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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Dabei hielt sie freilich die Sache ihres Sohnes hoch und fühlte sich gerne als Königinmutter, wie sie denn auch in Brunnsee eine sehr große Dienerschaft hatte. Zudem fehlte es nicht an zahlreichen erbetenen und unerbetenen Gästen, welche die Sache des Grafen von Chambord als die ihre erklärten und aus der Ferne herbeikamen. Der Heinrichstag, das Namensfest des Prinzen, wurde stets mit einem Bankete glänzend gefeiert, und es fanden sich dabei neben vielen Anhängern der Bourbonen auch Geladene aus der nächsten Umgebung ein. Uebrigens charakteristisch für die Zurückhaltung, welche selbst in diesem intimeren Kreise herrschte, ist die Art, mit welcher der Herzog della Grazia bei solchem Anlasse den Toast auf seinen Stiefsohn ausbrachte: er erhob sich und verneigte sich nur, das Glas in der Hand, mit einer bedeutungsvollen Bewegung gegen den Grafen von Chambord, was alle Anderen schweigend nachahmten; das hieß dann selbstverständlich so viel als: Vive le roi!

Die getreuen Anhänger mochten allgemach doch etwas empfindlich auf Brunnsee gelastet haben; wenigstes irrt man wohl kaum, wenn man die Ursache des Derangements in den finanziellen Verhältnissen der Herzogin zum größten Theile auf diese häufigen Besuche zurückführt. Auch fand die Herzogin, welche ihren Gatten innig liebte und zuerst mit drei Töchtern, dann mit einem Sohne beschenkte, immer mehr ihre volle, einzige Beglückung im Familienleben. Eine Reihe von Jahren brachte sie den Winter in Venedig zu, im Sommer machte sie gewöhnlich kurze Ausflüge zu ihrem Sohne Heinrich nach Frohsdorf und in der letzten Zeit auch nach dem steierischen Bade Neuhaus. Mit dem gelungenen Staatsstreiche des dritten Napoleon gab sie wohl alle Hoffnungen für ihren Sohn auf. Als sich ihre herangewachsenen Töchter vermählten und in die Ferne zogen, kam ihr durch ihre Enkel, die Kinder ihres Sohnes Adanolf, viel Freude in’s Haus. Der junge Herzog, welcher sich sehr frühe mit einer italienischen Fürstin vermählte, blieb mit seiner Familie fortwährend bei seiner Mutter in Brunnsee. Auch die Töchter mit ihren Kindern fanden sich oft zum Besuche ein. Die alternde Frau vergnügte sich oft Stunden lang im Kinderzimmer, ja, sie führte nicht selten Besuche, welche aus der Umgebung kamen, voll Seelenfreude zu ihren Enkeln. Brunnsee war den in der Nähe ansässigen Familien stets offen, und man konnte des freundlichsten Empfanges gewiß sein. Die strenge Etiquette, welche sonst beobachtet worden war, hörte in der späteren Zeit immer mehr auf, hauptsächlich wohl durch den jungen Herzog, der, in Steiermark geboren und ganz Deutscher, ohne allen Stolz auf das Freundschaftlichste mit seinen Nachbarn verkehrte. Uebrigens war auch die Herzogin, bei allem Bewußtsein ihres Standes, im Benehmen immer von der ungezwungensten Natürlichkeit gewesen, und eine junge Comtesse, welche in Graz die Ehre hatte, zur herzoglichen Tafel gezogen zu werden, erschrak nicht wenig, als die königliche Hoheit, wie die Lazzaroni ihrer Heimath, die aufgetragenen Macaroni mit den Fingern zum Munde führte und ohne Umstände in eine ungeschälte Pfirsich biß. –

Kam man in Brunnsee zu Besuch, so verfügte man sich gewöhnlich zuerst zur liebenswürdigen „jungen Menage“, zum Herzog Adanolf. Vor dem Diner stieg man zur alten Herzogin empor, und sie hielt, wenn die Gesellschaft größer war, mit aller Liebenswürdigkeit und vollendeter Gewandtheit Cercle. Beim Diner herrschte die größte Ungezwungenheit, man unterhielt sich, lachte und rief über den Tisch hinüber und herüber. Nach dem Essen machte die Herzogin gerne eine Whistpartie, welche übrigens die Gäste, bei aller warmen Zuneigung für die hohe Frau, möglichst abzukürzen trachteten; den sie wußten, daß ihrer erst nachher bei der jungen Menage unten die fröhlichste und angeregteste Unterhaltung wartete. Auch machte in späteren Jahren die Schwerhörigkeit der Herzogin den Verkehr mit ihr sehr mühsam. Die Herzogin sprach nicht deutsch, sondern mit den Ihren meist italienisch und mit Fremden französisch. Unter den Besuchen fanden sich oft auch solche, welche weder italienisch noch französisch sprachen, zum Beispiel junge Husarenofficiere und Cadeten aus der nächsten Militärstation, und diesen kam dann die Taubheit der Herzogin zu Gute; wurden sie angesprochen (und die Herzogin unterließ es nie, an jeden der Anwesenden einige freundliche Worte zu richten), so verneigten sie sich nur mit einem Gemurmel, womit sich die alte Frau, die auch allmählich ihr Gesicht verlor, zufrieden gab. Gegen ältere Personen ließ sie nicht selten die Worte fallen: „Nicht wahr, unsere Zeiten waren ganz andere? Wir verstehen einander; aber die Jugend versteht uns nicht.“ –

Die zerrütteten Geldverhältnisse der Herzogin, welche sie selbst gar nicht im ganzen Umfange gekannt haben soll, führten endlich zu einer Krise. Einer der Gründe des Derangements wurde schon oben erwähnt. Die Herzogin war eben von fürstlicher Freigebigkeit, sie brauchte nicht nur viel für sich, sie schenkte auch Anderen. Dabei liebte sie viel zu verändern und zu bauen.

Ein Bauer, welcher zu mir mit großer Verehrung von der Hingeschiedenen sprach, schloß mit den Worten: „Und fast kein Kirchlein giebt’s im Kreis, das sie nicht erbaut hat“; ohne Zweifel in der Meinung, damit das Höchste zum Lobe der Herzogin zu sagen. Auch der Herzog della Grazia, welcher dem Hauswesen vorstand und neben seiner Gemahlin immer als eine Art Obersthofmeister erschien, war von großer Herzensgüte, und wie ofte schenkte er zum Beispiel gegen die Einsprache des Försters den bittenden Bauern Holz für den Bau ihrer Häuser. Diese Güte wurde häufig auf das Unverantwortlichste mißbraucht. Der bedeutende Grundcomplex der Herrschaft war lange Zeit viel zu niedrig verpachtet und spätere Pächter blieben den Pachtschilling oft ganz schuldig. So konnten die Ausgaben von den Einnahmen nicht gedeckt werden und die Schuldenlast wuchs immer drohender an, bis sich der Graf von Chambord in’s Mittel legen mußte. Er ordnete die Finanzen seiner Mutter und ward nach Deckung aller Passiva Eigenthümer von Brunnsee.

Die Opfer des Prinzen sollen dabei groß gewesen sein, man erzählt sogar, er habe sich nachher auf seinem eigenen Schlosse zu Frohsdorf sehr eingeschränkt, was bei seinem bekanntlich immensen Vermögen nicht wenig besagen würde, wenn es eine nothwendige Folge jener Opfer war. Ueber seinen Stiefvater, für welchen er dem Geschicke nie gedankt haben mochte, soll er in Folge des Geschehenen sehr erzürnt gewesen sein. – Als die Herzogin einen vollen Einblick in die Lage der Dinge erhielt, fiel sie in Ohnmacht. Noch mehr aber ergriff dieses finanzielle Mißgeschick ihren Gemahl; es ging ihm so zu Herzen, daß man es für die Ursache seines Todes hält, welcher bald darauf am 1. April 1864 erfolgte.

Seit dem Tode ihres Gemahls war auch die Herzogin innerlich gebrochen. Sie verließ Brunnsee immer seltener und, während sie sonst voll Leben im Freien umherstreifte und dem Gärtner im Parke jeden dürren Ast zur Amputation wies, kam sie jetzt lange kaum vor das Schloß. Den vergangenen Winter war sie besonders gedrückt, ohne daß sie an einer ausgesprochenen Krankheit litt, und am Charsamstag trat plötzlich ihr Tod ein, so daß die Bewohner der Umgebung auf das Schmerzlichste von der Trauerbotschaft überrascht wurden. – Das Begräbniß der Herzogin war einfach, doch hatten sich dabei alle ansässigen Familien aus der Umgebung und ein großer Theil der Landbevölkerung eingefunden. Der Graf von Chambord war sehr ernst und in sich gekehrt und hatte für keinen der Herbeigekommenen, an welchen er vorüberschritt, ein Dankeswort. Nach der Einsegnung der Leiche in der Schloßcapelle bewegte sich der Zug von Brunnsee nach dem zunächst gelegenen freundlichen Mureck. Auf dem verwilderten Gottesacker des kleinen Marktfleckens zwischen wucherndem Unkraut und zerbrochenen Grabkreuzen erhebt sich die kleine Capelle, wo die Herzogin neben ihrem zweiten Gatten in die Erde gesenkt wurde. Das Innere der Gruft ist mit Marmor ausgekleidet und auch der kleine Bau, welcher sich darüber wölbt, ist nicht ohne Geschmack; aber diese schlichte Grabstätte, wo in einem verborgenen Erdenwinkel, fern der Heimath, die Mutter des Kronprätendenten von Frankreich ruht, ist doch nicht fürstlich und mahnt den Beschauer gar schmerzlich an den Wandel alles Menschenglückes.

Wie man auch über die Fehler der Herzogin denken mag: ihr Leben in Brunnsee war reich an den edelsten weiblichen Tugenden; sie war voll Liebe und Hingebung für ihre Familie, voll Güte und Sorge für ihre Diener, voll Freundlichkeit gegen Alle, die ihr nahten. Sie begünstigte es, wenn ihre Dienstleute Familien gründeten, und nicht wenige von ihnen waren über zwanzig Jahre in ihrem Dienste. Für die Nachkommenschaft arrangirte sie gern Kinderbälle. In der letzten Zeit beschäftigte sie sich viel mit Stricken und vertheilte die vollendete Arbeit an Arme der Umgebung. Besonders gern aß sie Obst und sie ließ sich aus der Ferne die seltensten Früchte verschreiben, die jedoch meistens ungenießbar eintrafen. – Die Herzogin (das Bild, das wir bringen, stammt aus den letzte Zeiten ihres Lebens) war klein und voll, ihr Gesicht erschien durch die stark aufgeworfenen Lippen und das schielende eine Auge keineswegs schön, doch hatte es einen geistreichen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_442.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)