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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

meine Muskeln stähle, oder mir Embonpoint verschaffe – soweit sind auch wir Sarkophagen Freunde und Kenner natürlicher Lebensweise. Allein erstens ist es entschieden falsch, zu den nutzlosen Reizmitteln sogar die unzweifelhaft nützlichen, wenn auch vielleicht nicht absolut unentbehrlichen, gewöhnlichen Gewürze, wie das Kochsalz, selbst im bescheidensten Zusatz zu unseren Speisen zu rechnen. Die verleumdete diätetische Ehre dieses Universalgewürzes, zu dessen Erwerb der Instinct alle Bewohner der Erde treibt, welches die Eingeborenen Central-Afrikas so hoch schätzen, daß sie seine Stücken als Münzen benutzen, ließe sich leicht durch wissenschaftliche Thatsachen wiederherstellen; thäte es aber auch mit Seinesgleichen nichts weiter, als die Absonderung unserer Verdauungssäfte zu befördern und so das Verdauungsgeschäft zu erleichtern, so wäre ihm schon ein hoher Werth als Schmiere in unserem Maschinenhaus gesichert.

Zweitens ist es thöricht und unberechtigt, auch den bescheidensten Genuß der übrigen vorhin genannten Reizmittel: Kaffee, Wein, Bier, Tabak, blindlings zu verwerfen. Ich will sie nicht damit in Schutz nehmen, daß der Trieb, sie in irgend welcher Form sich zu verschaffen, wiederum der Ausfluß eines unvertilgbaren Menscheninstincts ist, der sich zu allen Zeiten seit Noah’s ersten inspirirten Gährungs-Experimenten bei allen Völkern geltend gemacht hat. Ich frage nur: Muß denn unsere Maschine, wie der Pendel der Uhr, immer in demselben monotonen langweiligen Tempo arbeiten? Was schadet es ihr denn, wenn sie von Zeit zu Zeit mit etwas stärker gespanntem Dampf etwas rascher pumpt, sobald sie nur in den folgenden Intervallen bei langsamer Arbeit die kleine Luxusausgabe an Kraft aus dem genügendem Vorrath wieder einbringen und etwaige kleine Defecte ihres Mechanismus wieder ausbessern kann! Wahrlich, manche leuchtende, fruchtbringende Idee ist schon aus einem Römer duftenden Rheinweins geboren, welche vielleicht nie den nüchternen Wasserkrügen der Vegetarianer entstiegen wäre; manch’ bitteres Herzweh, das bei Himbeerlimonade tiefer und tiefer gefressen hätte, hat ein Schälchen Kaffee unter mitfühlenden Schwestern gemildert; manche Sorge, manche Grille hat sich mit dem Rauch einer Cigarre verflüchtigt, und das ist auch etwas werth in so mancher armseligen Menschenexistenz. Lassen wir also Gnade für Recht ergehen und diese verlästerten Genußmittel bei verständigem Gebrauch als Seelenschmiere gelten!

Zum Schluß nur noch wenige Bemerkungen gegen einen weiteren Canon im vegetarianischen Verfluchungsedict gegen das Fleisch, der da lautet: das Fleisch ist die Quelle zahlreicher Siechthümer, deren Keime es direct in den Menschenleib einschleppt, oder für deren Invasion es unseren Körper disponirt. Zergliedern wir das Zerrbild, welches die erhitzte Phantasie der Vegetarianer auch hier mit dicken Farbenklecksen uns vormalt, so bleibt abermals eine äußerst unscheinbare reelle Grundlage. Es ist kaum etwas Weiteres daran wahr, als daß mit dem Fleisch gewisse unheimliche thierische Gäste, vor allen die berüchtigten Trichinen, in uns einwandern können. Das ist allerdings schlimm, aber einerseits können wir uns durch sorgfältige Prüfung und genügendes Kochen des Fleisches vor dieser Gefahr schützen, andererseits möchte ich jetzt weniger als je dafür garantiren, daß nicht auch die Vegetabilien die Wirthe niedrigster mikroskopischer Organismen sind, welche, in den Boden des Menschenleibes versetzt, unter verderblichen Krankheitserscheinungen weiterwuchern können. Doch das liegt noch im Schooße künftiger Forschungen. Was die übrigen Krankheiten betrifft, welche die Vegetarianer der Fleischkost zur Last legen, so darf ich es Ihren Aerzten überlassen, Sie gründlich von der Haltlosigkeit solcher Märchen zu überzeugen. Die Vegetarianer führen uns aus allen Zeiten und Himmelsgegenden historische Normalmenschen ihres Glaubens vor; es wäre wohlfeil, ihnen gerade so viele und gerade so gewichtige Beispiele kerngesunder Omnivoren gegenüberzustellen. Es ist eben jeder nach seiner Façon selig geworden. Wenn die Vegetarianer behaupten, heruntergekommene Menschen seien aggressibler für gewisse Krankheiten, so haben sie wohl Recht, aber sie bleiben uns den Beweis schuldig, daß dieselben durch den Fleischgenuß zunächst zu Säufern und Wüstlingen geworden und dadurch heruntergekommen sind. Wenn sie behaupten, die Fleischfresser verfallen der Tuberculose, so will ich ihnen nicht schwindsüchtige Vegetarianer, wohl aber die Thatsachen entgegenhalten, daß die Bewohner von Island und den Faröerinseln trotz überwiegender Fleischkost absolut frei von Tuberculose sind, und umgekehrt unsere warm empfohlenen Vorbilder, die Affen, wenn sie in unser Klima übergesiedelt werden, trotz vegetabilischen Futters fast alle an Schwindsucht zu Grunde gehen. Wenn sie behaupten, die Länder der Carnivoren seien überhaupt die vornehmsten Brutstätten aller Krankheiten, so vergessen sie, daß die verderblichsten Seuchen, Cholera, Pest, gelbes Fieber, Privilegien der Tropengegenden sind, die Cholera von der gepriesenen indischen Urheimath der Vegetarianer aus ihre verheerenden Wanderzüge unternommen hat. Wenn endlich die Herren „Naturärzte“ sich vermessen, alle möglichen Krankheiten mit ihrer Diät bessern oder heilen zu wollen, so werden die „Kunstärzte“ ihnen zwar gern diesen und jenen Herzkranken z. B. in die Cur geben, aber gewiß mit allen Mitteln z. B. einen Diabetiker aus ihren gefährlichen Händen zu retten suchen.

Ich breche ab, denn die Stunde hat geschlagen, welche den Vegetarianer zu seinem ungesäuerten Brod, seinen Früchten und seiner Mandelmilch, meine Sündengefährten zu ihrem Butterbrod mit kaltem Fleisch, ihrem Glas Wein oder Bier, oder vielleicht gar zu einer „Tasse Thee“ ruft. Ich wünsche Freund und Feind einen gleich gesegneten Appetit. Sie, meine Collegen und Colleginnen in der Sarkophagie, vergessen Sie nicht, daß ich Ihnen wohl die Unschädlichkeit des Fleischgenusses garantirt und für einen mäßigen Genuß von Reizmitteln meine Lanze eingelegt habe, für die leiblichen und geistigen Schäden aber, welche ein Trimalchivgelage Ihnen bringen könnte, keine Verantwortlichkeit übernehme. Sie, meine Herren Vegetarianer, beachten Sie wohl, daß ich Ihnen die Möglichkeit einer gefunden Existenz bei Ihrer freiwilligen Selbstkasteiung nicht bestritten habe, daß ich auch Ihnen, die Sie nur als Laienbrüder gläubig auf die Worte Ihrer Magister schwören, die Blößen und Fehler Ihrer Diätetik nicht anrechne. Diesen Ihren Predigern aber sagen Sie, daß es heutzutage nicht mehr so leicht ist, „den Geist der Medicin zu fassen“ und ungestraft auf ihrem Gebiet den Messias zu spielen, daß sich die heutige Physiologie und Pathologie durch den Geist, in welchem ihre Jünger mit rastlosem mühevollen Fleiß das achtunggebietende Lehrgebäude, wie es jetzt dasteht, aufgeführt haben, auch das volle Recht erworben hat, gegen die Einmischung pfuschender Dilettanten ein Veto einzulegen.




Eine beängstigende Viertelstunde.

Aus dem Seetagebuche des österreichischen Seeofficiers F. in Foggia.

Unter den sengenden Strahlen der Augustsonne im Jahre 186* segelte, jeden Fetzen Leinwand zum Auffangen der schwachen und unstäten Südost-Brise aufgezogen, unterwegs von Tunis nach Neapel, langsam auf den tiefblauen Wogen des Tyrrhenischen Meeres die stattliche Kriegscorvette „Der Meeresfeger“.

Rechts, in weiter Ferne, über dem dunstigen Horizont, lagen die blauen Spitzen der westlichsten Ausläufer Siciliens in Sicht. Außer diesen fand das Auge rundum keinen Haltepunkt auf der von der blühenden Atmosphäre wie ein Stahlspiegel glänzenden unendlichen Wasserfläche.

Während die halbe Schiffsbemannung unter Deck sich mit leichten Schiffsarbeiten beschäftigte, suchten die anderen Matrosen, Artilleristen und Marine-Infanterie-Soldaten, welche auf Deck sein mußten, sich gegen die kaum erträgliche Mittagshitze dadurch zu schützen, daß sie sich in den Schatten der Borde, Boote und Segel verkrochen; dabei vergaß der größte Theil derselben in leichtem Halbschlummer des Elendes, welches hier zu tragen war. Nur einigen wenigen Unglücklichen verbot die eiserne Dienstespflicht, sich gegen die + 36° Réaumur auf irgend eine Weise zu schützen. Mißmuthig und mit gespannten Sinnen lehnte der Wachofficier im Luv (an der Windseite) an dem Fallreep (bewegliche Bordaufsteigtreppe), während sein Auge bald den Horizont, bald das über seinem Haupte sich stolz erhebende Masten-, Segel- und Taugewirre, bald den nachlässig die Speichen des Steuerrades haltenden Steuermann streifte. Zwischen den beiden achtundvierzigpfündigen Hintercastellgranatkanonen spielten lautlos einige Schiffsjungen mit kleinen Papierschnitzeln und harten Schiffsbohnen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_473.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)