Seite:Die Gartenlaube (1870) 683.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


So ging es von Mund zu Mund und das Blatt wanderte von Hand zu Hand unter dem lustigsten Gelächter, bis es an den Ge- und Betroffenen selbst kam. Der aber schwor hoch und heilig, wenn er den erwischen könne, der das gemacht habe, dann wolle er ihm alle Knochen zerschlagen.

Alfred überließ den Neugierigen die Mappe und drehte sich lächelnd zu Joseph um. „Sieh einmal, Du theilst bereits das Schicksal aller Künstler, welche nicht schmeicheln: von denen angefeindet zu werden, die sich getroffen fühlen.“

Die Leute steckten indessen die Köpfe zusammen und plünderten den Inhalt der Mappe. Aber die allgemeine Schadenfreude ging in allgemeine Wuth über, als immer mehr solcher Spottgesichter zum Vorschein kamen und kaum Einer verschont blieb!

Jetzt begann der arme Joseph wirklich zu zittern, denn einer von den Beleidigten fand unglücklicherweise eine Zeichnung, welche Joseph auf die Rückseite eines alten Briefes gemacht. Der Brief war an seine Mutter gerichtet, die Anonymität des Künstlers somit aufgehoben.

„Wart, Du vermaledeiter Ketzer, hab’ ich so einen Buckel?“ schrie Einer.

„Hab’ ich so einen Kropf?“ ein Anderer.

„Mir solch ein Pferdegebiß hinzumalen!“ ein Dritter.

So schalten und tadelten sie die Bilder, und dennoch erkannte sich ein Jeder darin. Das eben hatte Alfred wissen wollen, ob die Portraits erkennbar seien, und das Ergebniß übertraf seine Erwartungen. Joseph sah bleich vor Aufregung dem Schwarme zu, wie er seine lieben, so lange und heimlich bewahrten Zeichnungen schwatzend und schimpfend herumriß. Das Herz schlug ihm so seltsam und bange, der junge Dorfkünstler hatte, ohne es zu wissen und zu wollen, den ersten Schritt auf dem dornenvollen Pfad der Oeffentlichkeit gethan!

„Lieben Leute!“ sagte Alfred freundlich, „Ihr müßt es nicht mit dem Joseph verderben, wenn Ihr klug sein wollt, denn seht, der Joseph kann noch ein reicher und berühmter Mann werden. Ich nehme ihn jetzt gleich mit mir in die Stadt zurück, lasse ihn was Tüchtiges lernen und mache einen Maler aus ihm, dann wird er vielleicht nach Jahren in einer schönen Kutsche in sein Heimathdorf kommen und Gutes – wie Böses vergelten.“

Die Leute starrten Alfred mit offenem Munde an. So etwas war denn doch seit Menschengedenken im Dorfe nicht erhört. Der Joseph aber war wie betäubt von alle dem Glück, denn der Gedanke, malen – nichts als malen und immer nur malen zu dürfen, der Gedanke erschloß ihm einen ganzen Himmel.

„Mutter,“ sagte Alfred, „ich nehme Euch Euren Sohn schon wieder weg, aber Euch wird daraus großes Glück erblühen und Ihr werdet noch einen sonnigen Lebensabend haben. Einstweilen werde ich für eine kleine Verbesserung Eurer Lage sorgen, und der Joseph soll Euch täglich besuchen. Nun aber vorwärts! Raff’ Deine Bilder zusammen, Joseph, wir fahren nach Hause.“

Ein allgemeiner Jubel erhob sich. „Das ist einmal ein Doctor! Den loben wir uns!“ hieß es weit und breit, und der Joseph war von Stund’ an der angesehenste Mann im Ort, weil er einen solchen Protector hatte. Jeder beeilte sich, ihn noch „zu guter Letzt“ der herzlichsten Gesinnung zu versichern.

Da kam von der Straße her in athemlosem Lauf ein reizendes Mädchen von etwa fünfzehn Jahren, noch ein halbes Kind.

„Ist’s denn wahr?“ schrie sie schon von weitem. „Der Sephi ist wieder da und hat eine Nase mitgebracht?“

„Regeli, lieb’s Regeli!“ schrie Joseph außer sich vor Freude und stürzte dem Schulmeisterstöchterlein entgegen.

„Herr Jesus,“ rief das Kind und schlug die Hände zusammen, „Joseph, Du bist ja ganz hübsch geworden; o, jetzt können sie Dich nicht mehr verspotten, jetzt bist Du ein Mensch wie alle anderen. O Gott sei Lob und Dank!“ Und dem Mädchen liefen die hellen Freudenthränen über die runden Wangen, und der Joseph weinte auch zum ersten Male mit seiner neuen Nase. Das Regeli war das einzige Mädchen im Dorfe gewesen, das sich nicht vor dem Joseph gefürchtet oder geekelt hatte, das einzige Herz, das Erbarmen für ihn gefühlt und ihm manch’ Trosteswort und manche kleine Hülfe gewährt hatte. Drum war jetzt auch die Freude doppelt groß und der Joseph sagte leise:

„Regeli, die Nase hast Du für mich herabgebetet, denn Dir konnte der liebe Gott keinen Wunsch abschlagen!“ –

Als die kleine Gesellschaft endlich mit Joseph auf dem Heimwege war, sagte Alfred zu Anna, die still neben dem Wagen herritt: „Nun, Anna, hat der Flickschneider seine Sache gut gemacht?“

„Ja!“ erwiderte sie ernst. „Du hast ein zerstörtes Lebensglück wieder hergestellt. Ich hätte nicht gedacht, daß man mit den kleinen Messerchen und Scheerchen so tief in das Schicksal eines Menschen hineinschneiden kann. Jetzt weiß ich, was Dein Beruf bedeutet!“ Sie bot ihm vom Pferde herunter die Hand. Er drückte sie inbrünstig an die Lippen und Hoffnung, süße berauschende Hoffnung dämmerte neu in ihm.

(Fortsetzung folgt.)




Im Lager unserer Heere.
Von A. v. Corvin.
Fünfter Brief. Vor Bitsch.

Als ich in den letzten Wochen wieder nach Frankreich zurückkehrte, wollte ich zunächst die belagerte Felsenfestung Bitche (Bitsch) sehen. Der Zufall fügte es, daß ich in Weißenburg einen Kutscher aus jener Gegend fand, der es unternahm, mich nach Niederbronn zu bringen, welches etwa anderthalb Stunden von der Festung entfernt ist. Wir fuhren am 16. September Morgens halb acht Uhr ab. Es fing an zu regnen; allein trotzdem erschien die Gegend schön. Die Formation der Berge und Thäler ist dieselbe wie in der Pfalz und die Menschen sind auch nicht anders. Wer behauptet, daß das Elsaß nicht deutsch sei, ist nicht dort gewesen. Bis dreißig Stunden westwärts von Weißenburg wenigstens ist Alles deutsch. Die Dörfer haben ein durchaus deutsches Ansehen und die herrschende Sprache ist die deutsche. Der größte Theil der Landleute versteht kein Französisch und nur eine kleine Anzahl reden es. Daß die Kinder deutsch reden, ist der beste Beweis, daß das Land deutsch geblieben ist. Von den Bewohnern werden die Franzosen welsch genannt; sie betrachten sich keineswegs als Franzosen. In Städten und in Fabrikorten ist das etwas verschieden und man merkt mehr französischen Einfluß.

Mein Kutscher war ein sehr intelligenter und munterer Mann aus Illwiller bei Savern, der gegen seinen Willen die Schlacht bei Wörth mit angesehen hatte. Ein Pariser Zeitungsredacteur oder Correspondent hatte ihn für vierzehn Tage gemiethet und er kam gerade auf der Höhe vor Wörth an, als die Schlacht begann. Der Pariser Zeitungsmensch wurde sehr blaß und aufgeregt und rannte davon. Der Kutscher ließ Wagen und Pferde stehen und drückte sich hinter einem Meilenstein in der Grube neben der Chaussee, wo alle Kugeln über ihn hinwegflogen und er die Schlacht mit ansehen konnte. Er sprach mit wenig Liebe von den Franzosen und äußerte, daß die deutschen Soldaten ganz andere Leute seien, weit höflicher und nicht so versoffen. Die französischen Soldaten hätten den ganzen Tag getrunken und betrunken am Wege auf dem Felde gelegen. Er wollte sich halb todt lachen, als er daran dachte, wie die Franzosen gelaufen seien. Sie hätten Alles im Stich gelassen, seien wie verrückt zurückgerannt und hatten geschrieen: „Rettet euch, rettet euch! die Preußen kommen!“ Die erschreckten Einwohner der Dörfer wären alle mit ihnen geflohen und Weiber und Kinder und Vieh hätten sich in die Wälder geflüchtet. Man hätte die Artilleriepferde abgestellt und auf jedem hätten zwei, drei und vier Franzosen gesessen und manchmal hatte sich noch einer an den Schwanz gehängt. Seinem Wagen habe man sieben Verwundete aufgeladen. Der Kutscher behauptet, daß die Franzosen bedeutende Reserven gehabt hätten, welche gar nicht in’s Feuer gekommen, sondern von dem panischen Schrecken des ersten Treffens angesteckt und mitgelaufen wären.

In Niederbronn angekommen, war ich sehr erstaunt, einen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_683.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)