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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


eines Schlosses steht. Das Städtchen wimmelte von Soldaten, und ich fand mit Mühe ein Bett in einem kleinen Zimmerchen, in welchem bereits zwei Ordonnanzen (in einem Bette) und ein Courier aus Berlin schliefen, welchen sich General Sheridan mitgenommen hatte. Der tüchtige amerikanische General befindet sich nämlich beim Heere, er war aber nach der Front zu vorgegangen, und ich bekam ihn nicht zu sehen. –

Die Krankheit meines Pferdes quälte mich sehr, denn sie machte es mir absolut unmöglich, schnell vorwärts zu kommen. Hätte ich Geld genug gehabt, würde ich in Pont à Mousson augenblicklich eines gekauft und von verwundeten Officieren, oder sonst, wohlfeil bekommen haben; allein von dem Gelde, welches mir von Postamt zu Postamt nachlief, war noch nichts in meine Hände gekommen, und wo neues hernehmen, wenn ich mich ausgab, war mir gänzlich unerfindlich. In der allerschlechtesten Laune, geradezu unglücklich, mußte ich am Achtzehnten herumbummeln. Endlich gelang es mir, die Bekanntschaft eines Intendanturraths zu machen, der einen Wagen und Platz darin hatte und so liebenswürdig war, mir denselben anzubieten. Er wollte nach Buxières, wohin eine Anzahl von Proviantcolonnen beordert waren. Da er aber erst um sieben Uhr fortwollte, so zog ich das Anerbieten eines andern Herrn derselben Classe vor, welcher eine Stunde früher aufbrechen wollte und dem noch ein Wagen folgte. Dieser letztere gehörte einem jungen Feldprediger, der im Verkehr mit der Welt (er war lange Hauslehrer gewesen) die praktische Weisheit ergründet hatte, daß Jeder sich selbst der Nächste ist. –

Nach vielen Irrfahrten mancherlei Art kamen wir endlich in Buxières an, wo wir die dorthin bestellten Colonnen auf dem Felde fanden. Der Ort zeichnet sich durch eine sehr schöne große Besitzung aus, welche die Farm St. Marie des Baraques heißt. Auf den zierlichen aber ganz unnützen Eingangsthürmen liest man Namen der Farm und Namen des Baumeisters. In der Mitte des Gebäudes steht eine Statue der Jungfrau mit der Inschrift: „Ave Stella Matutina“. Der Besitzer dieser Farm mißbrauchte die aufgezogene neutrale Johanniterfahne, um den Franzosen die Bewegungen unserer Truppen zu verrathen. Auf der That ergriffen erschoß er einen Major und wurde aufgehängt. Seine Farm wurde ausgeplündert, und was nicht fortgebracht werden konnte, wurde zerschlagen.

Ein gefälliger, aber sattelscheuer Mehlwurm – ich meine Verpflegungsmensch mit gelbem Vorstoß an der Uniform und goldenem Portepee – lieh mir ein Pferd und ich besuchte das Schlachtfeld vom 16., welches zwischen den Orten Thionville, Mars la Tour und Gorze lag. Die Gegend bei Gorze ist sehr schön, allein das Terrain ist für militärische Operationen außerordentlich schwierig. Die Hügel sind dort steil und überall ziehen sich dichte Buchwaldungen hin. Auf dem Wege von Gorze nach Rézonville, welches an der Straße von Metz nach Verdun liegt, ist jedoch eine Art Plateau, von dem die Abhänge in breiteren Flächen abfallen. Die Franzosen versuchten es hier, durchzubrechen, um die obengenannte Straße zu erreichen, wie ich mir denke um nach Chalons zu eilen und sich dem rasch vordringenden Kronprinzen in den Weg zu werfen. Die am Angriffspunkt befindlichen Truppen waren schwach, allein das brave elfte Regiment eilte zu Hülfe und focht hier mit einem – ich kann nicht sagen beispiellosen Heldenmuth, da derselbe von deutscher Seite überall gleich war, aber mit solcher Energie und Wirksamkeit, daß der Fortschritt des Feindes gehemmt wurde, bis weitere Hülfe herankam. Von den dreitausend Helden dieses Regimentes blieben nur tausend übrig; vierundvierzig Offiziere waren kampfunfähig, unter ihnen der Oberst v. Schöning, der Oberstlieutenant v. Klein und der Major v. Ising, die indessen nur zum Theil schwer verwundet wurden. Auch das sechsundfünfzigste Regiment hat viel gelitten. An diesem Wege nach Rézonville lagen die braven Elfer in schauerlichen Massen, gegen welche an dieser Stelle die Zahl der gedeckt aufgestellten Franzosen gering erschien. Man sah nichts als Nadelflinten und Helme auf dem Boden. Das Feuer war hier ganz entsetzlich und kam aus den Wäldern, wo man den Feind nicht sehen konnte. General v. Blumenthal, der sich rücksichtslos aussetzte, verlor drei Pferde unter dem Leibe, ohne selbst verwundet zu werden. – Die beiden Garde-Dragonerregimenter versuchten eine Charge; allein sie mußten erkennen, daß die Zeit der Cavallerie vorüber ist; gegen die Chassepots können sie nicht aufkommen. Diese beiden Regimenter verloren so viele Leute und Pferde, daß aus ihnen ein Regiment gemacht wurde. Unter den todten Offizieren war Rittmeister Prinz Reuß, Graf Westehlen (ich weiß nicht, ob ich den Namen richtig schreibe). Die Zahl der Todten und Verwundeten von unserer Seite beläuft sich auf mehr als viertausend. Alle unsere Soldaten sind darüber einig, daß das Chassepotgewehr besser ist, als das Zündnadelgewehr, und es ist in der That ein Glück, daß die Franzosen es erst so kurze Zeit im Gebrauch haben und noch nicht recht damit umzugehen wissen, und ferner, daß die Preußen mit ihrem Zündnadelgewehr das Mögliche leisten, da sie ruhig zielen und schießen, während es bei den Franzosen Regel ist, so viel Kugeln als möglich über den Feind zu schütten.

Als ich am 22. wieder über das Schlachtfeld kam, waren die Todten vom 16. noch nicht beerdigt, und die Elfer namentlich lagen noch; aber ihre Gesichter waren bereits schwarz.

Es war schon spät, als die Colonne, der ich mich angeschlossen hatte, sich nach Rézonville in Bewegung setzte, und finster, als wir dort ankamen. Der Ort lag voll von Verwundeten von der Schlacht, die am Tage vorher dort stattgefunden hatte und die ich versäumen mußte, weil ich kein Pferd hatte. Man sieht übrigens von einer Schlacht immer nur einzelne Momente und nie genug, um unmittelbar darauf eine getreue Beschreibung zu geben. Der Correspondent, der das unternimmt, ist in den meisten Fällen ein Humbug. Das frische Schlachtfeld dagegen ist wie ein aufgeschlagenes Buch, in welchem man die Geschichte der Schlacht in Leichenschrift lesen kann. Ich habe übrigens keinen Correspondenten irgend eines Blattes am 19. auf dem Schlachtfelde gesehen, mit Ausnahme eines kleinen beweglichen Mannes mit der Johanniterbinde und einem Fernrohr so lang wie er selbst, der etwas Kriegscorrespondenzliches an sich hatte, obwohl nichts Kriegerisches oder Militärisches.

Mit Mühe und Noth fand ich mit mehreren Intendanturbeamten ein Lager aus einer Streu auf einem Kornboden, und ich hörte mit Interesse, daß König Wilhelm die Nacht vorher auf demselben Boden zugebracht hatte, während die Prinzen unten in der Scheune sich aufhielten. Der praktische Feldprediger hatte natürlich sogleich Besitz von der einzigen Matratze genommen, die auf dem Boden lag.

Die Fenster waren zerbrochen und die Thür blieb fortwährend offen stehen, so daß man in der sehr kalten Nacht vor Frost klapperte. Ich fing auch an egoistisch zu werden und hielt eine Tags vorher gekaufte Flasche Wein zärtlich im Arm und trank sie heimlich, denn gestern hatte ich nichts als ein Stück Brod gegessen und in Rézonville war nichts zu haben, weder für Geld noch gute Worte.

Unserem Quartier schrägüber, am Anfange des Dorfes, brannten zwei Häuser im Innern, wo große Kornvorräthe aufgehäuft gewesen waren. An den glühenden Haufen kochten sich die Soldaten Kaffee. – Ringsum, so weit das Auge sehen konnte, campirten deutsche Truppen auf dem Schlachtfelde. Ich lieh mir ein Pferd, um wenigstens den Haupttheil desselben zu bereiten, und brach zu diesem Ende um acht Uhr auf.

(Schluß folgt.)




Im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl.
Von unserem Berichterstatter Georg Horn.
Ein Schlachtentag.
Zweiter Brief.

Ich schreibe Ihnen diesen Bericht aus einem kleinen lothringischen Dorfe Doncourt, zwei Meilen hinter Metz auf dem Plateau zwischen Mosel und Maas. Nach allen Seiten hin, um mit militärischem Kunstausdrucke zu sprechen, coupirtes Terrain, eine Gegend mit scharfen Hebungen und Senkungen, mit Schluchteinschnitten und scharf aufsteigenden Thalrändern, mit Dörfern, kleineren Waldparcellen und weiten Ackerflächen bedeckt und von breiten mit Pappeln bepflanzten Alleen durchschnitten; in der Ferne am Horizonte die blauen Contouren der Ausläufer der Ardennen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_599.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)