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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Daß die Pariser Polizei mit der westphälischen in genauer Verbindung stand, ist eine bekannte Sache; aber bemerkenswerth ist es, daß unter den Kasseler Polizei-Officianten sich mehrere von Frankreich besoldete Individuen befanden, die von allen Vorfallenheiten am westphälischen Hofe nach Paris Bericht erstatten mußten, und es ist zu vermuthen, daß hierin großentheils der Grund der Geringschätzung des Kaisers gegen seinen ganz charakterlosen Bruder lag. Zu diesen geheimen Referenten, die ein doppeltes Gehalt bezogen, gehörte namentlich der oben erwähnte Savagner, und die endliche Entdeckung seines doppelgängigen Spiels mußte denn zuletzt auch seinen Sturz herbeiführen. Er wurde des Landes verwiesen, Bercagny aber, der den Unwissenden spielte, mußte seine Stelle an Bongars abtreten.

Aber die französischen Gewalthaber in Deutschland begnügten sich nicht mit der ihnen zu Diensten stehenden Einwirkung der hohen Polizei, sondern trafen, wo es ihnen genehm war, selbsteigene polizeiliche Verfügungen im großartigsten Styl. Bekannte Beispiele davon sind die empörenden Verhaftungen und Hinrichtungen des Buchhändlers Palm in Nürnberg und des Herrn von Finkh in Oldenburg. Ein drittes giebt das Verfahren der Franzosen in Braunschweig durch Einmischung des Marschalls Davoust. Dort, wo seit dem Herbste 1811 das wegen seiner Bedrückungen, Bravaden, Anmaßungen und thätigen Verunglimpfungen verhaßte dritte französische Kürassierregiment garnisonirte, war der Citronenhändler Claus beschuldigt worden, den Kürassiercapitain Gaignemaille wegen ehebrecherischen Umgangs mit seinem Weibe erschossen zu haben. Claus ward, ohne Eingeständniß des Mordes, vom Criminalgerichtshofe des Ocker-Departements zum Tode verdammt und in Braunschweig hingerichtet, wogegen sich Niemand setzte. Dennoch fand der Marschall Davoust nothwendig, ein Truppencorps von sechstausend Mann nach Braunschweig zu senden, alle Thore der Stadt zu sperren, geladene Kanonen mit brennenden Lunten auf den Hauptplätzen gegen die Straßen richten, sämmtliche Bürgerschaft entwaffnen, viele schamlos Beschuldigte gefänglich einziehen und unter Mitwirkung des westphälischen Kriegsministers eine Militärcommission anordnen zu lassen, welche beauftragt wurde, über die Verbrechen und Unternehmungen gegen die Sicherheit der großen Armee in Braunschweig militärisch zu richten. Nachdem man provisorisch einige westphälische Soldaten, die Händel mit Franzosen auf dem Tanzboden gehabt, zum schreckenden Exempel todt geschossen, fand sich bei genauerer Untersuchung, daß alle Verbrechen gegen die große Armee auf lügenhafte Berichte schändlicher Buben (worunter sich auch der Obrist des dritten Kürassierregiments und einige nichtswürdige Polizeispione befunden haben sollen) hinausliefen und jenes gewaltig angekündigte Strafexempel gänzlich unnöthig sei.

Die erste Kriegsbeute.

Ein Bannerträger der Civilisation.
Nach einer Skizze von Eduard Harburger.


Inzwischen waren die Braunschweiger, besonders ihr Maire, dergestalt eingeschüchtert worden, daß Bekanntmachungen und Ermahnungen in Menge, gedruckt und ungedruckt, ergingen: „sich doch, um des eigenen Besten willen, ja keiner Beleidigung des französischen Militärs schuldig zu machen und dadurch wohl gar den Zorn des großen Kaisers oder den Grimm seines Oberfeldherrn Davoust auf die arme Stadt Braunschweig zu ziehen.“

Als durch solche Gräuel, deren die Einwohner des Fulda- und Werra-Departements schon mehrere früher erfahren, des Schreckens eiserner Thron fest gegründet zu sein schien, nahm man sogar die geheime Meinung und deren trauliche Mittheilung in gesellschaftlichen Cirkeln in Anspruch. Unterm 1. August 1812 erließ nämlich Bongars in alle Departements den Befehl, daß jeder, weß Standes und Ranges er auch sei, der sich erlaubte, Nachrichten über die Lage der Armeen im Norden zu verbreiten, welche nicht officiell und durch die im Umfange des Königreichs erlaubte öffentlichen Blätter bekannt gemacht worden, auf der Stelle arretirt, nach Kassel zur Rechenschaft gebracht und dort so lange in Verwahrung gehalten werden sollte, bis er denjenigen angegeben, von dem er die Nachricht erhalten habe. Der Polizeispione wurden täglich mehr; Männer und Weiber, vornehmen und geringen Standes, traten nun in Sold der geheimen Polizei. Das Wort, der Blick, die Mienen sogar wurden beobachtet; an öffentlichen Orten mußte vollends jeder Ausdruck bewacht werden. Auf den Pässen hatte man geheime Signalements, um sämmtlichen französischen und westphälischen Polizeibehörden jeden Reisenden gleich als unschädlich, verdächtig oder der Bewachung würdig zu bezeichnen. So ward des Schreckens Herrschaft gegründet, die Volksmoralität in ihren geheimsten Quellen vergiftet und das Landvolk selbst durch fremde und einheimische Buben, die sich dazu hergaben, bewacht. Jeder Polizeispion freute sich, wenn er irgend etwas auszuwittern vermochte, was als gefährlich nach Kassel gemeldet werden konnte, und es ist ebenso unglaublich als erwiesen, daß Väter und Mütter selbst ihre Söhne

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_521.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)