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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

namentlich jungen Schauspielern infolge heftigen Coulissenfiebers passirt, wird schonungslos notirt und am Gagetag gestraft durch Abzug gewisser Procente. Daher zittern selbst die Verwegensten vor dem Griffel des Inspicienten, wie vor seinen Pathenbriefen, indem er als umsichtiger Mann möglichstes Capital aus seiner starken Familie zu schlagen sucht.

Theatermutter. Komische Alte. Kritiker.

Wir gehen nun zu den darstellenden Mitgliedern über. Die sentimentale Liebhaberin, der designirte Abgott aller Lieutenants, unbesoldeten Assessoren und Procuristen, muß auf der Bühne wie im Leben und auf der Photographie wehmüthig lächeln, sich in schwarze Spitzen hüllen und im Haar eine Camelie tragen, denn so verlangt es das Rollenfach, oder richtiger das Metier. Sie wird nie heiter scheinen oder laut lachen, selbst wenn sie es innerlich vor Vergnügen kaum aushalten kann, denn es würde unbedingt den Gesammteindruck des sentimentalen Gebäudes ruiniren. Ihr Schritt wird stets langsam und gemessen sein, selbst wenn es zwei Ellen hinter ihr brennte, ihr Blick stets seelenvoll, und wenn sie auf eine Kupfernatter träte. Um Shakespeare, schon um Goethe kümmert sie sich in der Regel nicht viel, hingegen hat sie die „Louisen-Charaktere“ dermaßen mit der Muttermilch eingesogen, daß sie in gewissen Rollen wirkliche Thränen vergießen kann. Ihr Studium ist mäßig, und nicht mit Unrecht betrachtet sie ein richtiges Gefühl und ein treues Gedächtniß als das Fundament der Schauspielkunst. Alles Uebrige bewerkstelligen dann Schminke, Hängelocken, Lampenlicht und das Costüm, welches selten richtig ist, weil es trotz der Anordnungen des Costümzeichners durch eine höchst abgeschmackte Zuthat von Schleifen, Puffen, Bändern und falschen Schmuckgegenständen gründlich verunstaltet wird. Das Privatleben der sentimentalen Liebhaberin ist immer sehr zurückgezogen und tadellos; auch erreicht sie nie das dreißigste Lebensjahr, indem sie laut Contract immer nur neunundzwanzig bleiben muß. Sie cultivirt im Publicum oder an einem sehr entfernten Hoftheater ein ganz geheimes Verhältniß mit einem Herrn in gesetzten Jahren, das endlich durch eine ebenfalls sehr geheime Vermählung in einer Dorfkirche seinen Abschluß findet und hauptsächlich dazu dient, die Zukunft der Dame sicher zu stellen.

Heldenmutter. Souffleur. Heldenvater.

Im entgegengesetzten Zustande befindet sich die Soubrette, oder auch muntere Liebhaberin geheißen, Hier ist Alles Feuer und Leben, ewiges Lächeln, Honig auf den Lippen und Perlen von Zähnen, die officiell gezeigt werden müssen, Das Gehen ist ein stetes Springen und Hüpfen, die Lustigkeit in Permanenz erklärt, Quecksilber in Händen und Füßen, ein wahres „Teufelsbölzchen“ auf der Bühne, wie im Leben. Ihre Toilette ist meist gewählt, oft verschwenderisch, daher Schulden wie ein Major, ihre Verehrer sind in der höheren Militär- und Beamtenwelt zu suchen, und nebenher schwärmt sie für eingemachte Früchte und süße Ungarweine. Tritt die Soubrette vom Schauplatze zurück, so finden wir sie als Vorsteherin eines eleganten Putz- und Modegeschäfts, als Gasthofsbesitzerin oder als Photographin wieder, und erfreuen uns immer noch des nie versiechenden Humors der kleinen runden Frau.

Die „zärtliche Mutter“, in früheren Jahren nicht selten eine Schönheit, hat sich dennoch ziemlich ergeben in das unvermeidliche Alter gefügt und symbolisirt es durch eine Spitzenhaube, die nur in den äußersten Fällen ihr Haupt verläßt. Sie vertritt Mutterstelle bei der jungen Theaterwelt, hat nie einen Zwist mit der Direction, nimmt vom Souffleur eine Prise, was sie ihrer Popularität schuldig zu sein glaubt, und kümmert sich wenig um eiteln Künstlerruhm, denn sie hat einen lebenslänglichen Contract in der Tasche. Bei ihrem so wohl conservirten Wesen und der stets rosigen Laune sollte man nicht glauben, daß sie einen kranken oder unnützen Mann zu Hause hat, der als ehemaliger Mime sich nicht entblödet, die Stellung der eigenen Frau zu beneiden, die ihn obendrein erhält und füttert.

Der „zärtliche Vater“ ist hier sogleich anzureihen. Die nothwendigen Requisiten eines solchen bestehen in einer Schnupftabaksdose, einem großblumigen Schlafrock, mehreren Taschentüchern und sehr bequemen Hausschuhen. Er lernt nie seine Rolle und schlägt sich mit Kunstpausen durch, die er mit Zitterstimme, Rührblicken, Taschentuchziehen, Umarmungen, Segenspenden, stummem Spiel und Kopfschütteln so trefflich auszustatten weiß, daß diese Kunstfreveleien bei dem Gründling im Parterre stets als baare Münze acceptirt werden. Die Schauspieler haben einen technischen Ausdruck für solches Manöver und nennen es „schwimmen“. Mit dem Souffleur steht er folgerecht auf dem besten Fuße, ja, hat selbst, trotz der Achtung, die er sich als ausübender dramatischer Künstler schuldet, unter vier Augen Brüderschaft mit ihm getrunken. Als Mensch und Bürger erfreut er sich eines ausgezeichneten Rufes, arbeitet in Pappe oder angelt, auch sieht man ihn an heißen Sommernachmittagen mit einer grünlackirten Botanisirtrommel durch die Haide streichen, ein Beweis, daß er Gemüth hat.

Schnallen wir nun den Kothurn an, werfen die Toga über und gürten die Lenden mit dem Schwerte, denn es gilt, die „tragische Liebhaberin und Heldin“ zu empfangen. Dieselbe hat nie ein leichtes Verhältniß, sondern ein sehr ernstes mit einem schwerreichen Banquier, welches vollkommen der Gediegenheit ihres Charakters, ihrer Spielweise, namentlich ihres Schmuckes entspricht. Sie stammt meist aus einer sehr achtbaren Handwerkerfamilie, welchem Ursprung sie wohl auch die Stärke ihrer Gliedmaßen verdanken mag, was Kunstenthusiasten und Kritik mit „classische Formen“ bezeichnen. Da uns Deutschen eine große Leidenschaftlichkeit nicht eigen, gehört auch die Wiedergabe großer, erhebender, furchtbarer Leidenschaften auf unserer Bühne zu den Seltenheiten, und wir nennen schon die eine große Tragödin, welche uns durchs ungewöhnliche Körperlänge imponirt, kühn einherschreitet, sich in den möglichsten Attituden präsentirt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_445.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)