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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

seinen Förstern und Jägern. Wie oft verweilte er in Gegenwart seiner Freunde bei einem Apfelbaum, bei einer Lärche oder Tanne und erzählte, wie er als kleiner Knabe dabei gewesen, als die selige Mutter und die Schwester Marianne sie haben pflanzen lassen. Seine Abendspaziergänge gingen meistens in den von dem Abendroth beleuchteten Wald oder unter schattigen Bäumen auf Feldern und Wiesen hin, wo er seine einzelnen Lieblingsruheplätze hatte.

Stein’s Haus war ein gastliches für die Nachbarn, für die Männer in Geschäften, die mit ihm irgendwie zu thun hatten. Jeder, der zur Tischzeit in einem Geschäfte oder zu Besuch kam, fand seinen Platz am Familientisch wie bestellt. So lebte er nicht nur mit den unterstehenden Pfarrern seines Patronats, mit seinen Rentmeistern, Förstern, den Beamten, Stadtschultheißen und Schöffen von Nassau und anderen anliegenden Städtchen, sondern auch mit Brückenbauern, Schlossern, Zimmerleuten, die in ihrem Handwerk vorzüglich waren. Sie saßen gelegentlich mit Excellenzen und Grafen an demselben Tische. Stein hatte da nichts von jener falschen, nichtigen Art Freundlichkeit, von jener jämmerlichen Vornehmheit, welche unwillkürlich jeden Anwesenden zu heuchlerischen und lügenhaften Verneinungen nöthigt und erniedrige, knechtische Unterwürfigkeit haben will; hier war auch keine Spur von einem vornehmen Junker, sondern er war in That und Wahrheit der alte, freiherzige, biedere, freigeborene deutsche Ritter.

Jeden Sonntag besuchte er mit seinen Kindern und Hausgenossen den Hauptgottesdienst in Nassau. In Kappenberg fuhr er alle vierzehn Tage in die Kirche nach dem zwei Stunden entfernten Lungen. Den ihm von seiner Mutter und Schwester eingeflößten Glauben hielt er in allen Lagen fest und fand in ihm bei eigenem und des Vaterlandes traurigem Geschick Trost und Erhebung. Maulchristenthum fand bei ihm keine Gnade; breites Gespräch über Religion mochte er überhaupt nicht. Wenn Besucher in der Frühe in sein Studirzimmer kamen, wo unter weltlichen Büchern etwa Bibel und Gesangbuch aufgeschlagen waren, so machte er sie flugs zu und legte sie weg. Begegnete ihm auf dem Spaziergange ein Krüppel oder ein Bettler, der die Hand nach ihm ausstreckte, so gab er still eine Gabe und sprach kein Wort. Und wenn ein wichtiges Geschäft nur einigermaßen zu seiner Zufriedenheit abgemacht war, so sagte er fast jedesmal zu seinen Beamten: „Nun wollen wir auch für die Armen sorgen; die Armen müssen auch was haben.“

Mit seinen Nassauer Mitbürgern lebte er ein Gleicher unter Gleichen. Er konnte es nicht leiden, wenn Jugendgespielen ihn „Excellenz“ anredeten. „Ach was, dummes Zeug, nenn’ mich Karl und sag’ Du,“ war die gewöhnliche Abweisung. Gar oft neckte er, hatte es aber gern, wen man ihm nichts schuldig blieb. Von den Schuljungen, die er bei Begegnung anredete, liebte er kurze, rasche Antworten.

Die Nassauer hatten ihn wegen seiner Leutseligkeit und Wohlthätigkeit sehr gern und zollten dem „Minister“, wie sie ihn nannten, alle Ehrfurcht. Selten trat ihm der Einzelne wie der Stadtvorstand hemmend in den Weg. Als er am 10. Juni 1814 in Nassau eintraf, bereiteten ihm die Bürger einen festlichen Empfang. Zwei „Kosaken von der Lahn“ mit falschen Langbärten und langen Lanzen erwarteten ihn um Mitternacht auf der Landstraße. Auf ein gegebenes Zeichen brannte man auf dem kleinen Haus der Burg Stein ein Feuerwerk ab, läutete man die Glocken, waren die Häuser erleuchtet und jubelten die Einwohner. So zog er durch die Reihen des Landsturms in die Stadt ein. Es war ein Festtag und es wurde beschlossen, den 10. Juni jedes Jahres festlich durch ein Scheibenschießen und einen Aufzug der Schützengesellschaft zu feiern. Stein schenkte der Gesellschaft tausend Gulden, um Denkmünzen und Preise zu vertheilen.




Aus der Wandermappe der Gartenlaube.
Nr. 6. Rheinfahrten. Von Mainz nach Bingen.

„Du trautes Leben an dem Rhein,
Von tausend Reizen übergossen,
Wie hab’ bei deinem Feuerwein
Ich deiner Wonne Gluth genossen!
Wie hat mich frisch dein Hauch umrauscht,
Zu deinen Höh’n der Fuß getragen!
Wie hab’ ich trunk’nen Sinns gelauscht
Auf deine Lieder, deine Sagen!“
 G. Freudenberg.


Wollen uns die Freunde der Gartenlaube auf einer Fahrt den Rhein hinunter begleiten? Eine Fahrt auf Deutschlands schönstem Strom sollte wohl der Mühe lohnen, besonders wenn wir dem Leser am trauten Ofenplätzchen oder im bequemen Lehnsessel die Sorge für Weiterbeförderung ersparen. Die Gartenlaube ist ein geräumig Schifflein, hat bekanntlich gar viele Passagiere aus aller Herren Länder an Bord, und – wem die Fahrt nicht behagt, dem bleibt’s ja unbenommen, an der nächstbesten Station auszusteigen – indem er unsere Schilderung überschlägt. Wir wollen dem Leser nicht Reiseführer- und Localnotizen bieten, sondern „Erwandertes“ vom „Strome der deutschen Poeten“ erzählen.

Mainz, das goldene, die Aurea Moguntia, sei unser Abfahrtsziel. Wohl verdient die Stadt mit vollstem Rechte ihr „goldenes“ Prädicat! Golden perlt ihr Wein, goldener sind der umgebenden Landschaft bezaubernde Reize, golden strahlte ehedem der Stadt bürgerlicher Reichthum und fürstlicher Glanz, „golden“ ist die Mainzer „Luft“, da selbst eine Straße noch aus den Zeiten des Mittelalters diesen Namen führt; die freundliche Stadt ist in Wahrheit das „goldene Herz“ des Rheins und „goldig“ sind vor Allem sie – die Mainzer Frauen und Mädchen. Humor und eine stets rosige Weinlaune, gepaart mit Gastfreundschaft, sind die charakteristischen Eigenschaften des Mainzers, und die goldene Stadt, wie sie da liegt an der Pforte des herrlichen Rheingaus mit den blaudämmernden Bergen, man könnte sie selbst für wonnig, berauscht vom Dufte der heimischen Reben, halten.

Ob die goldenen Initialen der ersten Mainzer Druckwerke, ob die goldene Kugel am römischen Altare eines Denkmals am Drusenloch, ob der Bischof Aureus (der Goldene) der Stadt zu ihrem Beinamen verholfen, wir halten es zunächst mit den „goldigen“ Frauen und Mädchen Moguntia’s. Sie haben ihren Poeten gefunden wie keine andere deutsche Stadt, denn ihnen sang Heinrich Frauenlob begeistert seine Strophen, und dafür trugen ihn, nach Albert’s von Straßburg lateinischer Chronik, die Frauen und Mädchen von Mainz zu Grabe und träuften, wie K. Simrock singt,

„auf die Dichtergruft des Weines solche Fülle,
Ein gold’ner See mit würz’gem Duft umwogte seine Hülle,
Der ganze Kreuzgang schwamm in Wein, es war so mancher Eimer;
Noch duftet um sein’ morsch’ Gebein der edle Laubenheimer.“

Heute wäre Mainz mit größtem Rechte das „eherne“ zu nennen. Mainz ist hessische Stadt und preußische Festung – die Wacht am Rhein – die Grenze am Rhein. – Von dem traurigen Zustande südstaatlicher Heeres-Institutionen hatten die guten Mainzer im Jahre des Heils 1866 die sprechendsten Belege vor Augen. Achtzehntausend Mann deutscher Truppen aus Kurhessen, Nassau, Sachsen, Weimar, Oesterreich und Württemberg hielten die Stadt und Festung besetzt, und um die Thore streiften die Patrouillen zweier incompleter preußischer Landwehr-Bataillone, zum Theil ohne Seitengewehre, und hielten die Festung im Schach.

Vom Fort Alexander, auf der sogenannten Petersau, donnerten Kanonen jeder Größe auf die harmlose Landwehr zweiten Aufgebots, und von den Erbenheimer Höhen erwiderten zwei, sage zwei alte preußische Infanterie-Bedeckungsgeschütze die furchtbare Kanonade, und das – war die Belagerung von Mainz im Jahre 1866. An dem Thore des Festungsbrückenkopfes zu Castel, gegenüber der Stadt Mainz, stand (und steht noch) unter martialischen Emblemen des Krieges in mächtigen Buchstaben sehr bezeichnend: „Cura confoederationis conditum (1832)“, erbaut durch die Sorgfalt des Bundes – und für den Bund mußte die Festung geschont, dem Lande mußte sie erhalten werden.

Nächtlich flogen Leuchtkugeln und Hohlgeschosse herüber – hinüber, ein prächtiges Feuerwerk, dem die preußischen Landwehrmänner auf dem rechten Rheinufer vergnüglich zusahen. Um die Festung Mainz am linken Rheinufer aber zeigte sich nicht ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_393.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)