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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


seine Ruinen, seine Reben Klänge wachrufen, die unsere Dichter in unseren goldenen Jugendtagen uns in’s Herz gesungen. An die rührendste Ballade Schiller’s gemahnt uns dort der Rolandsbogen, obgleich Ritter Toggenburg dem Boden der Schweiz angehört. Wir gedenken des Nibelungenliedes, obgleich der Drachentödter Siegfried nur dem Namen nach an den Drachenfelsen erinnert –“

„Aber Sie erwähnten auch eines Liedes von Freiligrath. Warum kenne ich dasselbe nicht?“

„Weil es in der leider sehr wenig verbreiteten Sammlung ‚Zwischen den Garben‘ erschien. Es lautet:

Hoch stand ich auf dem Drachenfels,
Ich hob die Hand, ich biß die Lippen:
Mein Jagdhund, freudigen Gebells,
Schlug an im Wiederhall der Klippen.
Er flog hinab, er flog hinan
Er flog, als ob ein Wild ihm liefe!
Ich aber stand, ein froher Mann,
Und bog hinab mich in die Tiefe.

In seiner Trauben lust’ger Zier,
Der dunkelrothen, wie der gelben,
Sah ich das Rheinthal unter mir
Wie einen Römer grün sich wölben.
Das ist ein Kelch! Die Sage träumt
An seinem Rand auf moos’ger Zinne;
Der Wein, der in dem Becher schäumt,
Ist die Romantik, ist die Minne!

Ha, wie er sprüht! Kampf und Turnier!
Die Wangen glühn, die Herzen klopfen!
Es blitzt der Helm und das Visir,
Und schöne, frische Wunden tropfen.
Und hoch im Erker sinnend steht,
Vor der sich senken alle Fahnen.
Was bin ich so bewegt, was weht
Durch meine Brust ein selig Ahnen!“

Während ich recitirte, hatten wir unsere Wanderung fortgesetzt, um auch die anderen schönen Punkte des Victoriaberges zu erreichen. Die „Eremitage“ heißt das zweite Plateau. Hier erscheint das vor uns liegende Landschaftsbild in engerem Rahmen, wir haben nur die Hälfte des großen Panoramas zu übersehen, von Erpel bis Andernach. Vor Allem imponirt uns hier das Siebengebirge, dessen Kuppen hier ganz im richtigen Verhältnisse ihrer Höhe erscheinen.

Durch einen auf der Hochebene sich weit ausbreitenden Tannenwald, den angenehmen Duft des Harzes einathmend, überall von Inschriften am Wege geleitet, kamen wir nach der „Hofreiden-Terrasse“ (Freiden, die First des Fußes; Hofreiden soviel wie hohe First), die dritte Station, die „goldene Meile“ der Römer, wo wir die Städte Sinzig und Linz im Vordergrunde haben, auf der Höhe Schloß Rheineck erblicken, die Thürme von Andernach sehen und weit in’s Eifelgebirge hineinschauen.

Meine Begleiterin wurde nicht müde. „Wissen Sie, gnädige Frau, daß dies rastlose Genießen eigentlich eine fatale Folge unserer Eisenbahnreise ist? Wir gönnen uns keine Ruhe mehr. Zu Schiller’s Zeit schlug die Uhr keinem Glücklichen, jetzt schlägt die Bahnhofsglocke Allen, die sich glücklich schätzen sollten, der Locomotive entronnen zu sein.“

„Ich aber will erst ruhen, wenn wir auf der letzten Station sind.“

„Sie heißt der Reis-Pavillon, richtiger wäre Reiser-Pavillon. Der Bergrücken, dessen äußerste Spitze das Moosdach krönt, scheidet das Rheinthal vom Ahrthale. Es ist ein Hauptvorzug des Victoriaberges, daß wir den schönsten Nebenfluß des Rheins, die Ahr, zugleich mitgenießen. Während wir zur Linken Alles, was wir vom Rhein gesehen, nochmals überblicken, sehen wir rechts mitten in’s Ahrthal hinein, über die ‚Landskrone‘ und Neuenahr über Bodendorf nach Walporzheim, und den Horizont begrenzen die Kuppen der Eifel, deren Eine mit der Ruine der Burg Olbrück meilenweit in’s Land hinaussieht. Als ich zum ersten Male diese Gegend betrat, achtzehnjährig, von Bonn aus, war sie ungleich mehr als jetzt von Dichtern und ihren Gesellen bevölkert. Um Freiligrath in Unkel gruppirten sich Anno 1841 Simrock von Bonn, Pfarrius von Köln, Levin Schücking von Münster, Matzerath, Müller von Königswinter – der joviale Maler mit dem Pfropfenzieher-Monogramm –, Adolph Schroedter von Düsseldorf etc. Es war eine poetische Zeit, ganz anders wie jetzt …“

„Weil Sie mittlerweile dreißig Jahre älter geworden, erscheint Ihnen die Gegenwart nicht mehr so, wie die Vergangenheit …“

„Nicht deshalb, gnädige Frau! Das politische Leben hatte durch die Thronbesteigung Friedrich Wilhelm des Vierten einen Aufschwung bekommen, es ging ein frischer Hauch durch die Geister, Herwegh sang seine ‚Lieder eines Lebendigen‘, Prutz, Dingelstedt, Hoffmann von Fallersleben wurden von Jung und Alt gelesen, wir feierten des alten Arndt Wiedereinsetzung, Greise trugen ihm zu Ehren die Fackel. Jetzt erscheint mir Alles wie todt, selbst die Jugend hat kein Feuer mehr.“ –

Der Lärm des Städtchens Remagen, in das wir eben zurückgekehrt waren, und von welchem der Victoriaberg nur zehn Minuten Weges entfernt liegt, unterbrach unser Gespräch. Im Hôtel Fürstenberg verehrte der Besitzer, Herr O. Caracciola, meiner Begleiterin zum Andenken ein Autograph Freiligrath’s; in der Zeit seines Aufenthalts in Unkel und St. Goar hatte er oft mit ihm correspondirt. Wir tranken auf des Dichters baldige Heimkehr in sein geliebtes Rheinland.




Der Bergwirth.
Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)

„Mein Vater – was ist’s mit ihm?“ rief Juli hastig und faßte den Arm des Pfarrers. „Ich hab’ mir gleich gedacht, es geht ihn an, weil Sie zu mir kommen. … Er ist verhandelt worden? Nicht wahr – sie haben ihm das Urtheil gesprochen? … O mein Gott, mein Gott …“ setzte sie in rückhaltlosem Schmerzensausbruch hinzu und bedeckte mit beiden Händen die überströmenden Augen.

„Du hast es errathen, meine Tochter,“ erwiderte der Seelsorger, „ich habe es übernommen, das traurige Geschäft, Dir diese Mittheilung zu machen und Dich auf die Nachricht vorzubereiten, die Dir doch bitter schmecken wird wie Galle, wenn Du auch lange gewußt, daß der Trank nicht an Dir vorübergehen könne. Ich habe aber erst vorhin wieder bei meinem Eintreten die Kraft und Entschlossenheit Deines Gemüths erkannt und verhoffe zu Gott, Du werdest in christlicher Ergebung das Kreuz auf Dich nehmen, das der Herr einmal zu tragen Dir auferlegt … Gestern hat wider Deinen Vater, das verirrte Schaf aus meiner Heerde, die Verhandlung stattgefunden, zu welcher auch ich geladen war, um als Seelsorger der Gemeinde anzugeben, was mir bekannt geworden über das Leben und Treiben des Angeklagten, seine Gemüthsart und …“

„Und das Urtheil, Herr Pfarrer … das Urtheil …“

„Wirst Du erfahren, meine Tochter, wenn ich Dir Alles der Reihe nach erzählt,“ fuhr der redselige Mann unbeirrt fort. „Ich habe noch nie Gelegenheit gehabt, eine solche Verhandlung zu sehen, und kann es nicht leugnen, daß es mir einen feierlichen Eindruck machte, als ich in den großen Gerichtssaal trat und die Richter sitzen sah und den öffentlichen Ankläger, die Geschworenen – Bürger und Bauern durcheinander und gegenüber das Volk, Kopf an Kopf gedrängt – mir war beinahe wie damals, als ich zum ersten Male auf die Kanzel treten mußte … das ist ein erhebender Anblick, und es wird wohl auch Anderen so zu Muth werden, als stände er dem Engel der Gerechtigkeit unverhüllt gegenüber, dem das Schwert gegeben ist auf Erden …“

„O Vater – armer unglücklicher Vater …“ rief Juli unter leisem Weinen.

„Es war todtenstill, als er eintrat – oder vielmehr hereingeführt wurde von den Gensd’armen zu der hölzernen Bank, auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_430.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)