Seite:Die Gartenlaube (1870) 492.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

uns noch etwas Neues zu zeigen hätte. Er sagte, es wäre die Scenerie erschöpft, wir könnten dieselbe nur noch in ihrer Ausdehnung verfolgen. Dazu hatte ich weder Lust noch Kraft mehr. Ich war physisch und moralisch zu sehr angegriffen, um die Wanderung noch weiter fortsetzen zu wollen. So verabschiedeten wir uns denn von unserm Geleiter, wobei er noch bemerkte, daß für ihn jetzt erst die Berufsarbeit beginne. – Es schlug von St. Paul ein Uhr, als ich mit einem Cab mein Hôtel erreichte.




Wanderlieder.
Von Albert Traeger. Mit Illustrationen von Emil Schuback in Düsseldorf.


 1. Abschied.

Das grüne Reis auf meinem Hut
Soll mir die Wege weisen,
Die weite Welt mit frischem Muth
Nun wandernd zu durchreisen;
Doch mahnend weht’s, lieb Schwesterlein,
Mich an aus Deinem Strauße:
Die schönsten Blumen blüh’n allein
Daheim im Vaterhause.

O Heimath, wunderbares Wort,
Das Herz nur kann dich deuten,
In ihm hallst du bei’m Abschied fort,
Wie Kirchenglockenläuten;
Stumm mahnt die treue Vaterhand,
Mich treu stets zu bewähren;
O Mutterauge, bis zum Rand
Stehst du voll heller Zähren.

Die junge Magd lehnt unter’m Thor,
Ob sie mein Scheiden dauert?
Wie schwer kommt mir das Wandern vor,
Nun Alles um mich trauert!
Behüt’ Euch Gott, laßt einmal noch
Zum Letzten Euch umfassen – –
Ich kann den Cameraden doch
Nicht länger warten lassen!


Die Abreise.




 2. Der erste Brief.

Wohl und munter, Gott sei Dank!
Alter, laß mich’s selber sehen,
Glaubte schon, er wäre krank,
Und ich will Dir’s nur gestehen,
Daß ich manche lange Nacht
Weinend im Gebet verbracht.

Lies mir das noch einmal laut,
Was er da von mir geschrieben,
Jedes Wort so lieb und traut,
Ja, mein Sohn ist gut geblieben;
Nie vom rechten Wege lenkt,
Wer noch an die Mutter denkt.

Nimm mir seinen Brief in Acht,
Will ihn in die Bibel legen,
Daß der Himmel Tag und Nacht
Walte sein mit Schutz und Segen,
Früh und Abends beim Gebet
Mir mein Kind vor Augen steht.

Was ein Blatt so glücklich macht!
Doch das hätt’ ich bald vergessen,
Der in’s Haus das Glück gebracht,
Trinken soll er jetzt und essen;
Weilt ein Kind der Mutter fern,
Labt sie jeden Wand’rer gern.




 3. Heimkehr.

O Heimath, wunderbares Wort,
Nur der hat dich verstanden,
Wer sich nach deinem Frieden fort
Gesehnt in fremden Landen!
Wie Alles so vertraulich lacht
Mich freudig zu empfangen,
Mir ist, als sei ich über Nacht
Von Haus’ nur fortgegangen.

Was glüht so schämig Dein Gesicht
Und will sich seitwärts kehren?
Du wirst doch Deinem Bruder nicht
Den Willkommkuß verwehren?
Zwar könnt’ es auch ein Freier sein –
Ei, pocht das unter’m Mieder!
Grüß Gott, Du liebes Schwesterlein,
Wie schön treff’ ich Dich wieder!

Der Vater schaut so groß mich an,
Als wollt’ er nicht verstehen:
Ja, ’s ist Dein Junge, und er kann
Dir fest in’s Auge sehen!
Ob’s auf der Wanderschaft mir schon
Nicht immer wollte glücken,
Blieb ich doch stets Dein treuer Sohn,
Du darfst die Hand mir drücken!


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_492.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)