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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl.
Von unserem Berichterstatter Georg Horn.
Erster Brief.

Gegen Abend des 28. Juli war auf dem äußern Potsdamer Bahnhofe in Berlin ein reges Leben und Treiben. Ein langer Zug mit Transport- und nur wenigen Personenwagen, darunter zwei Salonwagen, stand rangirt, an der Seite des Perrons war ein ganzer Fuhrpark aufgefahren, bestehend aus Fahrzeugen jeder Form und jedes Bedürfnisses; davor standen lange Reihen der edelsten und schönsten Pferde mit den entsprechenden Bedienungsmannschaften, dazwischen bewegte sich viel Menschheit in Uniform und Livree; von den Wagen herab wurden Kisten und Koffer in die Gepäckwagen gehoben, die Gefährte selbst auf offene Transportwagen geschoben und die Pferde unter mancherlei Mühen, Antreiben und Rufen in den finsteren Gepäckwaggons untergebracht, vor dessen sie, die Luft und Freiheit liebenden, ein dunkler Instinct zu warnen schien. Während dieser Vorbereitungen war es dunkel geworden. Die Einwohner jenes Stadtviertels, das als ultima Thule Berlins gelten kann, sahen verwundert drein, als sie nach einem Theile des Bahnhofes, der sonst nur für rasselnde Gepäckwagen passirbar ist, eine elegante Equipage nach der anderen rollen sahen, mit älteren und jüngeren Officieren in einfacher Campagnenuniform, und zuletzt sogar eine, wenn auch nur einfache, Hofequipage erschien, in welcher kein Geringerer saß, als der Prinz Friedrich Karl, der Neffe des Königs von Preußen, der Held von Düppel und Alfen und Sadowa.

Man wußte, wenn es auch nicht in den Zeitungen gedruckt werden durfte, daß der Prinz zum Obercommandirenden der Rhein- oder der Zweiten Armee ernannt worden sei. Derselbe hatte nunmehr sein Hauptquartier formirt und brach an jenem Abend mit demselben an den Rhein auf. Welches ist das Ziel der Fahrt? So fragten sich fast Alle, die im Zuge waren, mit Ausnahme des Prinzen und seiner ersten Generalstabsofficiere, jener Herren mit der unscheinbaren Uniform und den strategischen Köpfen. Diese wußten es jedenfalls, denn sie sind die wichtigsten Theile des Ganzen, das wiederum in dem General von Moltke, dem Chef des großen Generalstabes der Armee, in dem großen Schweiger und Schlachtendenker concentrirt ist, der den genialen, von Tag zu Tage klarer hervortretenden Operationsplan entworfen hat; sie sind die Vertrauensmänner und leitenden Kräfte, denen er einen großen und wichtigen Theil der Ausführung seines großen Gedankens übertragen hat. Natürlich kannten diese Herren das Reiseziel, aber sie beantworteten jede Andeutung mit einem liebenswürdigen Gedankenstrich nach einem Fragezeichen. Die Reise ging über Magdeburg und Hannover durch das Bückeburger Land und durch die fetten Triften der rothen Erde. Die großartigen Ovationen, die der Prinz mitten aus dem Volke heraus durch Ansprachen, Gesänge, Hochs und Hurrahs, namentlich vom Westphälingerland empfing, drängten die Begierde, das Ziel der Reise zu erfahren, etwas zurück, bis dieselbe am zweiten Morgen nach der Abreise beim Einfahren in den Bahnhof von Köln nur um so lebhafter wurde. Auch Köln war dieses Ziel noch nicht, jedoch vielleicht Coblenz. Man hatte gemunkelt, daß die Armee zwischen letzterem Orte und Mainz operiren würde – was munkelt man in solchen bewegten Zeiten nicht Alles! – „der alte Löwe“, General von Steinmetz, war zudem um einen Militärzug dem Prinzen vorausgefahren, vielleicht handelte es sich um wichtige Berathungen, Verabredungen, Recognoscirungen; aber General von Steinmetz blieb in Coblenz zurück, und der Zug des Obercommandirenden der Zweiten Armee fuhr durch den Bahnhof von Coblenz hindurch, und weiter ging es nach der linksrheinischen Bahn durch das herrliche Rheinthal, an der Stelle vorbei, wo General „Vorwärts“, Blücher, in der denkwürdigen Neujahrsnacht von 1814 mit dem preußischen Heere über den Rhein gegangen war, um seinen Siegesgang nach Paris anzutreten, und dort dem durch den Uebermuth, die Herrschsucht und den Cäsarenwahnsinn eines Corsen geängsteten und niedergeworfenen Europa den Frieden und den Muth wiederzugeben.

Es ist, als ob mit den Napoleoniden, die nach den Bestimmungen des Wiener Congresses von den Thronen Europas ausgeschlossen waren, als ob mit den Menschen auch die Zeiten wiederkehrten. Die Corsenfamilie mit der ihr eingeimpften Blutrache kann sich auch in dem gegenwärtigen Haupte derselben nicht verleugnen; aber die Deutschen sind in den letzten fünfzig Jahren durch die Bedrängnisse und Erfahrungen der Zeit doch andere geworden. „Einer für Alle, Alle für Einen!“ ist jetzt ihr Schlachtenruf, und wenn dort bei dem goldenen Mainz vorbei einst die Kaiserstraße führte, auf welcher Napoleon der Erste seinen Heeren voran von Paris nach Jena zog, so wird jetzt ein neuer General Vorwärts die Geschichte und den Weg umkehren und den Franzosen ihr Jena heimzahlen! In Mainz hielt auch nach vierzigstündiger Fahrt der Zug, und Mainz war das erste Hauptquartier des preußischen Heerführers Prinz Friedrich Karl. Was ist ein Hauptquartier?

Ein Hauptquartier ist der geistige und geschäftliche Mittelpunkt, von welchem die Fäden über die einzelnen Truppentheile, Corps, Divisionen, Brigaden, Regimenter, ausgehen. Der Heerführer ist der Herrscher; der Generalstabschef, der Generalquartiermeister, der Generalinspecteur der Etappen sind seine Minister, die übrigen Officiere des Generalstabes seine Unterstaatssecretaire. Der Oberbefehlshaber ist Commandeur en chef der Infanterie und Cavallerie, außerdem hat er einen General der Artillerie und einen Oberst der Ingenieure an seiner Seite. Außer dem persönlichen Adjutanten des Prinzen gehören zum Hauptquartier die Commandeure des Hauptquartiers und der Stabswache, die Armeeadjutanten, die Ordonnanzofficiere, die mit den Befehlen an die einzelnen größeren Truppenabtheilungen abgeschickt werden, ein Generalarzt, der Vertreter des Johanniterordens, der Chef des Verpflegungswesens mit seinen Beamten – was eine Armee täglich aufißt, darüber in einem späteren Artikel –, ein Armeepostmeister, die Ingenieurgeographen, welche die Karten entwerfen, die Beamten mit dem Telegraphenapparate, vermöge dessen sie innerhalb zweier Stunden eine Linie von fünf bis sechs Meilen legen können, und zuletzt auch ein Apparat für schwierige künstlerische Zwecke, eine metallographische Druckerei. Rechnet man dazu noch die Corpsschreiber, welche den Bureaudienst verrichten, die Stabswache, welche den Wachdienst im Hauptquartiere thut, achtundzwanzig Mann Infanterie, achtzehn Mann Cavallerie – letztere begleiten den Höchstcommandirenden in die Schlacht – und zählt man dazu den, wenn immer kleinen, persönlichen Dienst des Prinzen, ergiebt diese militärische Umgebung und das persönliche Gefolge eine ganz erkleckliche Anzahl von Menschen, deren Fortbewegung von einem Ort zum andern eine stattliche Cavalcade von Pferden und eine lange Colonne von Wagen bildet.

Vierundzwanzig Stunden vor Abbruch eines Hauptquartiers geht der Quartiermacher nach dem Orte voraus, an welchem das neue aufgeschlagen werden soll. Dort erwartet dieser den Zug und händigt die Quartierbillets aus. Für den Obercommandirenden pflegt in einem seinem hohen Range entsprechenden Hause Wohnung bereitet zu werden, ebenso für die Officiere des Generalstabes, die wegen gewisser Eventualitäten in seiner nächsten Nähe sich befinden müssen, eine Nothwendigkeit, die auch für die Bureaus eintrat, welche in irgend einem amtlichen Locale untergebracht zu werden pflegten; meistenteils wurden dazu die Schwurgerichtssäle in Verwendung gebracht. Eine Viertelstunde nach der Ankunft des Hauptquartiers genügt, um die Kisten mit den Acten, Schreibmaterialien auszupacken, und nach einer halben Stunde arbeitet in dem neuen Etablissement Alles wieder mit jener geistigen Schlagfertigkeit, der die vollendete militärische Organisation Preußens entstammt, und dem diesen Pflicht- und Ehrgefühl, in welchem der gewaltige moralische Halt und das Geheimniß der Sieghaftigkeit seiner Armee sich enthüllt.

Mit dem Geschäftsbureau steht das Arbeitszimmer der Spitzen des Generalstabes des Obercommandos in Verbindung. Hier ist der Sitz der intellectuellen und geschäftlichen Oberleitung, hier gehen alle Befehle von dem großen Generalstabe, und alle Meldungen von den Armeecorps ein, von hier aus beobachtet man die Bewegungen des Feindes, und hier werden denselben entsprechend die Operationen gegen den Feind entworfen, von hier aus geht der Vormarsch und die Aufstellung der Armee vor sich, von hier aus kommen alle Befehle und Anordnungen für die strategischen Operationen für das Verpflegungs- und Sanitätswesen, und werden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_556.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)