Seite:Die Gartenlaube (1870) 379.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

ober- und unterhalb Wiens an zwei Stellen durch die Natur fixirt, oberhalb durch das Kahlen- und Bisamgebirge, unterhalb Wiens durch die ungarischen Grenzgebirge zwischen Haimburg und Theben. Vom Bisamberg bis Nußdorf ist der Strom am rechten Ufer durch das Kahlengebirg in seinem Lauf beschränkt. Sowie die Donau aber bei Wien in die Ebene tritt, findet sie kein von der Natur vorbereitetes Bett, sondern fließt in einem angeschwemmten gleichartigen Boden. So ist es erklärlich, daß sie sich frei überlassen, den zufällig entstandenen Hindernissen ausweichend, sich in mehrere Arme theilte, daß durch Bildung von Schotterbänken immer neue Ausartungen des Stromlaufes entstanden und bei Hochwässern ein meilengroßer Flächenraum überspült und verwüstet wurde. Unter solchen Umständen ist es natürlich, und die vorhandenen Urkunden weisen dies auch nach, daß der Hauptarm der Donau bei Wien zu verschiedenen Zeiten einen verschiedenen Lauf gehabt hat. Unstreitig ist einst der Hauptstrom von Nußdorf in der Richtung des jetzigen Donaucanals geflossen, sowie andererseits aus Urkunden hervorgeht, daß er später seinen Lauf immer mehr östlich durch die ausgedehnte Ebene des Marchfeldes genommen hat. Noch heute besitzt die innere Stadt Wien einen Stadtteil, welcher „am Gstaadt“ genannt ist und welcher seiner Zeit unzweifelhaft die Ufergrenze vom damaligen Donaustrome bildete. In der ausgedehnten Marchebene hat die Donau zwischen den beiden extremsten Stromläufen, in mehrere Arme getheilt, das Land verwüstet und der Hauptarm seine Richtung gewechselt, je nachdem ein künstlich oder vom Strome durch Ablagerung seines Geschiebes geschaffenes Hinderniß die Veranlassung zur Versandung eines Armes und zu einer neuen Stromtheilung gab. –

Diesen schweren Calamitäten gegenüber ist die Frage der Donauregulirung bei Wien im heutigen Sinne, d. h. die Zusammenfassung aller Donauarme in ein geregeltes Bett, erst seit dem Jahre 1810 in Verhandlung genommen worden. Bis dahin hatte man die Aufmerksamkeit bloß der Erhaltung der Schiffbarkeit des Donaucanals und der möglichen Verhütung einer Ueberschwemmung von Wien und dem Marchfelde durch weit auseinander liegende, verästete Dämme zugewendet. Von da ab kam die neue schwierige Frage der Erbauung einer stabilen Brücke bei Wien dazu. Bandwurmartig wand sich diese offene Doppelfrage nicht weniger als sechs Decennien hindurch. Immer schreckte das Geldopfer, welches sie auferlegte, vor der Ausführung zurück, und so blieb denn dem Jahre 1869 der definitive Anfang zur Lösung der Riesenaufgabe vorbehalten. Der Größe der Letzteren gemäß fand es die österreichische Regierung nothwendig, zu den einheimischen technischen Kräften auch die bedeutendsten Capacitäten des Wasserbaufaches im Auslande zur Ausarbeitung von Projecten und Gutachten einzuladen. Alle diese Projecte bezweckten zunächst, der Donau bei Wien in einer sanft gekrümmten Linie mittelst eines mehr oder weniger längeren Durchstichs einen regelmäßigen Lauf und eine ungefährliche Abführung der Hochwasser und des Eises zu sichern. Zu letzterem Behufe und um zugleich eine so viel als möglich gleiche Wassergeschwindigkeit herzustellen, soll das Strombett aus zwei Theilen bestehen, einem unteren für den gewöhnlichen Wasserstand und einem höheren für die Hochwasser. Das beigegebene Profil des Durchstichs zeigt dies auf’s Deutlichste. Diese Herstellung eines aus zwei Theilen bestehenden Strombettes bezieht sich auch auf die Hafenbauten bei Wien, um bei kleinerem Wasserstande die für die Schifffahrt nöthige Tiefe zu erhalten und selbst bei dem höchsten Wasserstande immer noch das Landen und Ausladen der Schiffe möglich zu machen.

Ohne Zweifel gehörte zu den wichtigen Fragen, namentlich neben der Bestimmung der künftige Trace der in ein Bett zusammengefaßten Donau, auch die: wie es zu ermöglichen sei, während der Durchstichs- und Canalisirungsarbeiten der Schifffahrt auf der Donau keine Hemmung zu bereiten. Unsere Illustration zeigt, daß auch diese Aufgabe gelöst ist, denn es kann in der unteren Donaustrecke, wo es sich nur um die Rectificirung und Eindämmung des alten Flußbettes handelt und die Schifffahrts-Stromrinne nirgends behindert zu werden braucht, selbstverständlich von einer Unterbrechung der Schifffahrt ebenso wenig die Rede sein, als in der oberen Strecke, weil der Durchstich, schon zur Gewinnung des nöthigen Anschüttungsmaterials, in der ganzen Breite des neuen Flußbettes, sowie in der Mitte desselben und an dem Landungsufer in einer solchen Tiefe ausgehoben werden muß, daß, sobald der Durchstich eröffnet werden wird, die Schifffahrt sogleich die nöthigen Wassertiefen finden kann. Bis zu seiner einstigen Eröffnung bleibt die Donau unbehelligt im alten Flußbett.

Es liegt auf der Hand, daß Hochwasser und Eis bei einem mehr geradlinigen Bett leichter abgeführt werden, als in einem gekrümmten, dabei kommt aber noch in Betracht, daß durch diesen Durchstich und die damit im Zusammenhang stehenden Correctionsarbeiten der Wasserspiegel gesenkt und damit die Geschwindigkeit des Stromes vergrößert wird. Durch diese Senkung des Wasserspiegels und die gleichzeitig eintretende vergrößerte Geschwindigkeit des Stromes wird aber offenbar die Gefahr der Ueberschwemmung wesentlich vermindert. Hauptsächlich aber wurde bei der Feststellung der Trace dieser Donau-Regulirung darauf Bedacht genommen, daß es sich weit weniger um die gewöhnliche Regulirung eines im freien Lande fließenden Stromes handle, als darum, daß dieser Strom dem Handel und der Industrie, welche ihren Sitz in einer so großen Stadt aufschlagen, dienstbar gemacht werde. Wien insbesondere hat die glücklichste Lage für einen bedeutenden Stapelplatz der Flußschifffahrt, denn während die Donau Oesterreich von Westen nach Osten durchzieht und eine vorzügliche Wasserstraße in dieser Richtung nach dem schwarzen Meere herstellt, laufen von Wien aus mehrere große Eisenbahnen nach Norden und Süden, welche ihren natürlichen Anknüpfungspunkt und den Umschlagsort für die gemeinsamen Frachten hier finden. Wenn daher die Hemmnisse von der Donau- Schifffahrt entfernt sein werden, wenn für Wien ein entsprechender Landungs- und Stapelplatz hergestellt sein wird, dann wird auch ein Schwerpunkt des Verkehrs naturgemäß sich hier an die Donau verlegen.

Theils zur Erzielung einer rascheren Ausbildung des künftigen neuen Strombettes, theils in Rücksicht auf die sofortige Benützung des Durchstichs nach seiner Vollendung durch die Schifffahrt ist als nothwendig festgestellt, das künstliche Bett sogleich auf seine ganze Breite von zweitausendzweihundert Fuß bis zum Nullwasserspiegel und weiter am rechtseitigen Ufer zwei Fuß unter dem Nullpunkte, in der Mitte aber in einer Breite von tausend Fuß und einer Tiefe von sechs Fuß unter dem Nullpunkte auszuheben. Dieser Theil der Arbeit erfordert allein eine Erdbewegung von 1,142,000 Kubikklaftern und außerdem 30,000 Quadratklaftern Steinpflasterungen.

Nach Herstellung des neuen Strombettes soll die untere Stromstrecke bis Fischamend in Angriff genommen werden. In derselben findet ein Durchstich nicht statt, da das neu festgestellte Bett größtentheils mit dem bestehenden zusammen- oder in dessen Nebenarme fällt und die Regulirung daher mehr als eine Rectification der Flußtrace und solide Befestigung der Ufer als in der Art eines completen Neubettes auszuführen sein wird.

Was die Kosten der Durchführung dieser Donauregulirung betrifft, so sind in der obengenannten Summe von 24,600,000 Gulden auch die auf beiläufig vier Millionen Gulden sich belaufenden Unkosten inbegriffen, welche zur Grundeinlösung einer am rechten Donauufer liegenden Fläche von 330,000 Quadratklaftern und zu deren Erhöhung und Planirung über den höchsten Wasserstand mittelst Zuführung von mehr als einer Million Kubikklafter Auffüllungsmaterial aus dem Durchstiche nothwendig sind.

Die Festsetzung des jetzigen Planes zur Donau-Regulirung ging keineswegs so glatt ab, wie es bisher schien, sondern das österreichische Schicksal hatte auch hier erst seine Lehre zu geben. Ursprünglich war der Plan des Ministerialraths Pasetti der begünstigte, trotzdem derselbe die Ueberschwemmungsgefahr nur verminderte, nicht beseitigte, und auf den Schifffahrtsverkehr, die Industrie und den Handel keine Rücksicht nahm, sondern den Hauptstrom der Donau von Wien entfernen, das sogenannte Kaiserwasser in einen Winterhafen umwandeln wollte und den Donaucanal mit einer Tiefe von sechs Fuß für die Schifffahrt als genügend erklärte. Dieses Project erfreute sich des besondern Beifalls der feudalen Kriegspartei, welche auf eine Befestigung Wiens im großen Styl hindrängte – und zwar 1867, also nach dem bekannten Jahre 1866 –; den Vertretern der Wiener Gemeinde und des Landes Niederösterreich wurde damals von Seiten der Regierungsorgane kurzweg bemerklich gemacht, daß dem militärischen Theil der ganzen Frage alle anderen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_379.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)