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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 40. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Ein Damen-Duell.
Von Sacher Masoch.

Das Fußregiment der Preobraschenskischen Garden hatte die Wache im Winterpalaste bezogen. Es war im Frühsommer, aber die Czarin Katharina die Zweite schien noch immer nicht daran zu denken, das festliche Petersburg mit dem idyllischen Landaufenthalt von Zarskoje Selo zu vertauschen.

In der geräumigen weißgetünchten Wachtstube schliefen die Soldaten sitzend, aus Furcht, ihre großen festgewickelten Zöpfe zu beschädigen; in dem kleinen anstoßenden Officierszimmer lagerten Lieutenants und Junker von den verschiedensten Regimentern um einen langen schmierigen Tisch und spielten Onze et demi; sie spielten bereits den ganzen Nachmittag und spielten bis in die Nacht hinein bei dem spärlichen Lichte einer kleinen Oellampe, welche von der rußigen Decke herabhing. Nur Einer spielte nicht. Es war ein junger schlanker Officier mit blühendem Gesicht und großen hellblauen Augen unter dunklen Wimpern und dunklen Brauen, welche sich beinahe coquet von dem weißen Toupet abhoben. Er saß, die Beine weit von sich gestreckt, die Hände nach rückwärts in die Taschen seines grünen Uniformfrackes versenkt, in einer finstern Ecke und starrte vor sich hin.

Jetzt verließ auch ein Zweiter den Spieltisch; er athmete auf und blickte um sich, dann näherte er sich dem Cameraden in der Ecke.

„Du spielst nicht mehr, Koltoff?“ begann er, die Hand auf seine Schulter legend.

„Nein – und Du?“

„Ich bin fertig,“ erwiderte der Zweite. „Ich habe Alles verspielt.“

„Ich auch,“ sprach Koltoff, „aber bei Dir, mein lieber Lapinski, bedeutet das im Grunde nicht viel. Eine Carambole mit Deinem theueren Vater, eine Sittenpredigt, und damit gut. Ich bin ruinirt. Ich habe entsetzlich viel Schulden, wie Du weißt, und keinen Vater, der sie zahlen würde, nicht einmal einen Onkel, den ich beerben könnte; ich habe heute meine Gage verspielt in der wahnsinnigen Hoffnung, das Glück könnte mir lächeln und mir ein paar Tausend Rubel in den Schooß werfen wie neulich dem Grafen Saltikoff, und jetzt stehe ich da, ohne eine Kopeke, und in ganz Rußland giebt es Niemand mehr, der mir eine Kopeke leiht. Mir bleibt also nichts übrig, als mich zu erschießen.“

„Hör’ mir auf,“ erwiderte sein Freund. „Wie Du richtig bemerkt hast, gilt es nur eine Carambole mit meinem theuren Vater, und wir haben Geld.“

„Das heißt, Du hast Geld.“

„Nein, wir.“

„Ich kann doch nicht –“

„Was kannst Du nicht?“

„Von Deinem Gelde leben,“ sprach Koltoff; „die Ehre gebietet mir, mich zu tödten.“

„Ah! ich glaube, Du hast zu viel getrunken,“ erwiderte Lapinski, die Achseln zuckend; „aber sage mir lieber gleich, wie viel Du brauchst, es geht in Einem.“

Koltoff schwieg.

„Nun, wenn Du durchaus nicht willst,“ sprach Lapinski ärgerlich, „ich dränge meine Liebe und Freundschaft Niemandem auf.“

Damit stülpte er den dreieckigen goldbordirten Hut so heftig auf seinen wohlgepuderten Kopf, daß eine weiße Wolke aus demselben emporwirbelte, und verließ sporenklirrend die Wache; als er jedoch vor dem niedrigen Thore seines Wohnhauses stand und bereits den Klopfer in der Hand hatte, da fielen ihm die Worte seines Cameraden schwer und beängstigend auf die Brust; er kehrte um und ging mit raschen Schritten zu Koltoff’s Wohnung, sprang über die Planke, welche den Hof derselben umfaßte, und die morsche Holztreppe empor.

Durch die Thür seines Freundes fiel ein weißer Streifen Licht auf die Diele. Er war also gleichfalls nach Hause zurückgekehrt und noch wach. Lapinski klopfte. Keine Antwort. Er klopfte stärker und rief zugleich: „Um Gotteswillen, mach’ auf; Geld, es ist Geld da für Dich!“

Nun hörte er Schritte, dann wurde eine Lade zugeschoben, endlich öffnete Koltoff.

Lapinski erschrak über die Veränderung, die in so kurzer Zeit mit seinem Freunde vorgegangen war; das Haar hing ihm wirr in das bleiche Gesicht, die Augen waren tief in ihren Höhlen eingesunken und zeigten ein unheimliches unruhiges Feuer.

Lapinski hatte instinctmäßig, als wenn er ihn von einem Vorhaben abhalten wollte, seine Hand ergriffen und blickte verstört im Zimmer umher, ohne daß er etwas Verdächtiges entdecken konnte, dann näherte er sich rasch dem Tische, welcher in der Fenstertiefe stand und auf dem Koltoff zu schreiben pflegte. Dieser machte eine Bewegung, aber schon hatte der Camerad eine Lade hervorgezogen und in derselben die Pistole entdeckt, deren Hahn noch gespannt war.

„Also wirklich?“ stammelte Lapinski, mehr vermochte er im Augenblick nicht.

Beide schwiegen einige Zeit. Dann nahm Lapinski das Wort. „Habe ich Dir nicht gesagt, daß ich Dir Geld schaffen will?“

„Ich erkenne Deine treue Freundschaft von ganzem Herzen an,“ erwiderte Koltoff, „aber ich bin nicht im Stande, auf fremde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_649.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)