Seite:Die Gartenlaube (1870) 446.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

und ihr Sprachorgan in allen Tonleitern spielen läßt. – Sophie Schröder war wohl die letzte große tragische Schauspielerin. Sie war es aber auch, die (nach den Memoiren von Caroline Bauer) noch als zweiundsechszigjährige Frau allen Ernstes und zornfunkelnden Auges erklärte: daß sie erst vor zwei Jahren der Liebe, „dieser niederträchtigsten aller Leidenschaften“, entsagt habe!

Von dem jugendlichen Liebhaber und Naturburschen ist wenig mehr zu sagen, als daß er sich jeden Abend die Haare wickelt und am Tage eine feuerfarbene Cravatte trägt. Lächelnde Selbstgefälligkeit ist über den ganzen Jüngling gegossen, der seinen Stammbaum aus einem Friseurladen oder einem Schnittwaarengeschäft leitet.

Der „erste Liebhaber und Held“ ist unbedingt der schönste Mann am Theater, selbst wenn er es nicht ist. Er ist nie verliebt, sondern läßt sich nur anbeten, und das meist auf Distance, woraus man schließt, daß er Fischblut in den Adern haben und in Folge dessen ein sehr hohes Alter erreichen soll. Er wohnt nur Bel-Etage, zeigt sich, selbst wenn er Gatte und Vater ist, nie mit Weib und Kind auf der Straße, um seinen Bühnencredit als „ewiger Jüngling“ nicht leichtsinnig auf’s Spiel zu setzen, und nimmt beim Grüßen den Hut sehr vorsichtig ab, aus Gründen, die später einleuchten werden. Sein Salon ist mit seinen Triumph- und Siegeszeichen geschmückt, wie der Wigwam des Indianers mit Schädeln und Skalps. Alte und neue Lorbeerkränze mit ellenlangen Atlasbändern, mehr als dreißig Exemplare von des Künstlers „eignem Bildniß“, Souvenirs in Wolle, Atlas, Perlen und Seide, Orden und Ehrendiploms unter Glaskästen füllen, bis an die Decke gespeichert, diese Ruhmeshalle. Er raucht niemals, außer bei einem Theateragenten oder Kritiker, wo er es aus höheren Rücksichten über sich gewinnen kann, mehrere Stunden im dichtesten Tabaksqualm auszuhalten. Er geht Punkt zehn Uhr zu Bett, nachdem er zuvor zwei Teller Hafergrützschleim zu sich genommen hat, ein Opfer, das er der Conservirung seines herrlichen Organs schuldig ist. Er bewegt sich stets im träumerischen Hamletschritt und trägt eine sehr feine Perrücke, die junge Damen der Pension und sonst starkgläubige Gemüther für echtes Haar halten.

Der „Intriguant und Charakterspieler“ ist gewöhnlich ein sehr guter Mensch, der sich aber a conto seines Rollenfaches ein heimtückisches Ansehen geben zu müssen glaubt. Hat er Talent, so ist er das interessanteste und amüsanteste Mitglied der Bühne; hat er keins, so schlägt er gern zum „denkenden Schauspieler“ um, eine bedenkliche Sorte, die hinter sogenanntem Maßhalten ihre ganze Armseligkeit versteckt, die immer will, aber niemals kann, und ihre Mittelmäßigkeit in Schriftstellervereine und gelehrte Gesellschaften einschmuggelt, um dort zu katzbuckeln oder, was zwar auf dasselbe hinausläuft, die Werke neuerer, vor Allem anwesender Dichter vorzutragen.

Sonderbar, daß der „Komiker“, der schon bei mäßigem Witz Aller Herzen erfreut und der gute Kerl der ganzen Menschheit ist, in seinem Hauswesen selten die Quelle findet, aus der er seine gute Laune schöpft. Sollte dies vielleicht folgende Stelle erklären helfen, die sich auch übertriebene Spaßmacher außer der Bühne hinter die Ohren schreiben können: „Da guckte Michal, die Tochter Saul’s, durch’s Fenster, und sahe den König David springen und tanzen vor dem Herrn, und verachtete ihn in ihrem Herzen.“

Mit wenig Worten: es sind hier nur in seltenen Ausnahmen glückliche Ehen zu finden, ein Merkmal, zu charakteristisch, als daß wir es hätten, trotz der Subtilität des Gegenstandes, übergehen können. Die komische Alte, die Heldenmutter und der Heldenvater bewegen sich fast immer in der Sphäre des Alltäglichen, nur ist dem Heldenvater nächst einer ausgezeichneten Bierkenntniß gern jene Gravität eigen, die sich der Mensch zuweilen anschnallt, um die Blößen des Geistes damit zu verdecken. Auch gilt er bei Denen, die wenig Menschenkenntniß besitzen, als Biedermann.

Der „amtliche“ Theaterkritiker und der Souffleur sind die geplagtesten Creaturen. Ersterer macht es weder den Schauspielern noch dem Publicum recht; letzterer muß alle Sünden eines schlechten Gedächtnisses oder einer mangelnden Memorie mit seinen Lungenflügeln ausbaden. Aber das Schrecklichste der Schrecken ist zweifelsohne eine Theatermutter, die geborene Beschützerin der Jugend und Unschuld, der Quälgeist der Directionen, dieses prädestinirte Freibillet und Einschiebsel in alle Privatcirkel, wo nur die Tochter gewünscht, aber für – Obst gedankt wird. Doch Du bist Mutter – und diese Narben vierzigjähriger Theaterschlachten stehen Dir schön!




Der Bergwirth.
Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)

„Aber Sie könnten den Herrn Pfarrer doch fragen,“ sagte Juli, „es ist gewiß, wie ich sage …“

„Fällt mir nicht ein!“ rief die Häuserin. „Könnt’ auch gar nicht sein … der Hochwürden Herr Bruder ist gar nicht zu Haus und kommt vor Nacht nicht heim!“

„Nicht zu Haus?“ rief Juli entgegen und ihre Wangen erglühten vor Scham über die kecke Lüge des Weibes, aber sie vermochte nicht, sie deren zu zeihen und zu überführen; auch wäre sie kaum dazu gekommen, denn die Häuserin hatte die Thür weit geöffnet und wußte sie so geschickt zu drängen, daß sie derselben sich nähern mußte, wenn sie das Weib nicht auf die Füße treten, noch von ihr getreten sein wollte. Dabei fuhr sie ununterbrochen im Reden fort, um die Andere nicht mehr zum Worte kommen zu lassen. „Wir brauchen den Hochwürden Herrn Bruder auch gar nicht dazu,“ sagte sie; „wenn ich es sage, ist es so gut, als wenn er es gesagt hätte. … Du lieber Gott, wozu sollt’ ich Jemand brauchen! Und gar Eine aus einem solchen Haus, wo man die Arbeit nicht gewöhnt ist, sondern den Ueberfluß und den Uebermuth! Mit Ihrer Arbeit, Jungfer, wird’s nicht weit her sein; Sie ist ja im Kloster erzogen worden, hab’ ich mir sagen lassen, wie eine Edelmännische. … Ja, so gut hab’ ich’s nicht gehabt! Mein Vater ist ein armer Bürgersmann gewesen, der hat keine solchen Sprünge gelitten; aber arbeiten haben wir gelernt, Jungfer, arbeiten – und ich dank’ es ihm heut’ noch nach in die Grube hinein, daß er mich nicht auch so verzärtelt hat! Geh’ die Jungfer nur in Gottesnamen wo andershin, mit der Arbeit kann sie mir nicht helfen, und das Fräulein im Hause spielen, das thu’ ich selbst, wenn sich’s einmal leidet …“

Juli hörte die letzten Worte nicht mehr, sie war hinweggestürzt, als würde sie von einer unsichtbaren Gewalt geschleudert, und hatte das Scheiden vom Vaterhause sie in’s Herz getroffen, so war die ungerechte Schmach, die sie nun erduldet, die schnöde Bosheit, mit der sie, die Schuldlose, sich behandeln lassen mußte, mit solcher Wucht auf sie hereingebrochen, daß sie nicht einmal Thränen fand und in stummer Bestürzung dahinrannte, als wäre das Weib hinter ihr, sie auf den Fersen zu verfolgen. Erst als sie an den Bergabhang kam, wo sich die Wege theilten, hielt sie inne, aufathmend und sich besinnend, wohin sie sich nun wenden solle. Nach kurzem Bedenken schritt sie dem nahen Marktflecken zu, denn der Abend war nicht mehr fern; zudem hatte der schöne Frühlingstag sich rasch und bedenklich umwölkt, die ungewöhnlich frühe Schwüle ließ den Ausbruch eines Gewitters erwarten, und sie mußte vor Allem darauf denken, ein Unterkommen für die Nacht zu finden. In einem der Brauhäuser des Fleckens war das zu erwarten, und bis zum andern Morgen hatte sie Zeit, zu einem neuen Entschlusse zu kommen.

Behutsam schritt sie durch die feuchte, zum Theil noch sumpfige Niederung hin; ein schmaler Pfad führte durch dieselbe, manchmal durch kleine Holzstücke und starke Aeste überlegt, um ihm mehr Festigkeit zu geben, denn nicht selten schwankte der Boden unter’m Fuß und Juli fuhr in ihrer Betrübniß der Gedanke durch den Kopf, der unsichere Grund sei ein Bild ihres eigenen Lebens, ihrer eigenen Zukunft, in der sie untergehen und versinken müsse, ungekannt und ungetröstet und unbeweint. Auch Todtenbretter waren hie und da auf den Weg gelegt, einfache, mit einem schwarzen Kreuz und ein paar Buchstaben bezeichnete Bretter von

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_446.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2019)