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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

und ihre Sachen wurden durchwühlt. Endlich setzte man ihnen einen Polizeidiener in’s Zimmer und meldete die Sache im Hauptquartier. Ich ließ mich sogleich bei Generallieutenant von Marlotki melden, der mich dem Namen nach gut kannte und sehr artig empfing. Ich erzählte ihm, was ich von den beiden Herren wußte, und er kam zu der Ueberzeugung, daß sie unschuldige Personen seien, aber thöricht, ohne Erlaubnißschein zwischen den Vorposten herumzulaufen, wie sie es in Saarbrücken gethan. Ein Correspondent der „Irish Times“ war verwundet worden. Der General befahl die Herren frei zu lassen, aber nicht zu gestatten, daß sie zurück auf den Kriegsschauplatz gingen.

Als ich eben meinen Zeitungsbericht begonnen hatte, ließ mir „Ellen, die ihren Bruder suchte,“ sagen, daß um zwölf Uhr Mittags


Preußische Ulanenvorposten sprengen den Viaduct bei Hagenau.
Nach der Skizze eines rheinischen Künstlers.


wieder ein Zug nach Saarlouis gehe. Ich war augenblicklich reisefertig und nach zwei, drei Stunden langten wir in der mir von alten Zeiten her so wohl bekannten Gegend an, in welcher ich seit fünfunddreißig Jahren nicht gewesen war. Durch den Bau der Eisenbahn hatte sich die Localität natürlich verändert. Da ich keine Lust hatte, mich durch Zufall in Saarlouis belagern zu lassen, so ging ich in das dicht bei der Station gelegene große Dorf Frauenlautern, wo ich als hungriger Lieutenant manchen Eierkuchen verzehrt hatte. In einer großen Wirtschaft mit Garten, Kegelbahn, Tanzsaal und Logirzimmer kehrten wir ein. „Ellen, die ihren Bruder suchte,“ hatte am Bahnhof einen Jäger von ihres Bruders Compagnie gesehen und erfuhr von ihm, daß das Bataillon in Hüttersdorf, etwa drei Meilen von Saarlouis, liege. Ein Bauer, der zwei tüchtige Pferde und einen guten Leiterwagen hatte, wurde auch gefunden und die suchende Witwe und ihr correspondirender Ritter setzten sich auf dasselbe Bund Stroh und kutschirten ab. Ueberall Truppen und auf den Wegen Wagen mit Soldaten, die Proviant zuführten. Alle waren guter Laune und unsere beiden lachenden Gesichter machten sie nicht trauriger. Da ich in den letzten sechs Monaten unter Londoner Fütterung wenigstens fünfundzwanzig Pfund schwerer geworden bin, so war meine Nachbarin wohl berechtigt, mir unpassende Schwere vorzuwerfen; denn ich wurde immer kleiner und die Wittwe gerieth in Gefahr mir nach in den Abgrund gezogen zu werden.

In heiterster Laune kamen wir in Hüttersdorf an, wo ungefähr fünftausend Mann beisammenlagen. Wir sahen auf einer Wiese neben dem Wege den schmerzlich gesuchten Bruder sehr eifrig seine Compagnie Jäger exerciren und fuhren schnell vorüber, da er überrascht werden sollte. Wir begaben uns in das Haus, welches uns als das Quartier des Hauptmanns bezeichnet wurde, und als die Dame nach dessen Zimmer fragte, zeigte der resignirte Hauswirth mit dem Daumen rückwärts in eine offene Stube ebener Erde, auf deren Boden eine Streu ausgebreitet war, worauf sich Husarenjacken mit Infanterieröcken unterhielten. In diesem Zimmer schliefen (des Nachts und nicht als wir es ansahen) fünfzehn Officiere; außerdem waren noch fünfundsiebenzig Mann und fünfzehn Pferde im Hause einquartiert. Es war hübsch, die Freude des Geschwisterpaares zu sehen. Der Hauptmann zankte die Schwester, allein es freute ihn doch so recht von Herzen, daß sie den Muth und die Energie gehabt hatte und die Liebe zu ihm, diese Reise zu machen, um ihn noch einmal an’s Herz zu drücken, ehe er vielleicht in den Tod zog.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_541.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)