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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Rücksichten untergeordnet werden müßten, weil dieser das Staatswohl tief berühre.

Ohne Zweifel würden alle Anstrengungen der Volksvertreter und der tüchtigsten Fachmänner zur Abwendung dieser großen Gefahr von Wien und Niederösterreich vergeblich gewesen sein, wenn nicht zu Ende des Jahres 1867 das Bürger-Ministerium die Regierungsgeschäfte übernommen hätte und insbesondere Giskra für eine verständigere Donau-Regulirung aufgetreten wäre. Ihm allein verdankt man die Lösung der Frage im volkswirthschaftlichen, nicht im militärischen Interesse, und ihm verdankt es Wien, wenn diese Regulirung es wirklich zu einem Welthandelsplatz erhebt. – Es war daher, nach dem Sprüchwort, daß Undank der Welt Lohn sei, ganz in der Ordnung, daß beim großen Festmahle des Inaugurationstages alle nur möglichen Persönlichkeiten betoastet wurden, aber des seitdem von seinem hohen Posten zurückgetretenen Dr. Karl Giskra kein Anwesender mit einer Silbe gedachte. – Selbst vor dem größten Werke können viele Menschen nicht aufhören, klein zu bleiben.

Uebrigens ist die Arbeit, unter den durch Giskra ernannten Commissionsmitgliedern, Ministerial- und Bauräthen v. Wehli, Waniek, Wex u. A., bereits im besten Gange. Beim Inaugurationsfest im Prater, in der Nähe der Militär-Schwimmschule, konnte der Kaiser von einem Gloriett aus den ganzen durch Fahnen und Flaggen markirten Lauf des Durchstichs von Nußdorf bis Fischamend überschauen und die Thätigkeit der Doppelmaschine des „Excavateur“ beobachten, einer Baggermaschine, die sich gleichzeitig vorwärts bewegt, mit riesigen Schaufeln Erde aushebt und die Lowries eines danebenstehenden Eisenbahnzuges füllt, und zwar je eine Lowry von fünf Kubikmeter oder fünfsiebentel Kubikklafter in einer Minute. Vier Locomotiven sind fortwährend beschäftigt, das ausgehobene Material wegzuführen, und können kaum der Thätigkeit des Excavateur nachkommen. Mit solch einer Kraftmaschine, die schon beim Suez-Canal sich bewährt hat, ist dem Unternehmen zugleich ein bedeutendes Maß von Vertrauen mitgegeben, und Jedermann weiß, wie viel gerade dieses bei den Unternehmungen unserer Tage werth ist.




Das Bernsteingold des Samlands und seine neueste Gewinnung.
Von einem Ostpreußen.
(Schluß.)

Die Bemannung des nunmehr in Wirksamkeit tretenden Taucherboots besteht aus acht Köpfen: zwei Taucher, zwei abwechselnd luftpumpende Arbeiterpaare, ein Mann, der die unter der Achsel der Taucher befestigten Rettungsleinen lose vor sich in der Hand hält, auf den leisesten Ruck daran achtend, und der Aufseher, welcher den gefundenen Bernstein aus der Gürteltasche des Auftauchenden in Empfang nimmt. Die Luftpumpe, welche hier die Erfindung des gelehrten Magdeburger Bürgermeisters wesentlich verbessert zeigt, besteht in zwei sauber gearbeiteten Messingcylindern (Stiefel genannt, ungefähr auch in der Größe solcher), in denen, um es kurz zu bezeichnen, ein am Boden angebrachtes Drehventil verhindert, daß der auf- und niedergehende Kolben nicht zugleich als Luftsauger wirke. Unverwandten Auges blicken die Arbeiter, während sie die Luftpumpe gleich einer Feuerspritze handhaben, auf das kleine Zifferblatt, welches wir in der Mitte des Taucherbootes über seinem Bordrand angebracht sehen. Es ist dies der Manometer (Luftdruckmesser), der vom Atmosphärendruck der durch ihn hindurch in den Gummischlauch tretenden Luftsäule Rechenschaft giebt. Ein Zuviel kann hier bekanntlich ebenso verderblich werden, als ein Zuwenig. Bei solcher Vorsicht wird es erklärlich, daß bei einem Taucherpersonal von etwa sechszig Mann und bei circa fünf Stunden unterseeischer Arbeitszeit bis jetzt nur zwei Unglücksfälle beim Tauchen in Brüsterort vorgekommen sein sollen. Freilich ist dabei die wahrhaft eiserne Natur dieser Leute wohl zunächst in Rechnung zu ziehen. Sie recrutiren zum Theil aus dem jungen Nachwuchs der umwohnenden, meervertrauten Fischerrace, ihr Hauptcontingent aber bilden jene die Küsten des kurischen Haffs umwohnenden Szamaiten, welche wir schon in Schwarzort sahen: Diese Enakssöhne, welche alljährlich manch’ baumstarken Mann zum ostpreußischen Panzer-Reiterregiment stellen, haben sich nicht nur „waterproof“, sondern oft auch als feuerfest bewährt. Die verwegensten Pascher – namentlich zu Schlitten – auf der „trocknen Grenze“ des versperrten Nachbarreichs, haben die Meisten von ihnen die Kugeln der Grenzkosaken nächtlicher Weile um ihre Köpfe pfeifen gehört, und manchen Lanzenstich mit Zinsen heimgezahlt. Hier scheinen die Riesen bei gutem Taglohn und Gewinnantheil für größere Funde mit ihrem Loose zufrieden, obgleich das Hinabtauchen in das feuchte Element bei mehreren Graden Winterkälte gewiß nicht zu des Lebens Annehmlichkeiten zählt. Und trotzdem steigen sie oft schweißtriefend aus der eisigen Fluth empor. Denn oft genug muß der Taucher zur Bewältigung der eng zusammenlastenden Steine die Hülfe starker gekrümmter Gabeln, sowie die Unterstützung seines am zweiten Schlauch desselben Boots arbeitenden Cameraden in Anspruch nehmen. Doch finden sich selbst Steinkolosse, die auch der vereinten Pferdekraft jener Athleten spotten.

„Tröstlich muß Ihnen hier wenigstens die Gewißheit sein,“ äußerten wir uns an Herrn St. wendend, „daß Sie von den so scharf controlirten Tauchern doch nicht bestohlen werden können!“

„Wo denken Sie hin!“ entgegnete er achselzuckend; „erst dieser Tage habe ich fast die Hälfte derselben entlassen müssen, weil sie – auf dem Meeresgrunde für sich statt für uns sammelten. Den durch eine Schwimmmarke bezeichneten Raub gingen sie sich bei der Nacht abholen, und nur durch Verrath bin ich dahinter gekommen!“

Als wir später des Inspectors Wohnzimmer betraten, sahen wir uns wie in Aladdin’s Schatzkammer rings von geschichteten Säcken des edlen Sonnensteins umgeben, noch ungeordnet, wie er dem Meeresschooß entrissen. Da lagen sie in buntem Gemenge friedlich bei einander! Der faustgroße hellstrohgelbe, wolkige „Bastardstein“, der, kaum beschliffen, des Seraskiers köstlichen Pfeifenschatz mehren sollte, jene knochenhell geaderten Flachstücke (Fliesen) für den classischen Weiberhals und Busen Albano’s, Frascati’s und der Ewigen Stadt selbst bestimmt, sowie auch die zahllose Menge gelb und rothblanken Corallensteins, deren weingoldigem Gefunkel gleich altem Tokayer und Malaga der dunkle Sammetnacken einer Otaheiti-, Timbuctu- oder Capland-Schönen als Folie dienen sollte.

Die geringeren Sorten zur Räucherung, zur Fabrication der pharmaceutisch verwandten Bernsteinsäure und des brillanten Bernsteinlacks kommen in Brüsterort, dem Fundort der „feinsten Waare“, wenig vor.

Zum Abschied – denn wir hatten noch den zwei Meilen entfernten Gräbereien einen Besuch zugedacht – erstanden wir ein kleines Sortiment des heimathlichen Edelsteins als Andenken, wie auch als Material, um ein paar Sächelchen daraus selbst zu fertigen. Und das giebt mir Gelegenheit, meinen schönen Leserinnen, die heutzutage ihre Laubsägen so fleißig durch die Holzplatten schwirren lassen, einen Vorschlag zu machen. Wie wär’s, wenn Sie denselben Versuch einmal mit dem werthvollen Bernstein machten?! Die Arbeit mit Säge, Feilen und Stecheisen ist durchaus nicht schwer und sehr lohnend; die Politur aber ist mittels Bimstein, Kreide und Wasser und zuletzt den eigenen zarten Daumen bald hergestellt! … Die Sortirung der Funde für den kaufmännischen Vertrieb geschieht in Königsberg in der Weise, daß von den auf langen bleigedeckten Tafeln ausgebreiteten Stücken mittels eines scharfen Spatels, ein kleines Eckstück der schwärzlich undurchsichtigen Kruste abgestoßen wird, um Farbe und Güte des Steins erkennen zu können.

Die Gräberei endlich, die letzte der noch zu nennenden Gewinnungsarten des Bernsteins, wird an verschiedenen Punkten der samländischen Nord- und Westküste betrieben, theils von den Dorfgemeinden auf eignem Grund und Boden, häufiger jedoch, da die Sache viel Anlage-Capital erfordert, für Rechnung Königsberger Firmen, worunter jetzt auch in erster Reihe die vielgenannte unsrer „Bernsteinkönige“ sich findet. Einer dieser „Gruben“, beim Stranddorf Sassan gelegen, galt unser Besuch; wir fanden einen Bergbau primitivster, kunstlosester Art.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_380.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)