von der Weltbühne und ergab sich wieder dem stillen Cultus der Musen. Hier und dort erschien auf den Bühnen ein Lustspiel von ihm, welches, zu der seltenen Gattung der poetischem Lustspiele gehörig, in den melodischen und feinzugespitzten Reimversen an „Donna Diana“ erinnerte. Daneben aber studirte der Dichter die Edda und vertiefte sich in die Runen des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_346.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)