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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

in tausend glitzernden, schwarzgesäumten Pfützen. – Keine angenehme Abkühlung für durcheinander strömende Menschen, die mit erregten Sinnen aus dem Theater kommen, wo die Unschuld, wie immer, nach langen und harten Kämpfen triumphirte. Der fallende Vorhang verschloß das süße Mysterium der Bühne, das Stück war da drinnen aus – um hier in Sturm und Regen von Neuem zu beginnen. – Da steht die arme Unschuld rathlos, während der Intriguant und das geschminkte Laster, das sie abgethan glaubte, in die sammetsitzige Kutsche steigen. Sie will eben daran vorüber, als die Pferde anziehen und die sich schnell in Bewegung setzenden Räder mit den Guttaperchabändern sie höhnisch mit Koth bespritzen. – Ein paar Thränen treten wohl der Armen in die Augen, die noch vor fünf Minuten so glücklich lächelten – aber sie schüttelt sie trotzig hinweg, denn in dem Herzen wogt es noch so wonnig zitternd auf und nieder. Noch steht sie einen Augenblick furchtsam überlegend da, dann rafft sie sich erröthend auf, und läßt sich von Sturm und Regen nach Hause peitschen, wo sie in ihrem kleinen Dachstübchen die wonnigen Träume von Neuem hervorzaubert, mit so festem Willen, daß diese gehorsam in ihren Schlummer hinübergleiten.

Dieses Bild flog an meinem Geiste vorüber, als auch ich an solch’ einem Tage aus dem Friedrich-Wilhelmsstädter Theater kam, und ich sah nachdenkend darauf hin, als ein junger Mann mit langem blonden Haar an mich herantrat und mit bescheidenem Gruß sagte: „Gehen Sie in das Brauhaus, Herr Doctor? würden Sie mir gestatten Sie zu begleiten? … ich möchte Ihren Rath in einer wichtigen Sache erbitten!“ – Es war ein junger Musiker, den ich fast nur vom Ansehen kannte, und so war ich ein wenig verwundert. Aber sein seltsam nervöses und aufgeregtes Wesen hatte meine Blicke zuweilen auf ihn gelenkt, und die wenigen Worte, die wir ein paar Mal ausgetauscht (er kannte mich, ohne daß ich wußte wovon), hatten mir gezeigt, daß er zu den Tausenden junger Leute gehörte, welche in der großen Stadt ihr Dasein kümmerlich fristen und dabei träumen von kommendem Ruhm, Reichthum und Größe. – Die Armen! – So ließ ich ihn gewähren, und wir saßen bald in dem großen Saal des Brauhauses an einem kleinen Tisch in der Ecke, und der wüste Lärm der klappernden Seidel und das Gewirr von tausend durcheinander schallenden Stimmen hinderte nicht, daß er sein Anliegen hastig und mit zuckender Lippe hervorbrachte. – Es war, wie ich mir gedacht hatte. Es duldete ihn nicht länger – er wollte hinaus in die Oeffentlichkeit. Das Theater – er war Componist – lockte ihn mit seinem verführerischen falschen Schein; er träumte von einer Oper, die hundert Mal gegeben würde.

„Einen Text,“ sagte er, mit den langen dünnen Fingern auf der Tischplatte concertirend, „einen guten praktischen Text von einem namhaften Autor, und ich bin ein gemachter Mann!“

Ich wußte aus Erfahrung, daß es unnütz sei, meine abmahnende Stimme ertönen zu lassen, und ich versprach deshalb an ihn zu denken, wenn ich etwas hören würde. Dann ließ ich ihn seine Luftschlösser aufbauen, und sah mit müden Augen in das wirre Durcheinander des großen Locals, während er ununterbrochen sprach, von sich – und sich – und seinen hochtrabenden Plänen, wie es Alle thun, die jung und ehrgeizig sind. – Sturm und Regen schienen ihr Spiel draußen noch unverdrossen zu treiben, denn die neu Eintretenden schüttelten sich, wischten mit blöden Augen umherstierend ihre Brillengläser ab, oder spritzten ihre Hüte an dem Fußboden aus. – Unter ihnen war eine alte Frau, die sich ein Weilchen in dem Winkel am Eingang aufhielt, wo sie ihr nasses Tuch ablegte, und sich dann bückte, um einen großen Korb von seiner schützenden Hülle zu befreien. Es war eine von den unzähligen umherwandernden Kuchenfrauen, denen das Volk den Gattungsnamen „Mutter Kranzlern“ gegeben hat, auf den sie Alle gleich willig hören. Ich kannte sie seit Jahren, und hatte sie oft, vielleicht bei schlechterem Wetter in irgend ein Local treten sehen – warum kam mir gerade heute der Gedanke, daß es grausam sei, eine offenbar leidende alte Frau in solchem Wetter hinauszujagen? – Sie machte, ihren großen Korb mühsam vor sich hertragend, ihre Runde und fand reichlichen Absatz. Ich war einer ihrer treuesten Kunden für ein den englischen Biscuits ähnliches Gebäck, das zum Bier gut mundete. Warum steuerte sie nicht heute wie immer mit ihrem traurigen Lächeln auf mich zu? – Hatte sie mich nicht gesehen? – Ich mußte sie rufen und sie drängte sich endlich nach unserer Richtung hindurch, da auch an einem Nebentisch nach ihr verlangt wurde.

„Wollen Sie mir nichts mehr verkaufen, Mutter Kranzlern?“ sagte ich lächelnd.

„Ach! Herr Doctor, ich habe Sie man blos nicht gesehen!“ antwortete sie verlegen.

„Wissen Sie übrigens, daß es sehr unklug von Ihnen ist, bei solchem Wetter nicht lieber zu Hause zu bleiben – in Ihrem Alter!“

Sie zuckte nur mit den Achseln und sagte einfach: „Ach, Herr Doctor – Sie wissen wohl!“

Was lag Alles in diesen wenigen Worten! Ich sah nach dem jungen Musiker hin, als müßte ich sehen, welchen Eindruck sie auf ihn machten. Er las in der Neuen Preußischen, deren großes Format ihn ganz meinen Blicken entzog.

„Ist Ihr Sohn noch immer nicht so weit etwas für Sie thun zu können?“ fragte ich weiter, während sie mir kleines Geld herausgab.

Sie schüttelte mit dem Kopf und antwortete: „Noch nicht!“

„Nun,“ fuhr ich fort, „er kann doch aber kein Kind mehr sein?“

Sie nahm den Korb auf und sagte im Begriff weiterzugehen: „Ja, Herr Doctor, er ist noch immer … mein Kind!“ und während sie sich umwandte, hatte ich einen Blick aufgefangen, der mit einer eigenthümlichen Milde auf dem mächtigen Blatt der edlen Junkerpartei ruhte.

Ich sah ihr einen Augenblick sinnend nach und sagte dann halblaut: „Die alte Frau, bei solchem Wetter … es ist ein Elend!“

Der junge Componist mußte meine Worte verstanden haben, denn er legte die Zeitung zusammen, fuhr sich hastig ein paar Mal durch die langen Haare und sagte dann ohne mich anzusehen: „Ja – es ist ein Elend! – Einen guten praktischen Text von einem namhaften Autor, und – ich bin ein gemachter Mann!“


Es war mir an jenem Abend nicht eingefallen, daß ich des jungen Mannes Sache in der Hand hatte, und noch einen zweiten Ehrgeizigen damit verbinden konnte. – Ein ebenfalls noch unbekannter Autor suchte einen namhaften Componisten für einen Text. Ich brachte sie zusammen, und es war komisch mit anzusehen, wie jeder von Beiden nur schlecht die Ueberzeugung verhehlte, daß er dem Anderen ein großes Opfer bringe. Aber sie konnten Beide nicht mehr warten, deshalb einigten sie sich, und kamen von da an zu bestimmten Stunden zusammen, um sich – zu zanken. – Ich hatte die Sache fast vergessen, als ich durch das Wiedererscheinen der alten Kuchenfrau, die ich lange nicht gesehen, daran erinnert wurde.

„Wo haben Sie gesteckt, Mutter Kranzlern?“ fragte ich; „Sie waren doch nicht krank?“

„Nicht ich, Herr Doctor,“ antwortete sie mit ihrem traurigen Lächeln; „aber mein Sohn wäre mir beinah’ gestorben!“

„O!“ antwortete ich theilnehmend, „was hat er gemacht?“

„Er hat zu viel gearbeitet, und verfiel in ein heftiges Nervenfieber; vier Wochen habe ich an seinem Bett gesessen, und es war schrecklich ihn anzuhören, wie er phantasirte!“

„Was arbeitet er eigentlich, Mutter Kranzlern?“

„Sie wissen ja – er macht was für’s Theater!“ antwortete die Alte nach einem kleinen Zögern.

„Ist’s möglich?“ sagte ich erstaunt, und ich sah plötzlich die Kreuzzeitung vor meinen Augen, ohne daß sie da war – „jener junge Mann war Ihr Sohn?“

Die alte Frau nickte und ihre Augen leuchteten stolz auf, während die meinen im Begriff waren sich zu trüben. – „Er spricht fortwährend von Ihnen, Herr Doctor,“ fuhr die Alte fort, nachdem sie mir Zeit gelassen, mich von meinem Erstaunen zu erholen; „und Sie waren immer so … freundlich zu mir! Vielleicht erfüllten Sie den Wunsch einer armen Mutter … und besuchten ihn einmal!?“

Ich gab meine stumme Zustimmung und fragte dann noch: „Ist es Ihr Wunsch, Mutter – oder der seine?“

Sie schien mich zu verstehen, denn sie antwortete ruhig lächelnd: „Der seine, und Sie würden mir einen so großen Gefallen thun!“

Am anderen Tage nach Tische war ich da. Die kleine Wohnung war einfach, aber nicht ärmlich ausgestattet, und in einem sehr weißen Bett lag der junge Componist, den seine übertriebene Sehnsucht nach Ruhm bald in das Reich der Schatten hinübergeführt hätte.

Er glich fast einem solchen, so durchsichtig war sein schon sonst blasser Teint. Seine Hände concertirten wie damals unruhig auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_458.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)