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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Und eben deshalb ist unsere Illustration eine durchaus wahre, charakteristische Darstellung des Klosterlebens, denn sie zeigt uns nicht nur die fleißigsten Mitglieder desselben in voller Arbeit, sondern zugleich die geistlichen Herren in der ihrem geistigen Bedürfniß entsprechendsten Thätigkeit.

Nachdem wir dem Künstler dieses Lob beschieden, wenden wir uns wieder unserm kühlen Bräuhausraume zu. Wir hatten nur auf den Abgang der beiden finstern, gestrengen Herren gewartet, um uns dem freundlichen, allein zurückbleibenden Pater vorzustellen und ihm unsere Namen zu nennen, worauf er uns an seinen Tisch einlud. Hier überraschte er den Maler unserer Gesellschaft mit der nicht unverfänglichen Frage: „Sind Sie der Künstler, der uns geistlichen Herren so schlimm mitspielt und den Vertretern unseres Standes gar so gern den Wein- oder Bierkrug als Wahrzeichen mitgiebt?“

Der Maler suchte sich zu rechtfertigen, aber der Franciscaner unterbrach ihn lachend: „Sie dürfen von Glück sagen, daß der Herr Pfarrer, der eben hier war, Sie nicht kannte! Was hätte sein Zorn über Sie ergossen! – Ich bin versöhnlicherer Natur und habe stets recht von Herzen darüber lachen können. Ihr Weltkinder gebt uns durch manche seltsame Capriolen, durch Mode-, Liebes- und Ehrgeiznarrheiten auch viel zu lachen, warum sollen wir es krumm nehmen, wenn ein Humorist bei uns sich Stoff sucht? Uebrigens theilen wir gern, was wir haben, auch wieder mit und sind stolz auf diese Sitte, die von den orientalischen Klöstern herübergekommen. Wenn die Klöster einmal aufhören, Gastfreundschaft zu üben – und leider haben bereits viele Lust dazu – so verdienen sie auch, daß ihr letztes Stündlein schlage!“ –

Beim Pater schlug jetzt der Schalk völlig durch. Anekdote folgte auf Anekdote und dabei bekam wiederholt der Klosterganymed geleerte Krüge zu füllen. Unser langes Frühstück wurde erst beendigt, da die Mittagsglocke den Pater in das Oratorium rief.

Als wir den halbdunklen Raum, wo die Bräugeräthschaften umherstanden, durchschritten, veranlaßte uns ein leises Geräusch, in eine der großen, leeren Bräupfannen zu blicken. Da saß mit untergeschlagenen Beinen der gute Frater Jakob mit der heitersten Miene glückseliger Zufriedenheit und – rauchte. Als er sich bei dem verbotenen Vergnügen ertappt sah, sprang er blitzschnell aus der Pfanne und floh mit Zurücklassung eines Pantoffels, und der lustige Pater rief ihm lachend nach, er werde ihn zur Strafe morgen einmauern lassen.

Wir nahmen Abschied wie gute Freunde, dann begab sich der Pater in das Oratorium, wo schon einförmiges Gebetmurmeln hörbar wurde, während wir, von den Strapazen des Tages erhitzt, in’s Freie eilten,

„Denn zwei sind die Thüren der Grotte der Nymphen,
Eine vom Boreas her, hinabzusteigen den Menschen,
Eine nach Süden gewandt, die steilere, aber die Mannen
Gehen zu dieser nicht ein, sie ist nur der Göttlichen Eingang!“




Blätter und Blüthen.


Der Herr! Wir erhalten von einer würdigen Matrone, die lange in Petersburg gelebt hat, mit Bezug auf unsere Skizze in Nr. 21 der Gartenlaube und auf das darin geschilderte Verhältniß des Kaisers Alexander von Rußland zu Madame Narischkin folgende wohlverbürgte Mittheilung: Um die Mittagsstunde eines trüben, naßkalten Octobertages kam in Petersburg ein schlichter Wagen in schnellem Trab die Newsky-Perspective herab. Ein stattlicher Mann, den grauen Militärmantel nachlässig um sich geschlagen, lehnte in einer Ecke des Wagens und hatte den Kopf fest in die weichen Polsterkissen gedrückt. Ermüdung sprach sich in seinen Zügen aus, und das sonst so feurige große Auge war wie zum Schlummer geschlossen. Auf anstrengender Reise hatte er soeben viele hundert Meilen zurückgelegt und war vor wenigen Stunden erst in der Hauptstadt wieder eingetroffen. Neben ihm lag in einem Körbchen auf dunkler Moosunterlage ein wunderbar schöner Blumenstrauß, wie ihn – um diese Zeit des Jahres – wohl nur ein Treibhaus der Czarenstadt hervorbringen konnte.

Da schlug der Herr das Auge auf und gleich Sonnnenschein flog es über die ernsten fast schwermüthigen Züge, als sein Blick auf die Farbenpracht der herrlichen Blumen fiel. Zauberkraft der Liebe, wer vermöchte deine Macht, deine Wunder je genügend zu schildern! Alle Müdigkeit schien aus den Zügen des Mannes geschwunden, das schöne Auge strahlte hell und klar, denn vor ihm schwebte das Bild der reizenden Frau, welche diese Gabe der Liebe bald aus seinen Händen empfangen sollte. Der Wagen hielt jetzt vor einem palastartigen Gebäude. Mit jener Schnellkraft, die nur der Geist ermatteten Gliedern zu geben vermag, stieg der Herr eine breite mit Teppichen belegte Treppe hinan und gelangte durch die Doppelthüren, mit welchen man in Petersburg die rauhe Witterung selbst von den Corridoren abzuhalten strebt, in eine geräumige, reich ausgestattete Vorflur. Hier, wie unten an der Treppe, hatte ihn der Diener ehrfurchtvollstes „Gossudar, Gossudar!“ (der Herr, der Herr!) empfangen.

Der Herr mußte wohl hier zu Hause sein, denn er öffnete mit einem Schlüssel, den er hervorzog, eine Thür und trat in ein kleines Vorgemach, wohin ihm sein Diener folgte, der sorgsam das Körbchen mit den Blumen trug. Aus der Seitenthür trat ihnen eine Zofe entgegen. „Ich will – –“ rief diese schnell, nachdem auch sie den Tribut der Ehrfurcht dargebracht.

Eine leichte Handbewegung des stattlichen Mannes – und die Zofe blieb wie gebannt auf derselben Stelle stehen. Der Diener nahm nun den Mantel seines Herrn und wollte dann das Körbchen mit den Blumen ihm reichen. Ein Wink – und der Diener stellte es auf einen Marmortisch, eine weitere bedeutsame Geberde – und Zofe und Diener zogen sich durch die Eingangsthür in die Vorflur zurück.

Jetzt war der Herr allein und konnte ohne Zeugen den Bewegungen seiner Seele sich überlassen. Wie zart hob er das farbensprühende Bouquet aus seiner Umhüllung und nahm es in die linke Hand, während die rechte auf den Griff des Thürschlosses sich legte. Warum zögerte er da einzutreten, wohin sein Herz, die volle Sehnsucht der Liebe ihn drängte? Wie der wahrhaft Fromme einige Augenblicke sich zu sammeln sucht, ehe er über die Schwelle der geweihten Räume tritt, so hat kein Liebender den reinsten, edelsten Theil des Glücks – die beseligende Erwartung – ganz durchkostet, dessen Brust nicht von einem süßen Schauer bewegt ward, bevor er dem geliebten Gegenstande nach längerer Trennung sich näherte.

Leise bewegte sich die Thür in ihren Angeln – ein Aufschrei, nicht der erwartete Laut des Entzückens ertönte, und ein schönes Weib, das seine Arme um den Hals eines jungen Mannes geschlungen hatte, sank ohnmächtig in die Kissen des Divans zurück, auf dem Beide nebeneinander gesessen. In seine Kniee sank auch der junge Mann und flehte um die Verzeihung des Herrn, ja, des Herrn! Wer auch nie zuvor die edle Gestalt Alexander des Ersten in der Mitte des glänzenden Hofstaates oder umjubelt von Tausenden seines Volkes gesehen, er würde in diesem Augenblicke erkannt haben, daß er sich einem Herrscher gegenüber befand. In ruhiger Majestät stand der Kaiser vor den beiden Schuldigen. Der tiefe Schmerz, die sittliche Entrüstung, welche er über diesen Verrath empfinden mußte, sie hatten sich nur in einer einzigen Bewegung ausgesprochen. – Der schöne Blumenstrauß lag auf dem Teppich zu seinen Füßen. War es ein unwillkürliches jähes Zusammenschrecken gewesen, das ihn aus der Hand des Kaisers gleiten und niederfallen ließ, oder hatte stiller Ingrimm die Liebesgabe fortgeschleudert?

„Graf Branitzky, mein Wagen hält vor der Thür, begleiten Sie mich! Zuvor benachrichtigen Sie jedoch die Dienerschaft, daß Madame erkrankt ist, damit ihr die nöthigen Hülfsleistungen nicht fehlen,“ sprach Alexander in ruhigem Tone und die sonore Stimme ließ kein Zeichen der Aufregung erkennen.

Der Befehl wurde ausgeführt, Dienerinnen eilten herbei, der Kaiser gab dem jungen Manne ein Zeichen, ihm zu folgen, und Beide bestiegen den vor dem Portale wartenden Wagen. Noch einmal flehte der Graf um Vergebung; zerknirscht gelobte er, für immer sich aus dem Angesicht seines allergnädigsten Gebieters verbannen zu wollen.

„Fürchten Sie nichts – ich verzeihe Ihnen! Madame Narischkin hat mich verrathen, sie ist meiner Liebe und Achtung unwerth. Aber die Mutter meines einzigen Kindes soll nicht bloßgestellt werden, mein Wille ist es daher, daß Sie in Petersburg bleiben und Niemand erfahre, was sich jetzt zugetragen hat.“

Beschämt und erschüttert durch solche Milde und Großmuth, wollte der Graf seine unbegrenzte Dankbarkeit und Hingebung für den Monarchen aussprechen, allein der Kaiser fiel ihm in das Wort und sagte: „Die Angelegenheit ist erledigt.“ Dann berührte er, als sei nichts vorgefallen, gleichgültige Dinge und entließ den jungen Mann, bevor er den Winterpalast wieder betrat, durch eine gnädige Handbewegung.

So große Anstrengungen auch die schöne Geliebte machte, um das Herz des Kaisers wiederzugewinnen, sie blieben erfolglos. Das letzte Band, das sie mit Alexander verknüpfte, lösete sich ebenfalls: ihr holdes Kind, dem der Kaiser seine ganze Liebe zugewendet, starb, noch ehe es zur Jungfrau erblühte. Sophie, Gräfin Romanoff – der Kaiser hatte ihr seinen Familiennamen gegeben – erlag, als sie zu seltener, fast überirdischer Schönheit sich entfaltete, einem unheilbaren Lungenübel. Alexander litt unbeschreiblich durch das Hinscheiden des theuern Kindes, und er stand mit seinem Schmerz allein! Da nahte sich ein Engel! Die Kaiserin Elisabeth konnte den geliebten Mann nicht leiden sehen, ohne ihm mit tröstendem Wort nahe zu sein. Sie gedachte nicht der ihr zugefügten Kränkung und vereinte ihre Thränen um die so früh Verblichene mit denen des Gemahls.

Auf Alexander’s weiches Gemüth machte diese Seelenhoheit den tiefsten Eindruck; sein Herz wandte sich in bewundernder Liebe der edlen Gattin wieder zu, und kein Mißlaut störte mehr die volle Uebereinstimmung ihrer Seelen.

Elisabeth kränkelte viel, und als die Aerzte ihr später einen Winteraufenthalt in einem milderen Klima empfahlen, begleitete Alexander sie nach Taganrog, um ihr nahe zu sein, ihr Zerstreuung und Erheiterung bereiten zu können. Wie wenig ahnte der kräftige Mann, daß der Todesengel ihn noch vor der leidenden Gemahlin abrufen würde!

Am 17. November 1825 erkrankte er an einem heftigen Fieber, und schon am 1. December hauchte er seine edle Seele aus. Elisabeth wich nicht von dem Krankenlager des heißgeliebten Mannes; ihre Hand küssend und sie an sein Herz drückend, nahm er Abschied von dieser Welt. Der Kaiserin Wunsch – dem theuern Entschlafenen bald folgen zu dürfen, ward erfüllt, schon nach fünf Monaten ruhte auch sie in der Kaisergruft.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_415.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)