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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Auf der Windseite, und zwar im vollsten Sonnenschein, spazierte ein blutjunger Wachcadett über die schier glühheißen Planken des von der Mannschaft außer Dienst streng gemiedenen Hinterdecks und kostete im Voraus die Freuden des Fegefeuers, den Augenblick verwünschend, wo er, unbekannt mit den unzählbaren Entbehrungen und Leiden des Seemanns, durch die glänzende Außenseite des Kriegsmarinelebens verführt wurde, sich diesem Elitecorps einverleiben zu lassen.

Am Vordercastell lagen im Schatten des großen Vorsegels mehrere dienstfreie Officiere und Cadetten, der Schiffsarzt und der Proviantcommissair auf feinen Matten hingestreckt und lauschten begierig den Erzählungen aus dem eigenen vielbewegten Seeleben eines unter ihnen, während sie leichte Wölkchen der an Bord so beliebten Cigarillos in die Luft ringelten und aus kleinen Tassen den dickflüssigen echten Mocca schlürften. Im Laufe des Gesprächs erwähnte Einer, welch unglaubliche Menge geistiger Getränke mancher Seemann, besonders in kalten windigen Nachtwachen, ohne Schaden trinken könne, und da meinte Schiffslieutenant v. R., der bisher ruhig zugehört hatte, er glaube, im Vertragen von Spirituosen thue es ihm so leicht Keiner nach; ja er sei bereit zu wetten, er könne, ohne abzusetzen, eine volle Halbe (ungefähr drei Viertel Litres) echten Jamaica-Rum trinken. Lachend erklärten die um ihn her liegenden Officiere sich bereit, die Wette zu halten, denn sie glaubten, er scherze nur; wer beschreibt aber ihr Erstaunen, ja ihren Schrecken, als v. R. ruhig erklärte, er wolle die angenommene Wette sofort ausfechten. Wirklich mußte ein wachhabender Schiffsjunge vom Bot?temeister das gewünschte große Glas mit Rum gefüllt herbeibringen, v. R. setzte, trotz allen ernstlichen Abmahnens und Bittens seiner Cameraden, die Halbe Rum an die Lippen und goß sie, ohne abzusetzen, bis auf den letzten Tropfen in den Schlund. Nach diesem furchtbaren Trunke erhob sich v. R. und stand eine kleine Weile blaß und nervös zitternd da, erholte sich aber scheinbar sofort, grüßte die nicht wenig verblüfften Cameraden und stieg festen Schrittes die Vordercastelltreppe hinab unter die Matrosen auf die Laufplanke; dort zog er einige schöne blanke Maria-Theresien-Thaler aus der Tasche und rollte sie unter die aufspringende Mannschaft, sich an der Balgerei der Leute beim Erhaschen der Münzen höchlichst ergötzend. Kurz darauf schritt er über das Hinterdeck zur Hauptofficierstreppe und verschwand in seine Cabine. – Sämmtliche Zeugen dieses Wetttrinkes glaubten fest, Schiffslieutenant v. R. werde sich niedergelegt haben, um durch tüchtigen Schlaf die unausbleiblichen Folgen eines solchen Trunkes zu vertreiben! Sie dachten auch nicht daran, daß derselbe, obwohl im Dienste einer der tüchtigsten, gebildetsten und erfahrensten Seeofficiere, von Hoch und Niedrig geachtet und geliebt, doch leider schon seit einiger Zeit an furchtbarem nervösen Kopfweh litt, ja manchmal Dinge that und sagte, welche auf eine leichte Geistesstörung folgern ließen.

Kurze Zeit, nachdem v. B. sich unter Deck in seine Cabine begeben, hatte man auf Deck schon das Vorgefallene vergessen, und Jedermann ging seinen Obliegenheiten oder hing seinen Träumen nach.

Auf den meisten Schiffen, besonders aber auf Kriegsfahrzeugen haben die um den Mittelsaal gelegenen kleinen Officiers-Cabinen in der Decke eine runde Oeffnung, welche zur Einlassung des Tageslichtes mit einer zolldicken Glaslinse gut verschlossen ist; bei großer Hitze wird statt der Glaslinse eine durchbrochene Metallrosette eingeschraubt, um diesen engen Räumen doch ein wenig Luft zuzuführen. Auf Kriegsschiffen führt aus der Cabine des Schiffslieutenants ausnahmsweise mittelst einer Fallthür über eine kurze Treppe ein selten gebrauchter Weg in die Pulverkammer (Santa Barbara genannt) und zwar, um für den Fall eines Aufstandes oder wenn der Hauptweg in die Pulverkammer durch die Mittelschiffsräume verschlossen ist, es den Officieren zu ermöglichen in dieses Heiligthum eines Kriegsfahrzeuges zu gelangen. Diese kurze Andeutung diene zur Erklärung des Nachfolgenden.

An jenem Mittag waren eben auch an Bord des „Meeresfegers“ der Hitze wegen die Glaslinsen der Cabinen ausgeschraubt und dafür die durchbrochenen Metallrosetten eingesetzt, durch welche der oben am Decke in der Sonne spazierende Wachcadett manch’ sehnsüchtigen Blick nach den unter seinen Füßen liegenden schattigen Räumen warf. Kurze Zeit jedoch nachdem Schiffslieutenant v. R. sich in seine Cajüte begeben hatte, blieb der Cadett plötzlich stehen und hob mit dem Ausdrucke unendlichen Erstaunens sein Stumpfnäschen gen Himmel, gleich als ob ihm einer der glühenden Sonnenstrahlen Botschaft bringen sollte, woher der eigenthümliche Brand- und Pulvergeruch käme, welcher plötzlich seine zarten Geruchsnerven verwundete. Doch nicht lange dauerte seine Unbeweglichkeit, denn ein Blick auf den Steuermann und den am Waffenmagazin stehenden Wachtposten (außer ihm und dem Schiffsjungen die einzigen Menschen, welche sich in jenem Augenblicke am Hinterdeck befanden) zeigte ihm, wie auch diese Beiden mit weitgeöffneten Nasenflügeln, Furcht und Entsetzen in den Mienen, den immer stärker werdenden Geruch nach verbranntem Pulver einzogen. So sehr dem jungen Manne, eigentlich noch Knabe, auch das Herz pochte, so sehr sich ihm ein Schrei des Entsetzens auf die Lippen drängte, die Pflicht des Soldaten, die Ehre des Officiers erwachte mit solcher Kraft in ihm, daß er sich überwinden und, wenn auch sehr blaß, zu dem am Fallreep lehnenden Wach-Officier treten und demselben leise die gemessene Meldung von dem gespürten Brandgeruch machen konnte.

Der Wach-Officier, Fregatten-Lieutenant Alfred H., ein ruhiger, besonnener und kaltblütiger Mann, Schwede von Geburt, hatte kaum einige Schritte gegen das Hinterdeck gemacht und sich von dem Brandgeruche selbst überzeugt, als auch schon die auf der Laufplanke und unter dem Vordercastell, oder hinter den schweren dreißigpfündigen Geschützen im Schatten lagernde Mannschaft, unruhig werdend durch den nun auch am Mittel- und Vorderdeck merkbaren Brandgeruch, zwar noch schweigsam, aber entsetzt und drohend aufsprang.

Es giebt leider auch an Bord von Kriegsschiffen schreckvolle Augenblicke, wo die Matrosen, sonst durch eine entsetzlich harte und strenge Disciplin gebändigt, jede Fessel sprengen, jedem Zwange entschieden entgegentreten und in der Angst um das eigene Leben sich zu Herren ihres Schicksals zu machen trachten. Nur die größte Besonnenheit und Energie seitens der wenigen Officiere vermag in solchen Augenblicken furchtbare Katastrophen vom Schiffe abzuwenden.

Ein Blick nach vorn zeigte dem Wach-Officier des „Meeresfegers“ die größte Gefahr: in der Ueberzeugung, der Gestank nach entzündetem Pulver könne nur aus der Santa Barbara kommen, denn anderswo ist kein Schießpulver aufbewahrt, und in der Befürchtung, daß das Schiff zu ihren Füßen sich gleich einem Vulcan jeden Augenblick öffnen und ihre Glieder gen Himmel schleudern könne, machte die Mannschaft Anstalten sich auf das Hinterdeck zu stürzen, um die dort aufgehißten Seitenboote in’s Meer zu lassen und sich auf diesen, sei’s auch mit Gewalt, über die Leiber ihrer Officiere weg, wenn möglich zu retten. Mit wenigen Sätzen sprang der Wach-Officier zu dem Hinterdecks-Waffenmagazin, ergriff dort ein schweres Enterbeil, ließ den Posten „Gewehr heraus“ rufen und warf sich im Vereine mit dem Wach-Cadetten, welcher seinen kleinen Borddolch drohend mit der Faust schwang, bis an den Hauptmast der noch unschlüssigen Mannschaft entgegen. In Gedankenschnelle waren die allezeit den Officieren ergebeneren, von den Matrosen als sogenannte Faullenzer und Landratten meistens gering geschätzten, ja wohl sogar gehaßten Marine-Infanterie-Soldaten auf den Alarmruf des Postens nach hinten zu gelaufen, hatten die dort am Rechen lehnenden Gewehre ergriffen und auf Befehl ihres Feldwebels in enggeschlossener Linie mit gefälltem Bajonnet das Hinterdeck von den Matrosen abgeschlossen.

Sobald der Wachofficier sah, daß diese vor den drohenden Bajonnetspitzen für den Augenblick zurückwichen, ließ er schnell durch einige hinzugeeilte Artilleristen die beiden stets mit Trauben-Kartätschen geladenen Hintercastell-Kanonen wenden und nach vorne über beide Laufplanken auf die Mannschaft richten. Mit rasch entzündeten Lunten standen die treuen Artilleristen bereit, auf den Befehl des Officiers ohne Bedenken Tod und Verderben unter ihre Leidensgefährten zu schleudern.

Während dieser kurzen Vorgänge war aber nicht nur der Gestank nach verbranntem Pulver immer stärker geworden, sondern am ganze Hinterdeck lagerte sogar schon eine leichte mehrere Schuh hohe Pulverdampfwolke.

Sogleich nach erfolgtem Alarmrufe waren die meisten Officiere und Cadetten, sowie auch der Schiffsbefehlshaber, Fregatten-Capitain Ritter von L., ein zwar tüchtiger, muthiger und gerechter, aber wegen seiner schrecklichen Strenge im Dienste wenig beliebter Seeofficier, auf dem Hinterdeck erschienen. Derselbe versammelte den Stab um sich und ließ sich vom Wachofficier das Sprachrohr reichen, als Zeichen, daß er nun selbst das Commando übernehme. Todtenstille herrschte jetzt auf Deck. Die Disciplin schwang ihre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_474.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)