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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Bei den Kanonen.
Aus dem Tagebuch eines Artilleristen.[1]

Unsere Batterie, die dritte leichte des brandenburgischen Feldartillerie-Regiments, war am sechsten August Mittags eilf Uhr in Dudweiler eingetroffen und in diesem Orte einquartiert worden. Die Einwohner nahmen uns freundlich auf, und wir freuten uns bereits der guten Quartiere, Ställe und auf die Betten, als plötzlich der Befehl kam: „Um ein Uhr steht die Batterie zum Weitermarsche bereit.“ Zugleich durchlief ein dunkles Gerücht unsere Reihen, vorne wären unsere Truppen schon auf den Feind gestoßen.

Präcise um die befohlene Zeit standen die in Dudweiler liegenden Truppen auf den Alarmplätzen, wo auch der Brigadestab sich einfand. Die Batterie erhielt Befehl, der vormarschirenden Dragonerschwadron des zwölften Regiments zu folgen, und abwechselnd ging es nun im Schritt und im scharfen Trabe die Chaussee nach Saarbrücken zu. Dicht vor St. Johann hörten wir, wenn auch weit entfernt, einzelne Kanonenschüsse. Alles drängte vorwärts, jeder Mann war gespannt auf die nächsten Stunden.

Wir marschirten durch St. Johann, passirten die große steinerne Saarbrücke, und in Saarbrücken erhielten wir Befehl, auf der Straße zu halten. Um die Passage nicht zu versperren, wurde scharf rechts hingefahren und Alles saß ab. Die liebenswürdigen Einwohner Saarbrückens brachten uns sowohl während des Durchmarsches, als auch während jenes Haltes Erfrischungen jeder Art, die uns nach dem bei ziemlicher Hitze rasch zurückgelegten Marsche sehr wohl thaten. Satteltasche und Brodbeutel wurden gefüllt, und dieses kostbare Material fand erst seine volle Geltung am Abend nach dem Gefechte. – Die Zeitungsnachricht, daß Saarbrücken, die offene Stadt, von den Franzosen in Brand geschossen worden sei, ist bereits berichtigt. Außer dem von den Geschützen beschädigten Bahnhof und dessen nächster Umgebung haben auch wir keinerlei Verwüstungen irgend welcher Art bemerkt.

Wohl eine kleine Stunde mochte die Batterie hier gehalten haben, als sie Befehl erhielt, durch einen Feldweg auf die jenseits Saarbrücken liegenden Höhen vorzugehen. Hier angekommen, nahm die Batterie Rendezvous-Stellung in einer Terrainmulde und blieb zur Disposition höherer Führer. Vor uns hatte das Gefecht begonnen. Wir konnten das ganze Gefechtsfeld übersehen, doch war leider die Entfernung zu groß, als daß wir die einzelnen Regimenter ihrer Nummer nach erkennen konnten. Es war ein wahrhaft erhebender Anblick, zu sehen, wie unsere brave Infanterie mit einer bewundernswürdigen Todesverachtung vorging. Bald zeichneten einzelne Verwundete den Weg, den die Regimenter genommen, sehr bald wurden es ganze Reihen, welche die vorstürmenden Cameraden hinter sich ließen. Schmerzlich war es für uns, dies vor Augen, müßige Zuschauer sein zu müssen. Wie beneideten wir die im Feuer rechts vorwärts vor uns stehenden Batterien!

Lange schwankte der Kampf. Der Feind hatte eine sehr feste Stellung, den ganzen Speicherer Höhenzug, inne. Sein rechter Flügel hatte einen Wald besetzt, der die Abhänge bekleidet und sich oben auf dem Bergrücken weiter ausdehnt. Das Centrum bildete der nur mit einzelnen Bäumchen bewachsene Speicherer Berg, auf den ein steiler Hohlweg hinaufführt, dessen Pflaster aufgerissen war und der selbst im feindlichen Gewehr- und Artilleriefeuer lag. Schützengräben waren etagenförmig übereinander ausgehoben, und überhaupt der Berg mit großer Sorgfalt benutzt und besetzt. Der französische linke Flügel hatte den Höhenzug vom Speicherer Berge bis zum Speicherer Walde inne. Sämmtliche Abhänge des Höhenzuges sind so steil, daß man kaum hinaufreiten kann. An passenden Punkten waren Kanonen- und Mitrailleusen-Batterieen aufgefahren, welche das offene, freie Angriffsfeld vollkommen bestrichen, jedoch nicht mit der Wirkung, wie es wohl unsere Geschütze gethan haben würden. Die französischen Granaten crepirten, Dank ihren Zeitzündern[2], meist zu früh oder zu spät, selten rechtzeitig.

Der französische rechte Flügel und das Centrum waren es, gegen welche unsere wackeren Regimenter vorstürmten. Endlich gelang es, die Abhänge zu erklimmen, den französischen rechten Flügel zu werfen und den Speicherer Berg zu nehmen. – Wir standen noch immer seit drei Uhr in unserer Rendezvous-Stellung. Gegen vier Uhr wurden wir erlöst und schlossen uns den anderen Batterieen an, die schon im Gefecht waren. Unser Ziel waren feindliche Infsanteriecolonnen auf dem linken französischen Flügel, die wir mit sichtlichem Erfolge beschossen. Hier pfiffen die ersten Kugeln – Infanteriefeuer – um uns her, aber bei der angestrengten Thätigkeit achtete Niemand darauf; auch war die Entfernung eine so bedeutende, daß wir keine Verluste erlitten.

Da, gegen vier ein Viertel Uhr, erhielt unsere Batterie den Befehl, auf dem Speicherer Berge Position zu nehmen. Der Batteriechef ritt voran, um zu recognosciren, und die Batterie trabte, vom Premierlieutenant geführt, nach. Als wir an dem vorher erwähnten Hohlwege, der den Berg hinaufführt, ankamen, fanden wir ihn vom braunschweigischen Husarenregiment besetzt, und unser Vormarsch stockte. Hier pfiffen die Kugeln schon anders, denn oben auf dem Plateau des Berges schossen sich die beiderseitigen Tirailleurs noch gehörig mit einander herum. In diesem Moment sprengte ein Officier des Divisionsstabes mit dem Befehle heran, den Vormarsch der Batterie zu beschleunigen. Die Husaren räumten jetzt den Weg, und hinauf ging es den steilen mit losen Steine besäeten und aufgerissenen Berg – ein schweres Stück Arbeit. Als wir mit der Tête oben waren, sahen wir, daß nur das erste Geschütz gefolgt war. Das zweite Geschütz konnte nicht folgen, da mehrere verwundete Pferde nicht anzogen, und mußte das Geschütz erst wieder heruntergeschoben werden, ehe die anderen vier Geschütze weiter konnten. Während dieser Pause stand das erste Geschütz oben in einem hageldichten Kugelregen; zu sehen war aber vom Feinde nichts. Da ritt ein Brigadecommandeur zum Chef heran. „Schießen Sie doch! Wenn Sie auch nichts sehen können, so thun Sie es des moralischen Eindruckes wegen.“

Und in der That wurden wir schon in den nächsten Minuten überzeugt, welch’ frischer Muth unsere im Feuer stehenden Cameraden

  1. Die nachstehende Erzählung der Erlebnisse eines Mitkämpfers erregt unsere Theilnahme durch die Unmittelbarkeit ihrer Mittheilung. Wie Jeder gern aus dem Munde des Einzelnen erfährt, in welcher Art sich ihm das Bild einer Schlacht gezeigt, so hören wir auch unserem Erzähler zu und um so aufmerksamer, als wir einen Artilleristen vor uns haben, dessen Waffe in diesem Kriege von so großer Bedeutung ist, und der selbst so Tüchtiges geleistet hat, daß ihm, der noch an seinen Wunden darniederliegt, die herrlichste Auszeichnung dieses Kriegs, das eiserne Kreuz, verliehen worden ist.
    Die Redaction.
  2. Unsere Granaten haben Percussions-, die französischen Zeit-Zünder. Eine preußische Granate crepirt, sobald ihre Geschoßgeschwindigkeit eine plötzliche Verringerung oder gar Hemmung erleidet. Die lose Nadel behält die Geschwindigkeit, welche das Geschoß hatte, bei und sticht in die Zündpille, welche sich dann entzündet und einen Feuerstrahl zu der Sprengladung des Geschosses sendet. Die entzündete Sprengladung zerreißt das Geschoß, und die Granate zerplatzt in Sprengstücke.
    Der französische Zeitzünder ist folgendermaßen eingerichtet: An der Spitze des Geschosses befindet sich ein Sechskant, welches äußerlich sechs Brandlöcher zeigt und inwendig einen kreisrunden, langsam brennenden Satz hat. Außerdem führt eine Oeffnung inwendig zur Sprengladung der Granate. Fängt der Satz durch das letzterer Oeffnung zunächst liegende Loch an zu brennen, so hat das Feuer bald die nach der Sprengladung führende Oeffnung erreicht, und die Granate crepirt. Fängt der Satz durch das am weitesten entfernte Brandloch an zu brennen, so hat das Feuer erst den ganzen Satz zu verzehren, ehe es an die Sprengladung kommen kann. Nun zeigen die Platten, mit denen die Brandlöcher verklebt sind, Zahlen, welche der Entfernung entsprechen, auf welche geschossen werden soll, und die Schnelligkeit des Zusammenbrennens des Satzes ist so gut regulirt, daß sie so viel Secunden beträgt, als das Geschoß bis zum Ziele fliegt. Die entsprechende Platte wird abgerissen, und die Granate wird in das Rohr gebracht. Bei den französischen Vorderladern schlägt nun das Feuer der Geschützladung um die Granate herum und entzündet durch das geöffnete Brandloch den freigelegten Satz.
    Da Alles auf die richtige Brennzeit des Satzes ankommt; muß der Satz sehr sorgfältig gearbeitet sein; er soll das eine Mal so brennen wie das andere Mal. In dieser Schwierigkeit und in den Einflüssen der Temperatur, denen solche Zeitzünder trotz aller Vorsichtsmaßregeln unterworfen sind, liegt der Grund, daß so viele französische Granaten entweder zu früh oder zu spät crepirten, die Zünder brannten also entweder zu schnell oder zu langsam.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_636.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)