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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


– Anna schüttelte sich – „Da ist mir ein blanker Säbel doch noch lieber, der kann tapfer geschwungen werden und tapfer parirt!“

„Du mußt eben einen Officier zum Mann nehmen, wenn Dir die, welche die Wunden schlagen, lieber sind, als die, welche sie heilen!“

„Fredy!“ sagte Anna und legte begeistert ihre Hand auf die seine. „Schilt mir die Soldaten nicht. Es ist etwas Großes, unbekümmert um jede Gefahr täglich bereit zu sein, für sein Vaterland mit Leib und Leben einzustehen. Ihr Alle, die Ihr arbeitet und Euch plagt in sicherem Frieden, Ihr wißt doch wohl nicht, was es heißen mag, hinauszutreten vor tausend eiserne Schlünde, die auf die wehrlose Brust gerichtet sind, und sich selbst zu einem der Steine in dem lebendigen Wall zu machen, der das Vaterland, seinen Stolz, seinen Fleiß und seine Schwachen und Kranken schützt.“

Alfred sah bewundernd auf Anna, wie sie so begeistert vor ihm stand, die langen Binsen wie ein Büschel Speere in der Hand. Sie sah aus wie eine gewappnete Seejungfrau, aus der Tiefe emporgestiegen, um eine feindliche Fregatte zu vernichten. Er vergaß ganz das Weh, das er empfand bei ihren Worten, in dem Entzücken über ihren herrlichen Anblick.

„O Alfred, wenn ich so von einem großen Feldherrn lese, der Millionen von Armen mit seinem gewaltigen Willen anspannt, als wären sie ihm alle an den eigenen Leib gewachsen, dessen Geist solch einen riesigen Heereskörper zusammenschmiedet und lenkt, als wäre es sein eigener Körper, und damit ganze Länder zertrümmert und neu aufbaut, da meine ich doch, Größeres kann’s nicht auf Erden geben als solch einen Mann, und die Frau solch eines Mannes zu sein, sei das höchste Loos, das einem Mädchen werden könnte!“

Alfred machte eine schmerzliche Bewegung.

„Ach,“ fuhr sie fort, „es ist mir einfachem Mädchen sicher nicht beschieden. Ich weiß auch gar nicht, wie ich zu solchen Phantasien komme – ich meine, es ist der Anblick der großen Natur, des weiten Sees, der himmelhohen Berge, der mir das Herz so geweitet hat, daß ich mir auch unter den Menschen nur das Höchste, das Größte denken mag!“

„Anna,“ sagte Alfred, „ich verstehe Dich! Glaub’ mir, ich bewundere nicht weniger als Du die Vereinigung von Muth und Kraft. Aber es kann Kraft geben ohne Muth, wie Muth ohne Kraft; der letztere wird natürlich so lange verkannt, bis es ihm gelingt, sich auf einem Gebiete zu bethätigen, auf dem er die elenden Handlangerdienste der Muskelkräfte nicht bedarf; solch ein Gebiet ist wohl auch der ärztliche Beruf. Aber die Wenigsten denken daran, welch stilles Heldenthum es erfordert, sich täglich, stündlich den Gefahren der Ansteckung, dem Anblick der gräuelvollen Erscheinungen auszusetzen unter denen der menschliche Körper der Vernichtung anheimfällt – und sich dabei sagen zu müssen, daß man aus demselben gebrechlichen Stoffe ist und daß kein Eisenharnisch und kein Schwert die wehrlose Brust vor dem Einathmen tödtlicher Miasmen schützt. Doch ich bin ein Thor! Ich renommire mit Dingen, die Dich anekeln müssen, wie Heine’s poetische Krankenstubenseufzer. Du stehst noch im Stadium des Buches der Lieder und willst keinen Helden sehen, der mit Blutegeln und Kataplasmen kämpft!“

Er schwieg. Der Schmerz übermannte ihn, alle seine Hoffnungen lagen in Trümmern.

(Fortsetzung folgt.)




Im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl.
Von unserem Berichterstatter Georg Horn.
Dritter Brief: Bei Tod und Wunden.
Am Tage der Schlacht von Mars la Tour. – „Son Bismarck“. – In Thiaucourt. – Die ersten Verwundeten. – Barmherzige Schwestern und „die Soldaten des guten Gottes“. – Brunnenvergiftung. – Der Maire in Todesangst. – Im Frieden der Nacht. – Ein Gang auf das Schlachtfeld von Vionville. – Die letzten Augenblicke der Sterbenden. – Die Hyänen des Schlachtfeldes. – Der treue Hund als Leichenwächter.

Als am 16. August, dem Tage von Mars la Tour, der Prinz Friedrich Karl plötzlich Nachmittags halb drei Uhr aus dem Hauptquartier Pont à Mousson aufbrach, um sein Hauptquartier mehr in das Centrum der Armee zu verlegen, ward für die Zurückbleibenden als Bestimmungsort Thiaucourt angegeben. An der Stelle des Prinzen aber schlug König Wilhelm in der reizend gelegenen Moselstadt sein Hauptquartier auf. Als wir zum Thore hinausfuhren, standen die Leute in dichten Massen an den Kreuzungspunkten der Straßen; sie hatten gehört, daß mit dem Könige auch Bismarck komme, und Alle wollten nächst „Roi Guillaume“ „Son Bismarck“ sehen. Vor dem Könige war bereits General von Moltke in Pont à Mousson angekommen; er war mit einem Generalstabsofficier hinaus vor die Stadt gegangen, man hörte Kanonen donnern, und wo Kanonen donnern muß man sich auch den General von Moltke denken; die Leute sahen den langen, hagern Mann wohl, der, die Hände auf den Rücken gelegt, etwas vorgebeugt, mit dem Officier im ruhigen Gespräche dahinging, sie sahen jedenfalls nur die Uniform an, und erkannten an dieser, daß der Mann preußischer General sei, aber er hatte keinen martialischen Henriquatre, überhaupt keinen Bart, nur Gedanken im Gesicht; aber diese Gedanken konnten sie nicht lesen, um durch sie eine Idee davon zu bekommen, daß derselbe Mann für den Augenblick für diesen Tag viel bedeutungsvoller war als Bismarck – ihr Sinn stand darum nur nach dem großen Minister.

Thiaucourt erscheint, mitten in Weinbergen gelegen, wie eine Traube zwischen grünen Blättern. Kein Wald, kein Busch auf dem ganzen Wege von drittehalb Meilen, den wir von Pont à Mousson bis Thiaucourt machen mußten, nur abgeerntete Ackerflächen und weit und breit die Rasenhügel mit ihrem eintönigen Grün. Die Eigenthümlichkeit der Formation des Moselplateaus besteht in dem wellenförmig sich fortsetzenden Terrain, in den weichen, runden Linien der Höhenzüge und in den oft jähen Schluchten, nach denen sie abfallen. So ist die kleine Stadt, welche das Ziel unserer Fahrt vom 16. August war, halb in einer Schlucht, halb an einem steil aufsteigenden Höhenrücken gelegen, der unseren Pferden mit den schweren Gepäckwagen recht schwer wurde. Der Ort besteht in einer einzigen, engen Hauptstraße, ist hübsch gebaut, und der Ruf seines Wohlstandes, der in Pont à Mousson in unsere Ohren drang, wurde durch das Aeußere nicht Lügen gestraft. Das Städtchen ist wegen seines Weines berühmt, aber wir sollten uns seines Genusses nicht erfreuen. Als wir abgestiegen, war das Erste, was wir erfuhren, daß etwa drei Stunden von dem Orte die Schlacht im Gange und daß der erste Verwundete bereits in Thiaucourt angekommen sei. Die Brandenburger hätten, so sagte das Gerücht, auf dem rechten Flügel bereits gesiegt, da sei ein neues französisches Armeecorps angekommen, und gegen diese neue Verstärkung seien dieselben, die bereits seit fünf Stunden im Gefecht standen, zu schwach an Zahl gewesen. Nun aber ist mitten in den Ereignissen, in dem Schlachtendonner stehen lange nicht so aufregend, als sich solchen unbestimmten dumpfen, unheilverkündenden Gerüchten gegenüber zu befinden; sie haben keine greifbare Gestalt, man weiß nicht, woher sie kommen, aber sie sind da und umschwirren Einen wie eine schauerliche Melodie, die man nicht mehr aus dem Sinn bringt, die ferner Einen mit Ungeduld, mit Unruhe und Angst erfüllt.

Zur Vorsorge ließen Graf Theodor zu Stolberg und Graf Solms-Baruth die Johannitercolonnen mit den sechs Wagen, die sich zum Verwundetentransport bei der Colonne des Hauptquartiers befinden, zum Abfahren nach dem Schlachtfelde bereit machen. Da erschien der erste Wagen mit mehreren Verwundeten von dem vierundzwanzigsten brandenburgischen Regiment, das sich in dem Walde bei St. Arnould nächst Vionville so wacker gehalten hatte. Man dachte in dem ersten Moment der Aufregung gar nicht daran, für die Verwundeten Sorge zu tragen, man wollte nur Nachrichten haben. Glücklicher Weise waren die Wunden der zuerst Angekommenen nicht so schwer, daß durch diese Verzögerung eine Versäumniß entstanden wäre; aber leider bestätigten die Aussagen der Soldaten auch die Wahrheit des Gerüchtes. Die Johannitercolonne wurde wieder zurückgehalten es gab jetzt in dem Orte genug zu thun, denn schon langten die Proviant-, die Marketenderwagen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_612.jpg&oldid=- (Version vom 16.9.2019)