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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

einem sechszehn Fuß Höhe und neunzehn Fuß Durchmesser habenden Wasserbottich vor der Berliner Bevölkerung producirte.

Der von ihm benutzte Apparat war eben nach dem Muster des Capitains Rouquayrol-Denayrouze gebaut; dessen Tüchtigkeit zu erproben und des Tauchers Geschicklichkeit bewundern zu lassen, ist aber jedenfalls das wogende Meer geeigneter, und so möge uns denn der geneigte Leser, inmitten einer muntern, schaulustigen Badegesellschaft, mit den Zutrittskarten der gastlichen Bernsteinherren versehen, zu dem riffumragten Seegestade von Brüsterort begleiten. Der freundliche Inspector, Herr St., ein Memeler Kaufmann, der sich den größten Theil des Jahres auf das windgepeitschte Cap Landsend unter meist fremde Zungen redende Meermenschen gebannt sieht, hat uns sofort – Männlein und Fräulein bunt durch einander – in eine mächtige Ruderarche gepackt, und steuert uns der etwa tausend Schritt entfernten Taucherflotille entgegen, indem er unserem fröhlichen Geplauder, seinem geliebten Hochdeutsch, mit sichtlichem Behagen zuhört. Eben macht unser Boot eine Schwenkung, um sich breitseit gegen einen der luftpumpenden Taucherkähne zu legen, als eine von unserm Bug in die Fluth blickende Jungfrau einen jähen Aufschrei vernehmen läßt.

Aus „den bewegten Wassern“ war „ein feuchter Mann emporgerauscht“ und hatte ihr mit gespenstigen Augen zugewinkt. Und sieh! da taucht dicht vor unseren Augen wieder solch ein „Graulichmacher“ auf, durch einen leisen Ruck an seinem Rettungsseil von unserer Visite benachrichtigt; und wir müssen gestehen, daß er mit dem unförmlichen Kopf und den tellergroßen Glasaugen mehr einem vorweltlichen Saurier, als einem Exemplar der heutigen Species „homo sapiens“ gleicht.

Und athmete lang’ und athmete tief,
Und begrüßte das himmlische Licht!

Denn:

Aus dem Grab, aus der strudelnden Wasserhöhle
Hat der Brave gerettet die lebende Seele!

Betrachten wir indeß, um systematisch zu verfahren, zunächst den jungen Taucher, der soeben für sein unterseeisches Tagewerk eingekleidet wird; ein Verfahren, das unseren von der Schaukelbewegung wohl ein wenig elegisch herabgestimmten Gemüthern wie eine Art Henkertoilette erscheint.

Ueber einen den ganzen Körper warm umschließenden Wollenstoff wird der in einem Stück gefertigte Gummi-Anzug angelegt, der, sowie der Helm, eine den dortigen Verhältnissen – die Leute können fast nur liegend arbeiten – angepaßte veränderte Form erhalten hat. Während wir im vorigen Jahre noch den schweren kupfernen Vollhelm der französischen Erfindung im Gebrauch fanden, der gleich den ältesten plumpen Ritterhelmen Kopf und Hals umschließt, sahen wir jetzt ein Ding nach Art einer Kesselpauke, welches, an den kapuzenartig sich über den Scheitel des Tauchers fortsetzenden Gummistoff hermetisch festgeschraubt, vor dessen Gesicht hängt, ohne Kopf und Nacken zu beschweren. Hierdurch ist zugleich die Möglichkeit gegeben, daß der Taucher, der sonst nur durch den Mund allein ein- und ausathmen darf, vermittelst sechs- bis achtmaligen durch die Nase bewirkten Ausathmens den Raum innerhalb des Anzugs mit Luft erfüllen und sich so, wie wir gesehen, ohne fremde Hülfe empor bringen kann. Dieser neue Helm hat, wie der alte, drei Oeffnungen für Augen und Mund, welche durch luftdicht einzuschraubende Rundfenster, von starken Kreuzdrähten geschützt, verschließbar sind. Wie aber athmet der Taucher mit dem französischen Apparat? Nächst dem Helm ist des Tauchers wichtigstes Armaturstück jener kleine schwarze Kasten von starkem Eisenblech, welcher ihm jetzt wie ein Tornister auf den Rücken geschnallt wird. Es ist dies sein Luftreservoir, seine künstliche Luftröhre, wenn man will. Denn in diesem Behälter, in welchen von oben her der vierzig Fuß lange Gummischlauch der Luftpumpe mündet, wird die Athmung durch ein sinnreiches Ventil geregelt. Dies läßt nämlich beim jedesmaligen Einathmen nur das zu einem Athemzug erforderliche Luftquantum hindurch, beim Ausathmen hingegen schnellt es in die Höhe und öffnet der ausgestoßenen Luft den Weg, auf dem sie durch ein sich sofort wieder schließendes „Lippenventil“, in der obern Ecke des Luftkastens angebracht, entweichen kann.

Nun wird unserem Taucherlehrling das Mundstück des Gummischlauchs, welcher von hier aus, mit scharfer Biegung den Helm durchbrechend, seitlich in den Luftkasten tritt, fest zwischen die Zähne gesteckt, dann folgt seine Beschwerung mit einem halben Centner Blei an Füßen, Achseln und Helm, und:

„Geheimnißvoll über dem kühnen Schwimmer
Schließt sich der Rachen.“

(Schluß folgt.)




Aus der Jugend einer berühmten Frau.

Als der Unterzeichnete vor einiger Zeit im Auftrag des Stadtraths zu Zwickau das dortige Rathsarchiv revidirte, fiel demselben bei dieser Gelegenheit ein ziemlich umfangreiches Actenstück in die Hände mit der Aufschrift: „Acta inquisitionis in Sachen Friederike Caroline Weißenbornin und deren Entführung durch Gottfried Zornen de anno 1712“. Da nun bekanntlich die berühmte Schauspielerin Karoline Neuber, mit welcher die Epoche des besten Geschmackes in der Geschichte des deutschen Theaters beginnt, eine geborne Weißenborn war, so wurde meine Neugier auf den weiteren Inhalt des Actenstücks angeregt und wirklich stellte sich heraus, daß dasselbe nicht nur über Jahr, Datum und Ort ihrer Geburt, welche bisher ganz verschieden angegeben wurden[1], sondern auch über die noch ganz in Dunkel gehüllte dornenreiche Jugendzeit der ausgezeichneten Künstlerin die interessantesten Aufschlüsse giebt.

Zuvörderst stellen die Acten ihren damals in Zwickau wohnhaften Vater, den Advocaten Daniel Weißenborn, auf welchen wir unten zurückkommen werden, nicht eben in ein schmeichelhaftes Licht, indem sie ihn als einen jähzornigen, atheistischen, von Jedermann gefürchteten Haustyrannen erscheinen lassen, welcher durch seine rohe Behandlung seiner Gattin ein frühes Grab – sie starb im Jahre 1705 – bereitet hatte, als die Tochter Karoline eben erst ihr achtes Altersjahr erreicht hatte. Wenn er nun auch dieser einen guten Schulunterricht ertheilen ließ, so bekümmerte er sich doch sonst nicht weiter um ihre Erziehung und behandelte sie auf eine Weise, welche oft in die rohesten Mißhandlungen und gemeinsten Schimpfreden ausartete. Daß aber eine solche Behandlung keine kindliche Liebe erwecken konnte, läßt sich denken. Als daher am Neujahrstage des Jahres 1712 sich ein solcher Act der Haustyrannei wiederholte, entsprang Karoline der väterlichen Zuchtruthe, um Hülfe und Aufnahme bei ihrer Tante (Vaters Schwester), welche an einen Floßholzverwalter Fritzsche verheirathet war, zu suchen, und als sie diese nicht fand, ihre Zuflucht zu einem Beutler Namens Trübiger zu nehmen, dessen Tochter bei ihrem Vater gedient hatte. Hier hielt sie sich einige Monate auf, bis sie endlich auf Zureden und durch Vermittelung ihres Beichtvaters, des Diaconus M. Thym, sich mit ihrem Vater wieder aussöhnte, um zu Ostern desselben Jahres in das Vaterhaus zurückzukehren.

Nun war Weißenborn durch langjährige Krankheit (Gicht) gepeinigt, welche wohl auch sein Benehmen gegen Frau und Kind in etwas milderem Lichte erscheinen läßt und ein Hauptgrund seines hitzigen Temperaments sein mochte, indem sie ihn nicht nur im Jahre 1702 zur Aufgebung seines Reichenbacher Gerichtsinspectorats und zur Uebersiedelung von Reichenbach nach Zwickau genöthigt hatte, sondern auch periodisch ganz an Haus und Zimmer fesselte. Weil er aber dadurch an seiner juristischen Praxis verhindert wurde, so hatte er einen ihm bekannten jungen Mann, Namens Gottfried Zorn, den vierundzwanzigjährigen Sohn eines armen Zwickauer Schuhmachers, welcher fünf Jahre lang in Jena die Rechte studirt hatte, als Amanuensis angenommen, welchem er auch zugleich Wohnung und Kost gewährte. Bald knüpfte dieser mit der schönen, frühreifen Karoline ein Liebesverhältniß an, jedoch – wie sich in den Acten zwischen den Zeilen lesen läßt – nicht ohne Vorwissen ihres Vaters, welcher Zornen sogar unter

  1. Nach Einigen war Reichenbach im Voigtlande ihr Geburtsort, nach Anderen sollte es Zwickau sein, und als das Geburtsjahr wurde bald 1692, bald 1700 angegeben.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_366.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)