Seite:Die Gartenlaube (1870) 544.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

hat, hat keinen Begriff davon. Die Todten lagen dort ziemlich dicht, sowohl Preußen wie Franzosen. Jenseits der Straße war französische Cavallerie ins Gefecht gekommen, und eine Anzahl Pferde lagen da. Aber auf der Ebene standen vier demolirte französische Geschütze. Auch sagten mir die Siebenundsiebziger, daß sie drei Mitrailleusen genommen hätten. Die Dinger sind Spielerei. Drei Kugeln sind in jeder der grünen Patronen. Eine Section mit Nadelflinten oder Chassepots, die zielt, ist gefährlicher als jede Mitrailleuse, welche Kugeln wie Erbsen streut – auf gut Glück. Ich konnte leider keine Mitrailleuse zu sehen bekommen.

Wir gingen nun bei Stieringen vorbei und kamen an ein Wirthshaus, welches die goldne Brehm (Ginster) heißt. Es steht hart an der Grenze schon auf französischem Boden. Im Haus war Alles zertrümmert; von den Kugelmarken sah es aus, als habe es die Pocken.

Dort begegneten wir einem sehr schön beladenen Wagentrain, welchen die Düsseldorfer Husaren erbeutet hatten und in sehr guter Laune einheimsten. Sie hätten nun Hafer, sagten sie, für die ganze Campagne. Wein, Zucker etc. wurden auch in Menge erbeutet. Dabei trafen wir einen gefangenen Franzosen mit dem rothen Kreuz. Er nannte General Frossard einen Verräther. Dessen Schlachtbericht vom 2. August beweist auch in der That, daß er ein französischer Windbeutel ist.

Die Leute in Forbach waren in großer Angst; man hatte ihnen Scheußliches von den Preußen erzählt. Allein sie beruhigten sich bald wieder und machten gute Geschäfte. Einzelne Soldaten hatten Requirir-Gelüste; doch die Officiere paßten scharf auf.

Wir stiegen im Chariot d’or ab. Die Leute sprechen alle Deutsch. Im Hause war auch das Hauptquartier einer Cavallerie-Division, Prinz von Mecklenburg.

Ich muß gestehen, daß das Schreiben viel am Sehen hindert. Die Preußen laufen so schnell, daß man sie ohne Pferd gar nicht einholt, und Pferd und Wagen sind nicht zu haben. Ich wäre gestern Morgen gern gleich weiter nach St. Avold, allein ich mußte schreiben, während der Consul recognoscirte. Er beschloß in Forbach zu bleiben, während ich nach Saarbrücken zurückging, in der Hoffnung von dort aus Fuhrwerk nach Metz zu finden. Einige Saarbrücker schlossen sich mir an und wir schlugen bei der goldenen Brehm den Weg in die Berge ein, welcher die Grenze bildet. Wir fanden bald überall auf den Bergen und Beiwegen todte Preußen und Franzosen. Einen vom zwölften Regiment hatte die Kugel mitten ins Herz getroffen; er sah aus, als ob er schliefe und angenehme Träume habe. An einer Stelle fanden wir zwei Franzosen und zwei Preußen, welche sich mit Kolben bearbeitet hatten und nun friedlich dicht neben einander lagen. Chassepots und Nadelflinten, Helme und Mützen, Tornister und Säbel bedeckten das Schlachtfeld und überall Blutlachen. Es war ein sehr scharfes Gefecht. Auf der Ebene, die auf der Höhe des erstürmten, vorspringenden Hügels liegt, sah es am wildesten aus. Man hatte bereits eine Menge Todte begraben, allein viele lagen noch heute unbeerdigt und die gesammelten Effecten zeigten an, wo die Schlacht am härtesten war. Auch zwei demontirte Geschütze, die Protzkasten noch gefüllt, sahen wir. Wir stiegen mit Mühe den Berg hinunter, den die Neununddreißiger und Vierundsiebenziger gestürmt hatten. Ich wollte, Sie könnten das sehen! Es ist schon vier Uhr und ich will versuchen nach Metz zu kommen, damit ich die Schlacht nicht versäume, die nach meinem Dafürhalten in dem Dreieck geschlagen werden wird, welches zwischen Metz, Thionville und Saarlouis liegt. Vielleicht gehe ich nach Saarlouis per Eisenbahn und erreiche von da das Schlachtfeld leichter. Hier marschiren zu viele Truppen durch, und Fuhrwerk ist, wie gesagt, nicht zu haben. Ein Pferd, ein Pferd, ein Königreich für ein Pferd! Das war in Amerika besser, da hatte ich stets mehrere zu meiner Disposition. Jetzt sitze ich seit heut Morgen und schreibe, und damit verläppert man seine Zeit, wie sein Geld mit Schuldenbezahlen.

Frossard soll bei St. Avold verwundet sein. Hurrah für den Sieg des Kronprinzen bei Wörth, wo sich die Süddeutschen wieder so brav geschlagen haben! Das ist die rechte Brüderweise.

Saargemünd ist in unsern Händen, ungeheure Vorräthe wurden erbeutet, die zurückgelassen wurden; dabei ein ganzer Eisenbahnzug. Prinz Friedrich Karl war in Saargemünd. Der König wurde gestern hier erwartet. Die ganze Stadt ist beflaggt und bewimpelt, allein auch heute ist der König noch nicht hier und es heißt nun auch schon, er komme überhaupt nicht.

Quartier in Hôtels gar nicht zu haben. Die Saarbrücker thun Alles, was sie können. Ich hatte eine Karte an Bankier Simon[WS 1], der mich mit der größten Liebenswürdigkeit und Freundschaft aufnahm. Eben bringt mir derselbe die Nachricht, daß der König und Graf Bismarck nun doch angekommen sind.

Mein nächster Brief meldet und beschreibt Ihnen hoffentlich einen großen Sieg; wenn ich ihn nur nicht versäume! Die Preußen werfen mit ihrer „Affengeschwindigkeit“ – so hieß es ja wohl 1866 – alles Althergebrachte über den Haufen und ein armer Correspondent weiß sich nicht mehr zu helfen. Immer langsam voran! Das war bequem. – Durchlesen kann ich meinen Brief unmöglich; corrigieren Sie gefälligst etwaige Wiederholungen. Jetzt fort nach Metz!




Aus den Tagen des Kampfes.

Wochen-Rapport Nr. 1.

Gäb’ es eine Höhe, auf welcher man das ganze Deutschland übersehen könnte, welch einen Anblick hätten wir erlebt in der ersten Woche dieses August! Ein Fahnenschwingen vom Nordrand am deutschen und baltischen Meere bis zu den Alpen, ein Händeheben und Jubelrufen vom Memelflüßchen bis zum Moselstrome und rings um unser kampf- und siegesstolzes Vaterland den bald lauten und ehrlichen, bald verschämten, noch scheu versteckten, bald gezwungenen und bald verbissenen Neutralitätsbeifall aller unserer Nachbarn! –

Wie blutig auch die Ehren von Weißenburg, Wörth und Forbach errungen werden mußten, die Opfer dafür sind nicht zu groß, denn nicht zu theuer bezahlt ist die die ganze friedliche Volksarbeit daheim mit neuem, belebendem Vertrauen erfüllende Zuversicht auf die Erfolge unserer Waffen. Eben darum ist es aber auch in diesem Augenblicke gewagt, schon mit einem geschichtlichen Rückblick bis zu den einfachen Anfängen des Krieges zurückzugehen. Die Vollständigkeit eines solchen Ueberblicks erfordert dies jedoch durchaus, und so müssen selbst unsere siegjubelndsten Leser sich mit in diese Nothwendigkeit fügen.

Gern ließen wir der kurzen Darlegung des bisherigen Kriegsverlaufs eine Schilderung des größten Meisterstücks vorangehen, das je die Kunst der Massenbeförderung zu vollenden hatte. Mehr als eine Million Soldaten, anderthalbtausend Kanonen und hunderttausend Pferde sammt Tausenden von Munitions- und Proviantwagen mußten in der Zelt von wenigen Wochen von der dänischen, russischen und österreichischen bis an die französische Grenze geschafft und in dem Bogen zwischen Straßburg und Luxemburg aufgestellt werden. Und diese Riesenarbeit ward vollbracht ohne irgendwelche Ueberstürzung und bei dem Locomotivenrasseln Tag und Nacht mit nur zwei Unfällen auf den sämmtlichen deutschen Eisenbahnen. Zum Einblick in dieses Netz von Weberschiffchen des Dampfverkehrs, in dieses ewige Her und Hin von Zügen fehlt jedoch bis heute noch alles Material; wir können nur bewundern, wie pünktlich die einzelnen Männer zu ihren Sammelorten gebracht und wie minutengenau die Bataillons-, Schwadronen- und Batterie-Züge in den Stationen der Eisenbahnen ankamen und weiter befördert wurden. Wir dürfen wohl jetzt schon verrathen, daß auf den Bahnhöfen von Leipzig allein all die durchpassirenden Soldaten etwa eine halbe Million Cigarren vertheilt worden sind, um damit die Zahl der Mannschaften nur anzudeuten. Ueber diese Beförderungszüge hoffen wir später Ausführliches bringen zu können; sie sind noch nicht ganz zu Ende. Während derselben vollendete der Generalstabschef sein zweites Meisterstück: die Aufstellung der Heeresmassen, und wie jene Beförderungsweise, so erkennen wir auch dieses Vorwärtsgehen der Aufstellung an ihren Früchten, d. h. an den erst einzelnen und kleinen Zusammenstößen, die den größeren Schlägen vorangingen, deren Donner bereits betäubend über Sieger und Besiegte hereingebrochen ist.

Der neunzehnte Juli, der sechszigste Todestag der Königin Louise, mit deren Namen das „Eiserne-Kreuz-Jahr 1813“ ewig verknüpft ist, ist auch der Tag des Anfangs unseres „letzten Krieges um den Rhein“. An diesem Tage ward in Berlin die französische Kriegserklärung überreicht und vom greisen König Wilhelm die Erneuung des „Eisernen Kreuzes“ verkündet, während in Saarbrücken zur selben Zeit als der erste feindliche Besuch ein Chasseur-Regiment zu Pferde die deutsche Grenze überschritt. Als auf den Alarm unserer Vorposten drei Escadrons Rheinischer Ulanen und ein Bataillon Hohenzollerscher Füsiliere sich den Franzosen entgegenstellten, machten sie Kehrtum und wurden von den Ulanen noch weit in’s französische Gebiet hinein verfolgt.

Neben diesem unblutigen Versuch darf nicht verschwiegen werden, daß den Franzosen an demselben Tage noch eine That gelang, die den Beginn des Krieges von ihrer Seite für immer würdig schmückt: sie eroberten das Solsterhöher Zollamt und führte die zwei Grenzzollbeamten als Gefangene mit fort. Beide Männer sind später, nachdem sie einen Gang mit verbundenen Augen durch das feindliche Lager ausgestanden, gesund und wohl zurückgekehrt.

Für den Krieg ein wichtiges Ereigniß waren am zwanzigsten Juli die einmüthigen patriotischen Antworten der Regenten von Baiern, Würtemberg und Baden auf die königliche Botschaft aus Berlin, welche den

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Snude; vergl. S. 643
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_544.jpg&oldid=- (Version vom 23.9.2019)