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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Graf Ulrich nickte flüchtig lächelnd mit dem Kopfe.

„Ich kann es mir denken,“ sagte er, „daß diese Verpflichtung Sie schwer drückt und daß Sie sich ihrer so rasch wie möglich entledigen möchten! “

„Vielleicht!“ antwortete Melusine kalt. „Aber lassen Sie mich zu Ende reden. Wenn Sie die Schuld, zu der Sie sich bekennen, auf sich geladen haben, so glaube ich, daß Ihre edlere Natur bald genug in Ihnen erwachen und die Strafe über Sie bringen wird, welche immer in dem Bewußtsein unserer Handlungen liegt. Sie haben zu viel auf Ihrer Seele ruhen, als daß die Last nicht übergenug wäre, um auch ein härteres und verwilderteres Gemüth, als, wie ich überzeugt bin, das Ihrige ist, zu Boden zu drücken. Es ist nicht nöthig, daß die äußere Gerechtigkeit das verletzte Gesetz an Ihnen räche, sie würde es ohnehin vielleicht zu strenge, zu unmenschlich –“

„Soll Ihr Dank darin bestehen, daß Sie mir gütigst die Todesstrafe schenken und mich nur für ewig zu irgend einer Zwangsarbeit verdammen lassen wollen – Sie, als die souveräne Gerichtsherrin von Maurach?“ unterbrach Ulrich sie mit höhnischer Bitterkeit, die nichts durch die vollkommene Ruhe, womit er sprach, an ihrer Schärfe verlor.

„Nein,“ sagte sie, „diese Macht habe ich nicht. Aber die Macht, die ich habe, werde ich für Sie aufwenden, um Sie zu retten; ich werde Sie in der nächsten Nacht entfliehen lassen.“

„Entfliehen? In der That, der Gedanke ist gut und edel. Sie dürsten nicht nach meinem Blute, es reicht für Sie hin, wenn ich fort – beseitigt bin, und niemals zurückkehren kann!“

„Was wollen Sie mit diesen Worten andeuten?“

„Daß ich die Absicht Ihres Dankes durchschaue!“

„Und was ist die Absicht – ich bitte, mir das offener zu sagen,“ versetzte sie kalt und stolz.

„Das – bedarf es nicht. Sie verstehen mich!“

„Ich will Sie nicht verstehen, wenn Sie mir eine berechnete Schlechtigkeit zutrauen. – Wollen Sie mein Anerbieten annehmen?“

„Würden Sie es annehmen in meiner Lage?“

„Kenn’ ich Ihre Lage?“

„Ob Sie meine Lage kennen? Ich meine doch. Sie ist, scheint mir, leicht zu begreifen. Ich bin ein Mörder, bin geständig, und ‚Jedermanns Hand ist wider mich!‘“

Melusine schwieg eine Weile.

„Vielleicht wäre das letztere nicht so der Fall,“ sagte sie dann, mit einem plötzlichen Ausbruch zornigen Aufwallens, „wenn nicht eben Sie selbst Jedermanns Hand wider sich aufbrächten!“

„Und was könnte ich thun, sie zu entwaffnen? Zum Beispiel die Ihre? Wenn ich mich von Ihnen bereden ließe, zu entfliehen, genügte das vielleicht?“

„Um Sie dazu zu bereden, kam ich nicht.“

„Was kann ich sonst thun?“

„Sie …“ Melusine bedurfte offenbar einer Anstrengung über sich selbst, den innern Zorn in sich zu beschwichtigen, bevor sie fortfuhr: „Sie könnten sich herablassen, zu reden – Aufschlüsse zu geben, anzugeben, wie es geschah, daß Sie die That begingen, von der Sie so lakonisch und so starrsinnig einräumten, daß Sie sie begangen …“

„Da Sie so sicher wissen, daß ich sie beging, was kommt es für Sie darauf an, zu hören, wie ich sie beging?“

„Freilich,“ erwiderte sie zornig die Lippen beißend. „Was verschlägt es Ihnen, wie ich über Ihre That denke, ob ich sie in ihrem schlimmsten oder in einem besseren Lichte, wo sie entschuldbarer wird, sehe …“

Ulrich lachte bitter auf.

„Sie verlangen wohl meine Demüthigung bis hinab zu Entschuldigungen, zu Lügen, welche mich weniger schuldig scheinen lassen sollen und welche Sie dann den Triumph hätten, zu meiner Beschämung aufdecken zu können …“

„Nein, nein,“ rief Melusine vollständig in Leidenschaft gerathend über diese Bitterkeit, die für das, was sie in ihrem innersten Herzen trug, so furchtbar verwundend und verletzend war, „nein, nein – o mein Gott,“ rief sie und dabei erhoben sich ihre Hände, ihre Augen flammten, ihr Fuß stampfte auf den Boden, „ist es denn gar nicht möglich, Ihren starren, bösen Sinn zu brechen? – Ich, ich sollte Lügen von Ihnen verlangen, und jede Fiber in mir ist ja nur darüber empört, daß Sie lügen, daß Sie die Wahrheit nicht sprechen, daß Sie mit diesem abscheulichen Hohn auf jede Anstrengung antworten, die ich mache, Ihnen ein Wort der Wahrheit zu entreißen!“

Sie sank, in heftige Thränen, in Thränen des Zorns und der Verzweiflung ausbrechend, auf einen Stuhl nieder.

Graf Ulrich sah sie von diesem Ausbruch der Leidenschaft höchst betroffen an. Dann sagte er, völlig ruhig bleibend:

„Sag’ ich denn nicht die Wahrheit? Räume ich nicht jede ein, welche Die, welche mich für schuldig halten, und darunter Sie vor Allen, von mir hören wollen?“

„Nein, nein, Sie lügen, was Sie einräumen, und ich will nun einmal, daß Sie es gestehen – daß Alles, Alles ganz anders liegt, als man glaubt, ich will, daß Sie mir es erklären, daß Sie mir wenigstens sagen, wo Sie die Nacht hindurch waren …“

„Sie halten mich also nicht für den Mörder?“ rief Ulrich auffahrend aus.

„Nun, mein Gott, deutlicher kann ich es Ihnen doch nicht sagen, daß ich bereit bin, es nicht zu thun, wenn Sie nur den Mund öffnen und mir die Wahrheit sagen wollen!“

„Eben verlangten Sie noch von mir, daß ich lügen solle?“

„Lüge oder Wahrheit, ich verlange nur von Ihnen, daß Sie sprechen und aufhören, mir so verachtungsvoll zu zeigen, wie grenzenlos gleichgültig es Ihnen ist, ob ich Sie für den Mörder halte oder nicht.“

Graf Ulrich stand auf. Er ging, die Hände auf dem Rücken, einige Male auf und ab – er schien erschüttert in seinem hochmüthigen Trotz und auch nicht mehr besorgt, dies vor Melusine zu verrathen, er schien mit sich zu kämpfen, und doch nicht über sich gewinnen zu können, zu reden!

„Ich weiß,“ sagte er endlich, „die Umstände sind gegen mich, alle insgesammt. Die arme Dame im Thurme drüben ist ermordet. Es geschah in dieser Nacht. Wo war ich in dieser Nacht – ich kann darüber nicht Rechenschaft geben. Die Ermordete stand zwischen mir und diesem Besitze, den ich widerrechtlich vorschnell an mich gerissen habe. Wer anders soll sie ermordet haben, als ich? Wenn ich sage: ich habe sie nicht ermordet; ich habe am gestrigen Tage friedlich mit ihr verhandelt; sie hat mir gestanden, daß sie Ernestine Maurach sei; daß sie als junges Mädchen von einem Menschen, der ihr Unterricht in der Musik gegeben, sich entführen lassen; daß sie eine Zeitlang sein wechselvolles Abenteurerleben getheilt; daß sie jedoch bald seinen harten, herzlosen Charakter erkannt und die Ueberzeugung fassen müssen, er habe ihr Liebe geheuchelt und ihr Herz auf das Schnödeste betrogen, und ihren Besitz nur gesucht um ihrer Erbansprüche willen; daß sie den rohesten Mißhandlungen von ihm ausgesetzt gewesen, und daß sie, endlich zum Aeußersten gebracht, geschworen, sich an ihm dadurch zu rächen, daß sie ihn niemals seine Absicht, sich Maurachs zu bemächtigen, erreichen lasse – wenn ich das Alles erzähle, wird irgend eine Menschenseele einen so schlecht erfundenen Roman glauben? Wird man glauben, daß ich dieser Frau, die hier unter einem falschen Namen bei ihrem Verwandten, dem Grafen Walram, Schutz gegen die Verfolgung ihres Mannes gesucht, zugeredet, umsonst zugeredet, einen solchen thörichten Plan der Rache aufzugeben, mit ihren Ansprüchen hervorzutreten, Maurach, wie sie es schon ihres Kindes willen müsse, an sich zu nehmen und ihren Mann mit einer Theilung abzukaufen, die er sich ja werde gefallen lassen? Wird irgend Jemand mir so viel Uneigennützigkeit zutrauen? Sind nicht, um mich völlig zu zerschmettern, jene Documente in meiner Cassette gefunden, welche der Ermordeten und ihres Mannes Rechte beurkunden, von denen für sie Alles abhing?“

Er schritt ein paar Mal heftig im Zimmer auf und ab, dann wieder vor Melusine stehen bleibend, fuhr er fort:

„Wird man mir glauben können, wenn ich sage: diese Documente hat mir gestern die Ermordete vertrauensvoll übergeben, daß ich sie hüte und ihr aufbewahre – erschrocken, wie sie war, durch das Auftauchen dieses Mannes und bangend vor einer Gewaltthätigkeit, die er begehen könne, um sie ihr zu entwinden, sie zur Herausgabe zu zwingen? Nein, nein, Niemand wird und kann an dies Alles glauben und deshalb war ich ein verrückter Thor, daß ich so grenzenlos empört war, daß … daß … nun, daß Sie wenigstens nicht klüger waren, nicht besser als die Anderen, die verdammten und verurtheilten, ohne zu fragen und zu untersuchen! Sie – weshalb sollten Sie klüger sein? Und hatte ich es um Sie verdient? Nun ja, vielleicht – mehr als Sie denken! Aber Sie konnten es nicht

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