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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Empfinden aufregenden und berauschenden Musik der Bomben und Granaten, welche laufend, grollend, zischend, je nach Größe und Inhalt, durch den Abendhimmel flogen, nur hin und wieder unterbrochen durch den brutalen Generalbaß einer Bombe und den pendelartig regelmäßigen Klängen der schweren Geschütze aus den Batterien. Aber ein anderes Bild verdrängte durch immer mächtigeres Wirken diese wilde Luftmusik. Schon ein paar Stunden früher, während ich noch in der Schanze zeichnete, sah ich eine Brandgranate auf den Giebel eines stattlichen Kaufhauses in Kehl sich senken, hörte sie in widerlich dumpfem Ton bersten und sah gleich darauf einen gelblichweißen Qualm aus der größten Lücke des zerrissenen Daches sich wälzen; dieser Granate folgten bald darauf andere, und gegen Abend standen mehrere Häuserquadrate des sonst so freundlichen Städtchens in Flammen. Dies war die Antwort des französischen Festungscommandanten auf den von deutscher Seite erhobenen Protest der ersten Inbrandschießung Kehls vier Tage früher.

Wo Brandkugeln wehrlose offene Städte einäschern, da hören selbstredend sonst wohl geltende sentimentale Bedenken auf, und als die Flammen von Dach zu Dach züngelten, da flog die deutsche Rückantwort durch die Luft, von einem durch Schnellfeuer erzeugten Granatenregen begleitet. Erst stieg ein leiser Rauch über die Wipfel der Elsässer Bäume auf, dann qualmte es schwärzer und schwärzer, bis zuletzt die ganze Luftfläche, welche jenseits die Stadt überdeckt, verfinstert war. Am Abend hatte sich der Himmel grau überzogen; nur hinter dem über all’ dem Kampf und Haß, über all’ den Mord und Brand in stiller, hehrer Schönheit hinaufragenden Münster hatten die Wolken sich gespalten und ein breiter, mehrfach getheilter Strahl goß von der untergehenden Sonne her sein rothgoldenes Licht über das unten qualmende Verwüstungsbild. Allmählich erlosch aber der Strahl, und an seine Stelle stieg höher und breiter, und mit zunehmender Dunkelheit auch greller und immer sichtbarer werdend, das Flammenmeer in den beiden Schwesterstädten, jede derselben der ganzen Breite nach durchlodernd, und jede derselben noch dazu überhagelt von den feindlichen Sprenggeschossen, so daß an kein Löschen zu denken war. Stunden lang starrte ich auf einem am Kinzigufer bei Neumühl aufgeschichteten Flosse in das Flammenmeer; neben mir saßen, kauerten am Boden oder standen mit gefalteten Händen die Bewohner Kehls, lautlos dem Untergang ihrer so freundlichen und eine so schöne Zukunft versprechenden Heimath zusehend.

Erschöpft suchte ich um Mitternacht mein Lager, konnte aber zu keiner Ruhe kommen, denn der in der Nacht verstärkte Geschützdonner und das die ganze Gegend erhellende Feuermeer rissen die versagen wollenden Sinne zu immer neuem Staunen, Schauen und Hören auf. In der Frühe des andern Tages wandte ich mich wieder der stillen, nur in rastloser Sanitätssorge den Krieg mitmachenden Heimath zu, zeichnete mit strenger Gewissenhaftigkeit das Kehler Schanzenbild und will jetzt wieder vor die Veste, hinüber in’s einst geraubte und nun für immer wiedergewonnene Stück deutschen Vaterlandes: in’s Elsaß.




Bei Gravelotte und Rézonville.
Von unserem Specialberichterstatter J. Z-r.

Wir saßen am 17. August, am Tage nach der Schlacht bei Mars la Tour, vor dem Hôtel de France unter den Lauben, welche den Marktplatz von Pont à Mousson umgeben. Den ganzen Tag hindurch waren die Truppen in Bewegung auf den verschiedenen Straßen, die von hier nach Mars la Tour und den westlich von Metz gelegenen Orten sich hinziehen. Die Franzosen sollten in Metz eingeschlossen, die Straßen nach Paris ihnen verlegt werden; wie weit dies durch die am Sechszehnten geschlagene Schlacht schon geschehen sei, darüber waren die einzelnen Meinungen noch sehr getheilt. Jedenfalls war noch ein großes Stück Arbeit zu thun, darauf deuteten alle Vorbereitungen hin.

Der König von Preußen war noch nicht zurückgekehrt – er sei in Gorze, hieß es, einem Orte in fast unmittelbarer Nähe des Schlachtfeldes vom 16. August. Gorze liegt nördlich von Pont à Mousson, während die Truppenzüge des letzten Tages sich sämmtlich in westlicher Richtung bewegt hatten. Ich war in Zweifel, wohin ich mich wenden sollte.

„Morgen früh kann ich Ihnen vielleicht eine Möglichkeit geben, sich mir anzuschließen“ sagte mir des Abends noch ein höherer Officier „Warten Sie es bis dahin ab.“

Diese Möglichkeit fand sich zwar am andern Morgen nicht; ich erfuhr aber wenigstens so viel, daß Gorze wahrscheinlich der interessanteste Ort sei, wohin ich gehen könne, und diese Andeutung beschloß ich zu benutzen.

Es war bereits gegen acht Uhr früh; von Pont à Mousson nach Gorze hatte ich einen Weg von fast drei Meilen. Da ich nicht im Plan hatte, zurückzukehren, so mußte ich bedacht sein, mein Gepäck mitzunehmen, und ich war froh, als ich einen Wagen ausfindig gemacht hatte, der Tages vorher mit Verwundeten von Mars la Tour nach der Stadt gekommen war und dessen Führer, zwei preußische Soldaten, auf demselben Wege wieder zu ihrer Truppe stoßen wollten. Der Bauer, dem das Fuhrwerk gehörte, hatte sich aus dem Staube gemacht. Wir trafen ihn zwar, als wir über den Markt zur Stadt hinausfuhren, und luden ihn auch ein, als er versuchte, sein Geschirr zu reclamiren, mit nach seinem Orte zu fahren; da er dazu aber keine Lust hatte, lenkten unsere Soldaten, die in ihrem ganzen Leben noch keinen Zügel in der Hand gehabt hatten, auf eigene Faust die dicken normannischen Pferde nach der Mosel, an deren linkem Ufer wir, so rasch es gehen wollte, hinkutschirten. Sehr rasch war dies eben nicht; denn kaum hatten wir die Stadt verlassen, als wir uns auch schon in eine Reihe von Wagen eingekeilt sahen, die sich zwar mit ziemlicher Geschwindigkeit bewegte, wenn nichts ihre Ordnung störte, die aber jeden Augenblick ins Stocken gebracht wurde durch entgegenkommende Züge von Wagen mit Verwundeten, Fourage- und Munitionswagen, durch Colonnen mit Pontons, die seitwärts auf unsern Weg einbrachen, und durch die tausend Zufälligkeiten, welche die Ungeschicklichkeit der Wagenführer herbeiführte. Die ganze Straße war bedeckt mit Fuhrwerk der mannigfachsten Art, das alles die größte Eile hatte. Um die einzelnen Wagen, die immer hart hintereinander fuhren, wieder in Gang zu bringen, wenn sie sich ineinander verwirrt hatten, machte sich ein unendlicher Aufwand von Hin- und Herjagen, Schreien, Schlagen, Zerren und Fluchen nöthig. Zahlreiche Truppenabtheilungen, welche gleiches Ziel mit uns hatten, gingen zu beiden Seiten der Straße, in den Weinbergen.

In Arnaville verließen wir die Ufer der Mosel, an der lieblichen Mad hinauffahrend. Wie wir bald fanden, hatten wir uns in Bezug auf unser Fortkommen nicht viel gebessert; denn das ganze Thal lag voll von Soldaten, Regiment an Regiment, die hier weitere Ordres erwarteten. Wo sich die Thalsohle erweitert, hatten sie sich ausgebreitet und waren beschäftigt eilig „abzukochen“, das heißt ihr Mittagsessen sich zu bereiten, zu welchem Zwecke die Mad das Wasser, die Kartoffelfelder das Gemüse und Zäune, Pfosten, Bäume das Holz liefern mußten für die Tausende der kleinen Feldfeuer, über denen die Ration gar gekocht wurde. Leider wanderte auch mancher der Stäbe, an denen die Weinstöcke angebunden wurden, mit in die Flamme, trotz der Wachsamkeit der Officiere, welche diese empfindliche Schädigung zu verhindern bestrebt waren. Dörfer und Gehöfte waren fast alle von ihren Bewohnern verlassen oder nur die Frauen waren zurückgeblieben, die sich scheu hinter den Mauern hielten.

In Onville sauste eine reitende Batterie an uns vorbei und zeigte uns den Weg, der einen langen steilen Berg hinauf durch den Wald führte. Je weiter wir kamen, um so hastiger wurde alles Vorwärtsdrängen; Ordonnanzen, die seitwärts geritten waren, um aus dem Gelärme herauszukommen, bringen die Nachricht zurück, daß man nach Norden und Osten zu deutlich den Geschützdonner vernehme. Vorwärts, vorwärts! – das Gespann reißt, die Pferde werden abgeschnitten, der Wagen wird aus dem Zuge gestoßen und liegen gelassen, bis ihn ein Anderer mitnehmen will; kaum daß seine Ladung rasch auf die Vorbeifahrenden vertheilt wird. Mit welcher Rastlosigkeit dies Leben hier schon vorbeigegangen, das erzählen die Liegengebliebenen – stumpf und unbekümmert um das, was um sie herum geschieht,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_618.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)