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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

O Straßburg, o Straßburg,
Du wunderschöne Stadt !

Sendschreiben an meinen Sohn, den preußischen Landwehrmann.
(Schluß.)

Ludwig hatte erklärt, er werde Straßburg mit Gewalt der Waffen zwingen, und dem Kaiser Leopold saßen die Türken und die rebellischen Ungarn auf dem Halse. Das System, welches diesem Kaiser die Jesuiten angerathen hatten, und das er, stupid wie er war, treulich befolgte, rächte sich an ihm. Der Franzose gewann im Westen freie Hand. Frischmann schmiedete Ränke; der Stadtrichter Johann Georg von Zedlitz war mit ihm im geheimen Einvernehmen; er wird in einem Briefe an Ludwig als „Wohlgesinnter“, d. h. für die französischen Absichten brauchbarer Mann geschildert, welcher bedauere, daß die Stadt so unglücklich gewesen sei, sich eine Minderung in Seiner Majestät Huld und Gnade zugezogen zu haben. Diese Besorgniß habe er mit tiefer Unterthänigkeit und Ehrfurcht für Seine Majestät begleitet. Zedlitz sei bereit, mit ihm, Frischmann, in einen angelegentlichern Verkehr zu treten, als die übrigen Mitglieder des Rathes. In einem andern Briefe meldet Frischmann dem Könige, die Rathsherren seien gegeneinander von tödtlichem Haß erfüllt, alle hätten einzeln ihm ihre Dienste angeboten, aus gegenseitiger Eifersucht. Zu diesen Verräthern gehörten, außer dem Stadtrichter von Zedlitz, der Stadtschreiber Güntzer und die Senatoren Obrecht und Stößer. Obrecht war der Verworfenste; er hatte schon früher dem französischen Hofe insgeheim Vorschläge gemacht und hervorgehoben, wie zweckmäßig es sei, wenn derselbe einen königlichen Prätor in Straßburg bestelle, welcher die Aufsicht über das ganze Stadtwesen führe und des Königs Interessen wahrnehme. Der Hof ging darauf ein, und Obrecht, um Prätor zu werden, wurde katholisch. Derselbe König Ludwig, welcher das Edict von Nantes aufhob und die Protestanten durch Dragoner niedersäbeln ließ, arbeitete auch darauf hin, den ganzen Magistrat von Straßburg katholisch zu machen, und auch der Rathsschreiber Christoph Güntzer ließ sich bekehren, nachdem ihm Amt und Gehalt eines königlichen Consulenten zugesichert worden war. Der vierte Verräther, Stößer, galt vor den Leuten für gut deutsch und kaiserlich, und Frischmann war in nicht geringem Maße überrascht, als jener sich erbot, für die französische Sache zu arbeiten. „Ich unterlasse nicht, Herrn Stößer fortwährend zu liebkosen und ihm in der Ferne die Aussicht zu zeigen, wie er sich des Wohlwollens Eurer Majeaät würdig machen könne.“

Also Verrath war in Straßburgs Mauern allerdings; alle Einzelheiten desselben sind uns freilich nicht bekannt geworden, und das liegt in der Beschaffenheit der Sache. Genug, daß die Sache selbst feststeht. In dieselbe spielen mancherlei interessante, geheimnißvolle Dinge hinein, welche erst 1817 an’s Licht kamen und die ich Dir mittheilen will, weil sie zeigen, in welcher Weise man am Hofe Ludwig’s des Vierzehnten intriguirte.

Im Monat August 1870 waren alle Vorbereitungen getroffen, um in den nächsten Wochen den entscheidenden Schlag zu führen. Mordbrenner und Kriegsminister Louvois schrieb an den französischen Intendanten der Provinz Elsaß, La Grange, der in’s Geheimniß gezogen war: Am 10. September würden die Verhaltungsbefehle, über welche er mit ihm (Louvois mit La Grange) in St. Germain persönliche Rücksprache genommen, in der Abtei Lurn (in der Franche Comté, Freigrafschaft Burgund) anlangen. Der Intendant möge dafür sorgen, daß zwei zuverlässige Leute die Ueberbringer in dem Wirthshause neben der Abtei in Empfang nehmen. Diesen solle La Grange einen versiegelten Brief an einen Herrn Mezières geben, in welchem die Worte stehen müßten: „Ich bitte Sie, denen, welche Ihnen diesen Brief überreichen, das Ihnen von Herrn von Louvois anvertraute Paquet einzuhändigen.“ Zugleich solle der Intendant sich nach Belfort begeben und eine Besichtigung der dortigen Festungswerke zum Vorwande nehmen; dort habe er die Rückkunft seiner Leute abzuwarten, die am Hute ein blaues und gelbes Band tragen müßten, damit die von Louvois beauftragten Männer sie sogleich zu erkennen vermöchten.

Diese geheime Geschichte, so viel ist ausgemacht, steht mit dem Raube Straßburgs ebensowohl im Zusammenhange, wie eine andere, die nicht minder mysteriös, aber noch viel spannender ist.

Louvois ließ in Paris einen Herrn von Chamilly zu sich entbieten und gab ihm Verhaltungsbefehle zu einer wichtigen Sendung: „Sie müssen noch heute Abend nach Basel in der Schweiz abreisen und binnen drei Tagen dort angelangt sein. Am vierten Tage Schlag zwei Uhr müssen Sie auf der dortigen Rheinbrücke stehen, Papier, Feder und Tinte bei sich haben, Alles, was um Sie her vorgeht, mit der größten Genauigkeit zwei Stunden lang beobachten und sorgfältig aufschreiben. Schlag vier Uhr nehmen Sie Postpferde, fahren Tag und Nacht und bringen mir Ihre Beobachtungen. Sofort, nachdem Sie hier eingetroffen sind, kommen Sie zu mir, gleichviel, welche Stunde es sein möge.“

Chamilly that, was ihm befohlen war, stand zur anberaumten Zeit auf der Rheinbrücke in Basel und schrieb Alles, was er sah, genau auf. Eine Frau ging mit Marktkörben vorüber, Leute trugen Lasten, Wagen fuhren hin und her und dergleichen mehr. Etwa um drei Uhr blieb mitten auf der Brücke ein Mann stehen, der Hose und Weste von gelber Farbe trug; er trat an die Brüstung der Brücke, lehnte sich hinüber, sah nach dem Rheine hinab, trat dann einen Schritt zurück und pochte mit seinem großen Spazierstocke drei Mal stark auf das Pflaster des Fußweges. Chamilly notirt auch diesen Vorfall, setzt sich um vier Uhr in den Wagen, eilt so rasch als möglich nach Paris und begiebt sich gleich nach seiner Ankunft um Mitternacht zu Louvois, dem er sein Papier überreicht. Der Mordbrenner greift hastig zu, liest von der Marktfrau, dem zerlumpten Bauer, dem Manne zu Pferde im blauen Rocke und dergleichen mehr. Dann, als er bei dem Manne mit der gelben Weste ankommt, springt er vor Freude auf. Sogleich eilt er zu seinem Könige und fertigt, nachdem er mit demselben längere Rücksprache genommen, vier Eilboten ab, die schon bereit gehalten waren. Wenige Tage nachher, an dem unglücklichen 30. September 1681, war Straßburg in französischer Gewalt. Wohl nicht mit Unrecht hat man vermuthet, das dreimalige Pochen mit dem Stocke auf der Baseler Rheinbrücke sei das verabredete Zeichen über das Gelingen des in Straßburg eingeleiteten Verrathes gewesen, und eben so wahrscheinlich hat der Mann in der gelben Weste von dem, was das Aufpochen bedeuten sollte, nichts gewußt.

Schon vorher war der berühmte General und Festungsbaumeister Vauban insgeheim nach dem Elsaß abgegangen. Louvois und Ludwig waren gleichfalls vorbereitet, dorthin zu reisen. Den Auftrag, Straßburg zu nehmen, hatte General Montclar erhalten; ein Heer von fünfunddreißigtausend Mann stand ihm zur Verfügung. Alles war auf einen gewaltigen Schlag vorbereitet; merke aber wohl, wie in dieses nichtswürdige Gewebe auch noch welsche Tücke und Hinterlist hineinspielen. Ludwig ließ, um die Straßburger recht sicher zu machen; durch den Residenten ein sehr verbindlich abgefaßtes Schreiben überreichen, in welchem er der Stadt seine ganz besondere Huld und Zuneigung ausdrückte. Unmittelbar nachher, mitten im Frieden, ohne irgend eine vorhergegangene Erklärung, am 27. September, überrumpelten französische Dragoner bei nächtlicher Weile die Zollschanze bei Straßburg, und damit begann die Ausführung des lang gehegten Planes.

So standen heuchlerische Versicherungen und Gewaltthaten nebeneinander. Kein Bürger Straßburgs täuschte sich mehr über die Absichten der Franzosen. Vom ehrwürdigen Münster erscholl sofort die Sturmglocke, die Bürger eilten aus dem Bett auf die Wälle, pflanzten noch mehr Geschütze auf und waren zur Vertheidigung entschlossen. Man sandte durch einen Trommelschläger ein Schreiben an den französischen Befehlshaber und fragte, weshalb er den Frieden gebrochen habe. Die Antwort lautete: Seine Majestät habe erfahren, die kaiserlichen Völker wollten die Stadt und den Rheinpaß besetzen, und das könne er nicht zugeben. Uebrigens, fügte er lügenhaft hinzu, werde er die Zollschanze nur ganz kurze Zeit besetzt halten. Als man ihm entgegnete, kaiserliche Truppen seien weit und breit nicht vorhanden und auf fünfzig Stunden im Umkreise kein kaiserlicher Soldat zu sehen, entgegnete er: auf Verhandlungen könne er sich nicht weiter einlassen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_566.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)