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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Maurach, das bettelarme Geschöpf! Und wenn sie nun gar noch erführe, wenn ich ihr sagte, was ich seit einer Stunde weiß: daß ich im Grunde just so bettelarm bin, wie sie auch … nichts, als ein wegen seiner Schulden und thörichten Streiche vom Regimente weggejagter Rittmeister! … Verdammte Entdeckung! Die Sache konnte gar nicht querer kommen! Aber mag sie! Soll ich darum verzichten? Nun und nimmermehr. Ich habe renommirt wie ein Thor vor ihr, und eher stürbe ich, als daß das Ende von diesem Allen wäre, daß sie mich verachtete! Ich fühle, daß ich in Raserei verfallen könnte, wenn dies schöne stolze hochmüthige Geschöpf, das mich mit jedem ihrer Worte herausfordert, über mich triumphirte!“

Er sprang auf und ging langsam sinnend in’s Schloß, in sein Zimmer; hier öffnete er eine Cassette, an der er sich mit Papieren, die er hineinlegte, zu schaffen machte. Dann schritt er eine Zeitlang in dem Raume auf und ab und befahl endlich Joseph, das Abendessen seinen Gästen auf deren Zimmer zu serviren, da er den Abend allein bleiben wolle. Als Joseph diese Botschaft drüben in dem Fremdenzimmer ausgerichtet und sich wieder entfernt hatte, bemerkte der Vicomte:

„Nach dem, was Du mir von den Reden unseres Wirthes mittheiltest, ist dies ein wenig auffallend. Es müssen sehr wichtige Aufschlüsse sein, die der Graf erhalten hat, wenn er vorzieht, allein zu bleiben, um darüber nachdenken zu können! Er habe das allerstrengste Schweigen verheißen müssen, sagte er Dir?“

„So ist es, mein Vater.“

„Ich möcht’ um die Welt gern wissen, was er von der alten Dame erfahren hat. Und was diese Frage nach einem Herrn Lohoff, von der Du mir sagtest, zu bedeuten hat! Ich erinnere mich des Menschen sehr wohl. Es war in Hamburg, im Hause des Spielpächters von Dobberan, dessen Kindern ich Unterricht gab. Dieser Lohoff war während der Saison einer seiner Croupiers – was er den Winter über in Hamburg trieb, weiß ich nicht. Er näherte sich mir mit großer Zuvorkommenheit und verstrickte mich in ein langes Gespräch, wobei mir auffiel, daß er sich sehr für den großen Adel unter den Emigranten zu interessiren schien und dann sehr viel nach unseren früheren Verhältnissen und nach unseren Verbindungen zu fragen begann. Es stieg mir endlich gar der Verdacht auf, daß er mich sondiren wolle, ob ich unsere Anrechte auf diese Herrschaft Maurach kenne und später im rechten Augenblick – der Graf Walram lebte ja damals noch – geltend zu machen gedenke.“

„Sprachst Du nicht damals davon, daß er Dich habe vor etwas warnen wollen?“ fragte Melusine.

„Warnen? Nun ja, ich denke so, vor deutschen Processen nämlich. Jedenfalls schien er eine versteckte Absicht zu haben. Dieser Argwohn machte, daß ich von da an den Berührungen mit ihm auswich – ich habe dann nicht mehr an ihn gedacht. Und jetzt beginnt der Graf von ihm zu reden! Weißt Du, welche Sorge mir kommt? Daß dieser Mensch aufgetaucht ist, um den Grafen wider uns einzunehmen; daß er uns ihm denuncirt, als Leute, die sich bei ihm unter heuchlerischer Maske eingeschlichen, um ihn zu verdrängen und zu verderben …“

„Das wäre entsetzlich!“ flüsterte Melusine. „Ich ertrüge es gar nicht, so vor ihm dazustehn. Mein Gott, welche Demüthigung!“

„Du hast Recht, es wäre eine furchtbare Situation für uns! Würde er uns glauben, daß wir ja zunächst nur gekommen um der Mittel willen, nach Frankreich heimzukehren und dort zu dem Unsrigen zu kommen?“

„Gewiß nicht, gewiß nicht!“ rief Melusine verzweifelt aus. „Was würde dieser böse Mensch nicht von uns glauben! Vater, ich bitte Dich, laß uns lieber abreisen, lieber weiter fliehen, als uns dem auszusetzen! O, der Aufenthalt wird mir unerträglich hier …“

„Ich bitte Dich, mein Kind, wie könnten wir einen so übereilten Entschluß fassen, bevor wir wissen, daß unsere Behauptung gegründet ist, bevor irgend etwas Weiteres uns andeutet …“

„Mein Gott, mein Gott,“ fiel Melusine ein, „sollen wir denn das abwarten, sollen wir uns solchen Andeutungen aussetzen? Daß der Graf allein sein will, wie er eben uns hat melden lassen, ist das nicht schon Andeutung genug? Und dann … dann …“

„Du sprichst nicht weiter – was willst Du sagen?“

Melusine brachte es nicht über die Lippen. Es war ihr der Gedanke durch den Kopf geschossen, daß Ulrich’s Werbung von vorhin, in der sie einen für sie beleidigenden Uebermuth gesehen, einen mindestens sehr tactlosen Scherz, eine ernstere Bedeutung gehabt habe … daß Graf Ulrich bereits erfahren, welches Recht sich an Melusinens Hand knüpfe, daß er sich dies und diese Hand sofort zu sichern gesucht – sie ward nun doppelt empört darüber, ihr ganzes Herz kehrte sich um bei diesem Gedanken … aber sie fühlte sich nicht im Stande, selbst mit ihrem Vater darüber zu reden … ihr Vater hätte sie ja ohnehin gar nicht verstanden; wie konnte sie ihm begreiflich machen, was in ihr lag, was sie in dem roh übermüthigen Betragen gerade dieses Mannes, dem sie von allen auf Erden just am meisten hätte imponiren und Achtung abzwingen mögen, so unsäglich kränkte?

So schwieg sie. Es war ja auch für den Abend zum Abreisen zu spät, und morgen konnte sie von Neuem davon beginnen und den Vicomte dafür zu gewinnen suchen. Dieser aber begann davon zu reden, daß ihre Sorge im Grunde doch sehr kindisch sei, daß, wenn dieser fremde Mensch, nach dem Graf Ulrich Melusine gefragt, auch etwas Genaueres über ihr Anrecht auf die Herrschaft Maurach wissen sollte, was doch sehr unwahrscheinlich war, er gar kein erdenkliches Interesse daran haben konnte, den Grafen darin einzuweisen … und damit beruhigte der Vicomte sich endlich so glücklich, daß auch Melusine zuletzt einen Theil dieser Sorge schwinden fühlte.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Trost in blutiger Zeit.

Die Brandfackel des Krieges ist über Nacht und unerwartet von frevelhafter, verbrecherischer Hand in unsere segensreichen, fruchttragenden Gefilde geschleudert worden, und die Göttin der Verheerung, in ruchlosem Uebermuth wachgerufen, erhebt ihr bleiches, todbringendes Medusenhaupt. Wie ein Wolf naht der Feind zu räuberischem Ueberfall unseren Grenzen, zu deren Schutz im Augenblick, da wir diese Zeilen schreiben, die Völker Deutschlands mit der nämlichen Begeisterung und mit der nämlichen Einmüthigkeit, die einst dem Oheim des gegenwärtigen Franzosenkaisers den Untergang bereiteten, sich unter ihre Fahnen schaaren, um – wenn es einen gerechten Gott im Himmel giebt, bald und siegreich wieder heimzukehren. Aber die wogenden Kornfelder harren umsonst der Arme, die ihre goldene Gabe in Empfang nehmen sollen, die Fabriken stehen müßig, die Maschinen ruhen, entlassene Arbeiter hungern und an dem verwaisten Heerde trauert die Frau um den aus dem Kreise der Familie gerissenen Gatten, die Schwester um den Bruder, die Braut um den Geliebten, die Mutter um den Sohn. Wie Gespenster eilen an ihrem Auge alle die Schrecken vorüber, die der Krieg in seiner unbarmherzigen Wildheit entfesselt, und der Schall der Kanonen, der Wehruf der Verwundeten und das Stöhnen der Sterbenden trifft in qualvollen Träumen ihr Ohr.

Diesen Martern der Seele gegenüber, die kaum minder schwer zu tragen sind, als die körperlichen Leiden der wirklich vom Schwert oder der Kugel Getroffenen, bieten wir heute einen Trost – einen geringen zwar, aber doch immerhin einen solchen, weil er in der Erkenntniß besteht, daß in demselben Maße, wie die Schrecken und Verwüstungen des Krieges durch die unausgesetzte Erfindung neuer und immer furchtbarerer Zerstörungsmittel sich vermehrten, auch die Civilisation und Humanität auf Mittel und Wege sann, das Unheil so viel als möglich zu beseitigen und das dadurch hervorgerufene Elend zu mildern. Freilich – wir müssen das gleich hier bekennen – steht die Hülfe noch immer in keinem Verhältniß zu dem entsetzlichen Verderben, sie wird es auch nie zu solcher Vollkommenheit bringen können, ihr größter Segen wird nur einen kleine Theil des tödtlichen Unheils zu mildern, zu lindern, zu erleichtern vermögen, das sich in ungemessenem Maße über die Schlachtfelder ergießt. Trotzdem aber ist mit dem größten Danke anzunehmen, was diese Hülfe bietet, und schon Tausende haben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_500.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)