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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

kauern sie am Wege in der glühenden Hitze, bis sie von einem Cameraden emporgerafft und mit weiter geschleppt werden.

Auf der Höhe von Onville hörten wir in der Richtung nach Nordost den Kanonendonner. Wir hatten das Plateau erreicht, das sich am westlichen Ufer der Mosel in einer durchschnittlichen Erhebung von tausend bis elfhundert Fuß über dem Meere hinzieht und langsam nach Westen zu abfällt. Einen weiteren Ueberblick vermochten wir auf dem durch langgezogene sanfte Einsattelungen unterbrochenen Terrain noch nicht zu gewinnen. Vor uns, als wir den Wald verließen, lag in der Entfernung von einer halben Meile etwa ein Meierhof, höher als seine Umgebung und von uns durch eine flache Thalmulde getrennt, die Meierei La Bruxière. Bis dahin ging das Schlachtfeld vom vorgestrigen Tage; heute war sie von unseren Regimentern besetzt, die sich über die ganze Höhe ausbreiteten. Wir hatten die Reserven unserer Aufstellung vor uns. Auf der Höhe des eben genannten Meierhofes, der von Gorze eine kleine Meile entfernt liegt, vermochten wir die Straßen zu übersehen. Welche Bewegung!

Unaufhörlich entströmten dem Walde, den wir eben verlassen hatten, Regiment auf Regiment; eine vieltausendfüßige gewaltige Schlange war der ganze Weg, die ihre in der heißen Sonne blitzenden Glieder eines nach dem andern aus dem dunkeln Gebüsch hervorzog und durch das flache Thal auf die Höhe heranschob. Und von hier in eben solcher Stetigkeit marschirte Colonne auf Colonne weiter, Alles nach Mars la Tour zu, wo die Franzosen abgeschnitten werden sollten. Wir verließen den Weg nach Gorze und fuhren mit dem großen Troß weiter über das Schlachtfeld, wo achtundvierzig Stunden vorher einer der blutigsten Kämpfe stattgefunden hatte, von dem die Geschichte erzählen wird und von welchem die uns zur Seite tobende Schlacht die Fortsetzung war.

Wir mochten etwa eine halbe Stunde von La Bruxière entfernt sein, als wir zu unserer Rechten Massen Rauches aufsteigen sahen, wie sie nur aus einem brennenden Orte kommen können; der Geschützdonner wird nach derselben Richtung hin immer lebhafter; einzelne Regimenter verlassen die Straße, über die Felder mehr nordöstlich hin sich wendend. Dies und die Mittheilung eines höheren Officiers, daß unsere Armee den Feind bei Rezonville angegriffen und jetzt schon ihre Front von der ursprünglich west-östlichen Richtung anfange in eine süd-nördliche zu verlegen, bestimmte uns rasch. Wir warfen unser Gepäck von dem Wagen, behängten uns mit dem, was wir zu unseres Leibes Nahrung und Nothdurft bei uns führten, und schlugen uns querfeldein zunächst wieder Gorze zu erreichen, von dem wir uns inzwischen entfernt hatten.

Auf dem Wege dahin trafen wir die ersten Verwundeten vom heutigen Tage; sie waren nach einem an der Straße liegenden größeren Gehöfte gebracht worden, das, in ein Lazareth umgewandelt, in allen Räumen mit Blessirten aus der Schlacht von Mars la Tour schon überfüllt war. Was man von Wagen auftreiben konnte, wurde benutzt, um diejenigen, welche den Transport aushalten konnten, weiter zu befördern; denn unausgesetzt trafen neue Züge ein, von denen viele so schwer darniederlagen, daß an ein Weiterschaffen nicht zu denken war. Andere, deren Verwundung ihnen das Gehen erlaubte, kamen den Weg daher gezogen – wie elend viele und wie gebrochen, aber auch wieder wie kampfbegierig andere!

„Mein Hauptmann hat mich fortgeschickt wegen des Bettels da,“ brummte Einer, dessen Gesicht unkenntlich von Blut war; eine Kugel hatte ihm den Backen und das halbe Ohr mit weggerissen, gerade als er auf einen Franzosen hatte anlegen wollen. Er ging mannhaft bis zum nächsten Lazareth, das ihn aufnehmen würde. „Zu fahren brauche ich nicht, das haben Andere nöthiger – ich hätte auch so noch können die Sackermentskerle mit zusammenputzen, wenn ich’s hätte machen wollen wie sie selber – das ist keine Kunst; die nehmen das Gewehr unter den Arm und drücken los wie die Schuljungen.“ Freilich – aber mit dieser ihrer Manier hatten sie doch fürchterlich unter unseren Leuten aufgeräumt.

Gorze selbst war ein einziges großes Lazareth. Die Verwundeten von vorgestern lagen zum Theil noch hier, es hatte an Transportmitteln gefehlt, die Menge zu befördern. Vielen stand gewiß nur noch ein kurzer Weg bevor. Fast kein Haus, das sich nicht von Weitem schon durch die weiße Fahne mit dem rothen Kreuze ausgewiesen hätte als eine Stätte des Schmerzes, aber auch als einen Ort unermüdeter, werkthätiger Hülfe. Welche Anstrengung, welche Ueberwindung, welche Geduld, welche Entbehrung! Und man findet es erklärlich, wenn man Solche, die sich in den Hauptquartieren und den noch gut versehenen Depôtsorten darin gefallen, das rothe Kreuz nur zu tragen, um unter seinem Schutze eine Rolle zu spielen, hier mit nicht immer sehr schmeichelhaften Ausdrücken bezeichnen hört.

In Gorze war das Hauptquartier des Königs Wilhelm gewesen – soweit man an dem Tage und in einem Lazareth von einem Hauptquartiere sprechen kann. Vor dem Orte standen die Wagen, welche die „Eroberer“, wie die Franzosen meinen, hergeführt hatten. Ueber den Ort hinaus, der in einer engen Schlucht sich hinzieht, lagerte ein zahlreicher Munitionspark. Die letzten Regimenter zogen eben ab, als wir den Fleck verließen – Alles der Schlacht nach.

Die Straße führte durch einen Wald, der so ruhig da lag, als ob Alles darin schlafen gegangen wäre. Kein Lüftchen rührte sich, kein Blatt bewegte sich in der heißen Sonne, nur einzelne neugierige Soldaten von den Wagen hatten sich eine Strecke hinein gewagt, um womöglich etwas von dem Stande der Dinge zu erfahren. Der ganze Schlachtapparat war auf dieser Richtung uns bereits vorangezogen, und was zurückkam, schlug eine andere Straße ein – kein Laut, als das gewitterähnliche Rollen, das aus allen Entfernungen herankam. Wir gingen ziemlich lange auf dem zerstampften Wege; Patronentaschen, Czako’s, Gewehre lagen vereinzelt an den Rändern des Gebüsches. Je weiter wir hineinkamen, um so zahlreicher. Alles Zeichen einer unheilvollen Vergangenheit, die in der jetzigen Stille um so lauter redeten. Welch entsetzlicher Anblick aber, als wir aus dem Walde heraustraten! Vor uns lag derjenige Theil des Schlachtfeldes vom Sechszehnten, auf welchem der Kampf am heftigsten gewüthet hatte, ein Fläche, vielleicht zweihundert Morgen groß, besäet mit Leichen, die zu begraben man noch keine Zeit gefunden, nicht zu Hunderten zu zählen; Deutsche und Franzosen, die letzteren in beiweitem größerer Zahl, die Gesichter, welche die Pietät kaum Zeit gefunden hatte, mit einem Tuche oder einem Zipfel der Kleidung zu bedecken, bereits ganz schwarz von der eintretenden Verwesung; indessen hatte die Trockenheit der Luft und der Zug, der über diese hochgelegenen Felder wehte, eine eigentliche Fäulniß und miasmatische Gasentwickelung noch verhindert. Die meisten der Gebliebenen schienen einen augenblicklichen Tod gefunden zu haben; viele, wie im raschen Lauf gestürzt, das Gewehr noch in der Hand, andere freilich auch, deren auf die Wunde gepreßte Hand von langsamerem Sterben erzählte, und wieder andere, die sich, zum Tode getroffen, noch fortgeschleppt hatten, das Seitengewehr als Stütze auf den Boden stemmend, bis sie erliegend an ihrer Waffe verendeten. Solcher einzelner in dem Boden steckender Säbel sah man über das ganze Feld vertheilt, ihre früheren Eigenthümer waren als schwer Verwundete fortgebracht, die Zeugen ihres Looses hatte man noch nicht Zeit gefunden zu beseitigen.

Auf unserem Wege hatte man uns schon von den vielen Säbeln erzählt, die man auf den Schlachtfeldern in dem Boden steckend fände, und zur Erklärung bald einen alten Aberglauben bald einen vermeintlichen Gebrauch damit in Verbindung gebracht, nach welchem man, um späterhin constatiren zu können, wo Der und Jener gefunden worden sei, erkennbare Stücke seiner Ausrüstung auf leicht ersichtliche Weise liegen lasse und namentlich sein Seitengewehr in den Boden stoße. Beides ist nicht richtig, die einfache Erklärung dieser dem ersten Blicke allerdings auffallenden kleinen Kreuze ist die, daß sie ihren einstigen Trägern zur Unterstützung gedient haben, an deren möglichen Gebrauch keiner gedacht, als er den Säbel um die Hüften schnallte, und daß es die letzte Kraft war, die hier erlag, und die nicht mehr hinreichte, die Klinge aus der Erde wieder herauszuziehen. So wenig romantisch die Sache ist, so unendlich rührend ist der Anblick eines im Kampfe Gefallenen, dessen Rechte noch den im Acker steckenden Säbelgriff umklammert. Als ob die Erde mehr Erbarmen hätte, als die Menschen, hält sie die mörderische Waffe fest. – Macht Pflüge aus dem Material, daran hat das Schicksal noch keinen verbluten lassen!

Es war schon in den späteren Nachmittagsstunden, als wir endlich einen Ueberblick über das Schlachtfeld und einen Standpunkt gewannen, von dem aus wir die inzwischen immer vor uns her geschobene Kampflinie übersehen konnte. Wir befanden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_619.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)