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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

da athmeten wir wieder etwas leichter, denn wir wußten ja, daß nach ausgesprochener Mobilmachung des Heeres noch mehr hinter diesen stehen würden.

Die Infanterie und Cavallerie stellten überall ihre Vorposten auf, in und außerhalb der Stadt, und für die wackeren Truppen begann ein schwerer und gefährlicher Dienst. Ihnen war die ehrenvolle Rolle geworden, in dem heiligen Kriege des zum ersten Male vereint kämpfenden deutschen Volkes den Reigen zu eröffnen. Spichern und seine Höhen, die „goldene Bremm“ und die ganze weite Umgegend über die preußische Grenze hinaus waren mit Feindestruppen aller Waffengattungen besetzt, und von einer eine Viertelstunde von hier gelegenen Hochebene, der sogenannten „Bellevue“, konnte man mit unbewaffnetem Auge ganz deutlich die Bewegungen und Zelte der Infanterie und das beständige Kreisreiten eines links dem Wege nach Forbach zu, am Fuße des Spicherer Berges aufgestellten Vorpostens der französischen Chasseurs à Cheval wahrnehmen. Nach und nach wurden die Vorpostenplänkeleien immer häufiger und ernster; als aber die Franzosen auf das preußische Grenzzollhaus zur Vollster Höhe eindrangen, die beiden Zollwächter mit sich fortschleppten, nebst dem kleinen Cassenbestand, da ließen sich unsere wackeren rheinischen Jungen auch nicht mehr halten. Ihre verdoppelten Anstrengungen machten sich sehr bald bemerkbar: gefangene Franzosen wurden eingebracht, und der Jubel war groß, als der Füsilier Krause vom vierzigsten Regiment den ersten Todten auf die französische Verlustliste besorgte. Dem ersten Gefangenen und dem ersten Todten, ach, wie viele Tausende schon sind ihnen bis heute nachgefolgt!

So ging es fort bis zum Morgen des zweiten August, und auch auf preußischer Seite gab es einige Verwundete und einen Todten. Der Letztere gehörte dem siebenten Ulanenregimente an und war ein Hohenzoller, der erst sechs Monate im Heere stand und zum ersten Male vor den Feind kam, eine Gunst, die er sich von seinem Rittmeister, Herrn von Luck, erbeten hatte. Kaum in die Vorpostenkette eingeritten, traf ihn auch schon die feindliche Chassepotkugel, und der blühende Jüngling mußte es erfahren, was das Lied:

„Gestern noch auf stolzen Rossen,
Heute durch die Brust geschossen,
Morgen in das kühle Grab.“

sagen will. Wohl ihm, dem ersten Opfer unseres heiligen Krieges; er hat den Schmerz nicht erlebt, so viele Tausend Herzen brechen, so viele Tausend edle Menschengestalten zerfetzt und verkrüppelt zu sehen!

Am zweiten August kamen die ersten zwei Geschütze hier an, von der Bevölkerung mit Jubel begrüßt. In einer Mulde des Rastpfuhler Waldes hatten gleichfalls noch das erste und das dritte Bataillon der Vierziger das Bivouac bezogen, und dieses zu besuchen hatten viele Einwohner schon am frühen Morgen des genannten Tages die Stadt verlassen, nicht ahnend, daß bei ihrer Rückkehr wälsche Gäste sich bei uns zu Gast geladen hätten.

Es war gegen zehn Uhr. Major, jetzt Oberstlieutenant, Pessel hatte als Commandeur sein Hauptquartier im Gasthof zur „Post“ aufgeschlagen, Ordonnanz um Ordonnanz kam hereingesprengt; das Gewehrfeuer ward immer heftiger, es kam immer näher, und nur zu bald erfuhren wir, daß der Feind große Streitkräfte entwickele, dreißig Mal unsern braven Truppen überlegen, und daß er Miene mache, ernstlich hervorzubrechen. Um zwölf Uhr rückte das Vorposten- und Tirailleurgefecht immer näher der Stadt, massenhaft pfiffen die Feindeskugeln über deren Häuser und bald hatten die Straßen das Aussehen, als hätte ein fleißiger Ziegeldecker auf den Dächern gehaust. Die Mitrailleuse fängt an zu pfeifen, der Donner der Kanonen dröhnt zwischendrein, und die ziel- und zwecklos vom Feinde geworfenen Granaten lassen ihre unheimliche Musik hören, daß uns anfänglich ganz sonderbar zu Muth ward. Frauen und Kinder flüchteten ängstlich in die Kellerräume; ein Theil der jüngeren männlichen Jugend aber eilte mit den Schützen der heldenmüthigen Vierziger bis vor in die gefährlichsten Stellungen und sorgte, daß die Tapferen in ihrer heißen Arbeit keinen Durst litten.

Indeß auch die bewunderungswürdigste Tapferkeit konnte nicht abwenden, daß der immer massenhafter hervorbrechende Feind Terrain um Terrain gewann; doch jeder Fuß deutscher Erde ist mit Franzosenblut bezahlt worden. Ich kann es bezeugen. Nachdem schon längst die Füsiliere sich nach St. Johann zurückgezogen hatten, um von hier aus gegen die Saarbrücker Höhen und gegen die vom Triller und Winterberg herabsteigenden Franzosen ein lebhaftes Feuer zu unterhalten, sah ich noch vier wackere Füsiliere, welche vorsichtig auf dem Saarquai und Canalleinpfade vorgingen und sich auf Saarbrücker Seite der alten Brücke näherten. Einer der Unerschrockenen wollte schießen.

„Schieß’ noch nicht, ’s ist zu früh,“ rief ihm ein älterer Camerad zu, „ich will mir erst die Cigarre wieder anbrennen.“

Und unter dem dicksten Regen von Chassepotkugeln reibt er ein Streichhölzchen an, hält es kaltblütig an die Cigarre und dann – geht es weiter, und noch mancher Franzose fiel den Kernschüssen seiner Zündnadel zum Opfer.

Gegen vier Uhr ward das Feuer allmählich schwächer, und als endlich von St. Johann aus das Signal „Schütze zurück!“ auch die Letzten aus dem Kampfe rief, folgten viele nur auf dringendes Bitten der Bürger und dann mit Thränen in den Augen.

„Ich hätte auch nicht mehr gekonnt; meine achtzig Patronen hat der Teufel und dieser hat mit ihnen die Franzosen geholt,“ sprach Einer zu mir und ging müde, die Büchse über die Schulter geworfen, hinüber auf das rechte Ufer der Saar und dann weiter in’s Land hinein, wo schon eine Masse von Truppen Bivouacs aufgeschlagen hatten. Noch folgten die traurigen Blicke der Saarbrücker dem Scheidenden, da zeigten sich schon die Franzosen in allen Hauptstraßen der Stadt, Infanterie, auch vom vierzigsten Regiment, Jäger zu Fuß, Zweiundsiebenziger und Soldaten verschiedener anderer Nummern.

Ihr Erstes war, in die Metzger- und Bäckerläden zu gehen um sich für Geld und auch für nichts Nahrung zu kaufen; ach, sie sahen nicht nur sehr schmutzig, nein, auch verhungert und verkümmert aus, diese häßlichen Gestalten, deren widerwärtigen Anblick wir drei Tage lang zu ertragen hatten. Bald kamen sie mit alten Kannen und sonstigen Gefäßen herbei und holten Wein oder Bier, was sie eben bekommen konnte; einen der Söhne der großen Nation sah ich, wie er ganz harmlos einige Flaschen Blittersdorfer mit einigen Flaschen Bier zusammen in die große Kanne fließen ließ und fröhlich schnalzend davonhüpfte. Andere der Napoleonischen Civilisationsarmee trugen ganze Brode auf den Bajonnetspitzen und hatten sich mit Wurstkränzen behangen wie die Indianer mit Muschelketten. Um das Bild vollkommen zu machen, hätte einem Jeden nur noch ein Ring durch die Nase gehört. Sie hatten vielleicht seit vierzehn Tagen zum ersten Male Gelegenheit sich wieder zu sättigen; denn als sie Abends hinauf auf den „Triller“ und „Exercierplatz“ zogen, wo sie in Zelten bivouakirten, geschah es mit vieler Munterkeit und unter Absingen der Marseillaise.

Wie sich die „Sieger“ betragen haben? Im Allgemeinen gut, daß aber viel Gesindel unter der „ersten Armee der Welt“ ist, können selbst die französischen Officiere nicht leugnen. Einem hiesigen Brauer stahlen und zerstörten sie ein Eigenthum von mehr als zweitausend Thalern; desgleichen einem Brauer in Arnuel; daß sie schutzlosen Frauen Broschen und Ringe, Portemonnaies vom Körper stahlen, ist auch nicht ritterlich, obwohl Bazaine und Graf Palikao nicht viel dagegen sagen können, denn – böse Beispiele verderben gute Sitte! Aber auch tapfer haben sie sich nicht erwiesen und heute noch lacht Alles, wenn des Braunschweiger Husaren gedacht wird, dem es offenbar nicht gefallen hat, daß die deutschen Patrouillen jedesmal nur bis auf die Hälfte der Saarbrücke vorgingen und sich dann wieder langsam auf das rechte Saarufer zurückzogen. Das war am 4. August. In gestrecktem Galopp reitet er deshalb über die Brücke nach Saarbrücken bis in die Gegend der Schloßkirche, schießt hier seinen Karabiner auf eine von einem Officier befehligte französische Truppe ab, wendet sich dann nach der Neugasse zu, schießt mit der schnell geladenen Waffe auch hier auf einige Franzosen und macht dann Kehrt, um über die Brücke zurückzusprengen. Vor derselben hat er das Unglück zu stürzen und kommt unter sein Pferd zu liegen; einige Männer helfen ihm hervor, er dankt ihnen ruhig, streichelt sein gutes Roß, führt es bis an die Brücke, dann hinauf und heida! über dieselbe, verfolgt von Hunderten von Kugeln der auf den Höhen stehenden Vorpostenkette. Von den in den Straßen befindlichen Franzosen hatte keiner die Geistesgegenwart, den Kühnen zu verfolgen; im Gegentheil, der Officier rief: „Sauve qui peut!“ und es war eine wahre Freude, zu sehen, wie die weißen Schöße auf den Hintersitz der rothen Hosen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_586.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)