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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

auch diese Hügel wieder einsinken; schon heute nennt uns kein Kreuz, kein Stein die Namen der stillen Schläfer in kühler Erde, bis auch an ihnen das Wort sich erfüllt:

„Der Pflüger pflügt darüber
Und fragt nicht nach dem Grab,
Der Wandrer zieht vorüber,
Schaut nicht auf Euch hinab.“

Der Nachmittag ward einem Gange nach dem Geisberge gewidmet, der im Süden der Stadt sich erhebt. Wir stehen hier auf einem Boden, den schon oft das Blut der Deutschen und Franzosen gefärbt hat. Mit einem kleinen Fort auf dem Geisberge begannen die berühmten Weißenburger Linien, die der Marschall Villars 1704 während des spanischen Erbfolgekrieges errichten ließ, und die mit ihren Wallaufwürfen und Verhauen bis zum Rhein sich erstrecken. Am 18. October 1798 wurden dieselben von den Kaiserlichen unter Feldmarschall Wurmser erstürmt, der greise General führte selbst die vereinigten Armeecorps zum Sturme gegen die Redouten des Geisberges.

Anfangs führt die Heerstraße durch üppige Pflanzungen hindurch, weiterhin war der weite Plan zertreten und zerstampft von Rosseshufen. Immer klarer ward’s uns, welche Todesverachtung, welch’ ausdauernder Muth allein im Stande waren, diese Höhen mit stürmender Hand zu nehmen, von welchen die französischen Batterieen aus die jeder Deckung entbehrenden Angreifer Vernichtung herabschleuderten. Wir verließen bald die Landstraße und nahmen ein Pappelwäldchen auf den Höhen zur Richtung, das man uns als den Lagerplatz der Turcos bezeichnet hatte. An einem Judenkirchhof mit düsteren Grabsteinen vorüber klommen wir einen öden Bergrücken empor, aus dessen Gestein nur da und dort die Reseda lutea in Prachtexemplaren sich erhob. In der Nähe der Pappeln begann ein weißer Streif von Patronenhülsen durch die grünen Kleeäcker sich zu winden, stumme Zeugen des Kampfes, der hier gewüthet, für uns ein Wegweiser, dessen Spuren uns nach dem Hofe Schafbusch führten. Zahlreiche Tornister, Helme, Patrontaschen, von welchen das Gehöfte umsäumt war, ließen auf die beispiellose Hartnäckigkeit schließen, mit der man sich hier geschlagen hatte. Im Garten, neben einem grünenden Hag, erhebt sich ein einsamer Grabhügel. Hier schläft in seinen Heldenehren, wie die Inschrift des schlichten Holzkreuzes kündet, „Major Freiherr Senfft-Pilsach vom ersten schlesischen Dragonerregiment.“ Tiefbewegt blickte ich auf den stillen Hügel des tapfern Kriegers, während aus Schenkendorf’s tiefgefühltem Liede mir’s am Ohre des Geistes vorüberrauschte:

„Das ist rechtes Glühen,
Frisch und rosenroth;
Heldenwangen blühen
Schöner auf im Tod.“

Wir betraten das Haus, das von Mennoniten bewohnt wird. Während die junge blühende Hausfrau, die mit ihren blauen Augen und blonden Haarflechten sofort die deutsche Abkunft verrieth, mit köstlicher Milch uns erquickte, erzählte der Patriarch der Familie, ein ehrwürdiger Greis, wie der General Douay todt und blutbedeckt in dies Zimmer gebracht wurde. Drüben neben den drei Pappeln, von wo er die Schlacht leitete, sei er gefallen. Die Wände der Stube zeigten tiefe Kugelspuren, durch die halbgeöffnete Thür des Nebenzimmers fiel mir ein Bild harmlosen Friedens in’s Auge, ein schlummernder Säugling. Bekanntlich wurde dem General Douay von einer Kugel aus einer baierischen Batterie der Schenkel zerschmettert, worauf augenblicklich der Tod erfolgte. In Weißenburg ging die Sage, er habe sich selbst getödtet, als er sah, daß Alles verloren sei.

Endlich stehen wir vor dem Gehöfte des Geisbergs. Ein alter herrschaftlicher Sitz, das Hauptgebäude stattlich und imposant, doch im monströs-phantastischen Barockstyl des vorigen Jahrhunderts. Das ganze Hofgut, von einer hohen Mauer umgeben, gewährt einen festungsartigen Anblick und mancher Preuße mußte hier sein Blut verspritzen, bis die schwarzweiße Fahne auf die Zinne gepflanzt werden konnte. Ich habe nie ein ergreifenderes Bild der Zerstörung gesehen. Das hohe Dach zertrümmert und brandgeschwärzt, die zierlichen Fenstergesimse zerbröckelt, das schöne Treppengeländer wie weggefegt, im Innern das reiche Wandgetäfel von Kugeln zerfetzt, die alterthümlichen Kamine zusammen gebrochen, die Mosaikböden der Zimmer von Trümmerhaufen verschüttet! Neben dem Hofe, in einem Obstgarten, ruhen gegen hundert deutsche Krieger in Einem großen Grabe aus von ihrer Todeswunde, ungenannt und ungekannt, wie tapfer sie auch gekämpft, aber werth, daß auch ihre Namen mit goldenen Lettern geschrieben stünden in den Herzen des dankbaren Volkes. Aber auch ihnen blühen mit jedem neuen Lenz die Blumen, auch über ihnen spannt sich der blaue Himmel und leuchten die goldenen Sterne.

Auf der andern Seite des Hofes hatte der Tod unter dem fünfzigsten französischen Infanterieregimente eine reiche Ernte gehalten. Ich habe nicht versäumt, unter den zahlreich umherliegenden Briefen eine Anzahl aufzulesen. Es ist mir aufgefallen, daß in keinem derselben eine Stelle vorkommt, die über die politische und nationale Bedeutung dieses blutigen Völkerduells sich verbreitete. Nirgends eine Spur von jener Begeisterung, die das Leben an eine große Idee setzt: der Imperator, der Erbe Napoleonischen Glanzes und Ruhmes, hatte sie gerufen, und in stummem Gehorsam waren sie gefolgt. Rührend ist der Brief einer Officiersfrau an ihren „cher et tendre époux“ , der mit den Worten schließt: „Adieu, mon cher époux, je t’aime et je t’adore et je t’embrasse de tout mon coeur.“ Die Hoffnung, welcher die Aermste sich hingab, ist hier auf Erden nicht erfüllt worden: „il faut espérer qu’avant qu’il soit longtemps il (Dieu) nous réunira ensemble, où nous serons en joie comme nous somme maintenant en tristesse.“ Mag ihr die ewige Liebe Wort halten dort hinter den Sternen!

Die Gipfel der Vogesen glühten im letzten Strahl der Sonne, als wir in’s Lauterthal wieder hinabstiegen; vor den Thoren der Stadt flackerten lustig die Feuer, an welchen die Soldaten ihr frugales Mahl sich bereiteten. Eben als wir in unsern Gasthof eintreten wollten, drang gedämpfter Trommelklang an unser Ohr: die Leiche eines preußischen Hauptmanns ward zu Grabe getragen, der seinen Wunden erlegen war; Helm, Schwert und Lorbeerkranz schmückten den Sarg, den vier Unterofficiere trugen; bayerische Krieger geleiteten die sterblichen Reste des geschiedenen Waffenbruders und gaben ihm den Feuergruß in die erkämpfte Gruft.

Am nächsten Tage bot sich uns eine günstige Gelegenheit, mit einem Bahnzug, der schweres Belagerungsgeschütz vor die Mauern Straßburgs führte, nach Sulz zu gelangen. Von Sulz nach Wörth dehnen sich die letzten Ausläufer der Vogesen. Bei Weißenburg im tief sich öffnenden Thal der Lauter thut die Pforte nach dem Elsaß sich auf; bei dem Liebfrauenberg treten die Vogesen weiter zurück, und es erweitert sich hier die wellenförmige Ebene, auf der die Landstraße nach Wörth allmählich emporsteigt. In sämmtlichen Dörfern, durch die wir wanderten, zahlreiche Lazarethe. Da und dort auf den sanft abfallenden Hügeln verlassene Lagerplätze. Ein einsames Grab neben der Heerstraße, von einem alten Nußbaum überschattet, trägt auf seinem Kreuz die Inschrift: „Siebente Compagnie des achtundfünfzigsten Regiments. Unterofficier Hinkel.“ Bei dem Dorfe Dieffenbach erreicht der Weg seine höchste Steigung, wir stehen unwillkürlich still, denn vor uns liegt die blutgetränkte Wahlstatt, auf der unsere tapferen Legionen ausruhten nach fünfzehnstündigem heißen Ringen.

Langsam senkt der Weg sich hinab. Wir stehen vor Wörth. Die Sauer und die Sulz umschließen das Städtchen und bilden gleichsam eine Insel (Wörd); daher sein Name. Rechts am Ort der Kirchhof, von einer starken Mauer umgeben, steckenweise von Kugeln zertrümmert; vor demselben ein Wall von Tornistern und Helmen. Wir betreten den innern Raum. An der Mauer neben dem Eingang ein großes Grab, in welchem die Opfer ruhen, die in den Lazarethen ihren Wunden erlegen; daneben einzelne Hügel voll Officieren. Wir notirten die Namen der Lieutenants Hengo und Post vom sechsten Infanterieregiment. Auf einem andern Kreuze, das aus Brettchen zusammengenagelt war, auf denen noch der Gepäckschein klebte „von Coblenz nach Rastatt“, stand: „Hier ruht in Gott unser Mitbruder A. W. Werner. Vierte Compagnie des sechsundvierzigsten Infanterieregiments. Friede seiner Asche.“ Auf einem Blechschild: „G. Pfeffer, Lieutenant im siebenunddreißigsten Infanterieregiment. Rupprecht vom westpreußischen Grenadierregiment Nr. 6. Lieutenant Tabor. v. Bomsdorf. “ Links von dem Orte steigen jene Weinberge hinan, in welchen die Zuaven und Turcos sich festgesetzt hatten. Dreimal stürmten hier die Unsrigen ohne alle Deckung unter dem heftigsten Kugelregen, nachdem sie zuvor die angeschwollene Sauer durchwatet. Im Hofe des Schulhauses lagen die erbeuteten Waffen hoch angehäuft,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_595.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)